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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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dem zufolge ihr Benehmen ein, wenn sie mit Tschitschikow in Berührung kamen.
Daß ihm unter so bewandten Umständen alle guten Eigenschaften beigelegt wurden,
versteht sich von selbst; er hatte Verstand, Geist, angenehme Manieren, kurz alles,
was zu einem ächten Cavalier gehört, und ma" wartete gespannt darauf, wer wol
die Glückliche sein dürfte, der er sein Taschentuch zuwerfen würde.

Da will es das Unglück, daß ans einem Balle ein junger Mann in mehr
als rosenfarbener Weinlaune an Tschitschikow Herautritt/ und ihn fragt, warum
er verstorbene Seelen kaufe. - ' ,

Dieses Wort durchläuft wie ein Blitz den Saal, Der Held des Stücks sieht sich
plötzlich um alleu Credit gebracht, macht sich unbemerkt ans dem Staube -- und
die Komödie ist aus. Doch nein; im letzten Capitel giebt uns ja der Versasser
die Auslösung des Räthsels, und diese ist keineswegs eine reiche Heirath, wie
vielleicht Mancher zu glauben geneigt sein dürfte. Wenn Tschitschikow hie und
da die.Augen auf eine sogenannte "gute Partie" wirft, so geschieht dies uur
so nebenbei, weil er denkt, Zubuße der Art mache gerade keinen Kummer; doch
sein Hauptziel ist ein anderes, weniger poetisches, und stützt sich ebenfalls auf
eine der russischen Institutionen.

Unter der Benennung "Vormnndsrath" hat die russische Regierung eine Art
von Bank ins Leben treten lassen, deren Ausgabe es ist, verschuldeten Eigenthü¬
mern zu Hilfe zu kommen und sie vor den Geierklanen der Wucherer zu schützen.
Ans Grund des Eigenthumstitels leistet sie Vorschüsse, und zwar 200 Rubel per
Seele; ist also ein Versatzamt, wo statt Juwelen, Gold und Silber, der Mensch
oder vielmehr die Seele als Pfand eingesetzt wird. Mit dem gerichtlich vollgil-
tigen Beweis in der Tasche, Eigenthümer" vou -1000 Seelen zu sein, begiebt sich
Tschitschikow in das Wohlthätigkeitsinstitnt, und erhebt ans sein längst in die
Wohnungen des Friedens eingegangenes Eigenthum die Kleinigkeit von 200,000
Rubeln, und schlägt damit schleunigst den Weg nach dem Westen ein, um so der
Unannehmlichkeit zu entgehen, mit den Gerichten in Auseinandersetzungen zu ge¬
rathen und in deren Folge einen Zwangspaß nach den arktischen Regionen des
Czarenreiches zu empfangen.

Ungeachtet der Unwahrscheinlichkeit in der Anlage ist Gogol's letzte Schöpfung
ein Meisterstück, denn es zeichnet Zustände und Personen mit unübertrefflichen
Strichen. In Rußland hatte es einen fabelhaften Erfolg, und Professor Pogodin,
der den Verlag übernommen, machte einen Gewinn von 6000 Rubel Silber,
eine Summe, die als ungeheuer bezeichnet werden muß, wenn man bedenkt, wie
wenig in Nußland im Verhältniß gelesen wird.,

Mit Ungeduld wartete man auf den zweiten Theil der "verstorbenen Seelen",
doch vergebens. Gogol war unterdessen ins Ausland gereist und lebte in Rom.
Von dort aus, so sagt mau, hätte er das Manuscript nach Petersburg geschickt,
von der Censurbehörde jedoch die Erlaubniß zum Druck nicht erlangen könne".


dem zufolge ihr Benehmen ein, wenn sie mit Tschitschikow in Berührung kamen.
Daß ihm unter so bewandten Umständen alle guten Eigenschaften beigelegt wurden,
versteht sich von selbst; er hatte Verstand, Geist, angenehme Manieren, kurz alles,
was zu einem ächten Cavalier gehört, und ma» wartete gespannt darauf, wer wol
die Glückliche sein dürfte, der er sein Taschentuch zuwerfen würde.

Da will es das Unglück, daß ans einem Balle ein junger Mann in mehr
als rosenfarbener Weinlaune an Tschitschikow Herautritt/ und ihn fragt, warum
er verstorbene Seelen kaufe. - ' ,

Dieses Wort durchläuft wie ein Blitz den Saal, Der Held des Stücks sieht sich
plötzlich um alleu Credit gebracht, macht sich unbemerkt ans dem Staube — und
die Komödie ist aus. Doch nein; im letzten Capitel giebt uns ja der Versasser
die Auslösung des Räthsels, und diese ist keineswegs eine reiche Heirath, wie
vielleicht Mancher zu glauben geneigt sein dürfte. Wenn Tschitschikow hie und
da die.Augen auf eine sogenannte „gute Partie" wirft, so geschieht dies uur
so nebenbei, weil er denkt, Zubuße der Art mache gerade keinen Kummer; doch
sein Hauptziel ist ein anderes, weniger poetisches, und stützt sich ebenfalls auf
eine der russischen Institutionen.

Unter der Benennung „Vormnndsrath" hat die russische Regierung eine Art
von Bank ins Leben treten lassen, deren Ausgabe es ist, verschuldeten Eigenthü¬
mern zu Hilfe zu kommen und sie vor den Geierklanen der Wucherer zu schützen.
Ans Grund des Eigenthumstitels leistet sie Vorschüsse, und zwar 200 Rubel per
Seele; ist also ein Versatzamt, wo statt Juwelen, Gold und Silber, der Mensch
oder vielmehr die Seele als Pfand eingesetzt wird. Mit dem gerichtlich vollgil-
tigen Beweis in der Tasche, Eigenthümer« vou -1000 Seelen zu sein, begiebt sich
Tschitschikow in das Wohlthätigkeitsinstitnt, und erhebt ans sein längst in die
Wohnungen des Friedens eingegangenes Eigenthum die Kleinigkeit von 200,000
Rubeln, und schlägt damit schleunigst den Weg nach dem Westen ein, um so der
Unannehmlichkeit zu entgehen, mit den Gerichten in Auseinandersetzungen zu ge¬
rathen und in deren Folge einen Zwangspaß nach den arktischen Regionen des
Czarenreiches zu empfangen.

Ungeachtet der Unwahrscheinlichkeit in der Anlage ist Gogol's letzte Schöpfung
ein Meisterstück, denn es zeichnet Zustände und Personen mit unübertrefflichen
Strichen. In Rußland hatte es einen fabelhaften Erfolg, und Professor Pogodin,
der den Verlag übernommen, machte einen Gewinn von 6000 Rubel Silber,
eine Summe, die als ungeheuer bezeichnet werden muß, wenn man bedenkt, wie
wenig in Nußland im Verhältniß gelesen wird.,

Mit Ungeduld wartete man auf den zweiten Theil der „verstorbenen Seelen",
doch vergebens. Gogol war unterdessen ins Ausland gereist und lebte in Rom.
Von dort aus, so sagt mau, hätte er das Manuscript nach Petersburg geschickt,
von der Censurbehörde jedoch die Erlaubniß zum Druck nicht erlangen könne».


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/34>, abgerufen am 22.12.2024.