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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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'nebenbei bemerkt, aus S bis 6000 Christenköpfen, Soldaten, Beamten, Kaufleuten
und Gastwirthen, und aus 30,000 Muhamedanern. Es ist, wie ich vernahm,
nicht ungewöhnlich, daß italienische oder französische Banden, welche auf die
Langeweile in einer Provinzialstadt Algiers speculiren, aus Europa herüberkom¬
men. Dann berühren sich am Rande der Wüste die Extreme; die raffinirte fran¬
zösische Civilisation und maurische Wildheit, das Theater und die Moschee, die
Triller der Sängerin und der wilde Schlachtruf der Beduinen.

Ich wandte mich voll böser Ahnungen von dem rothen Theaterzettel ab und
sprach gegen meinen Freund traurig den Wunsch aus, dem Theater fern zu
bleiben, was um so leichter möglich war, da die Gesellschaft bei den Kritikern
von Constantine in dem Rufe stand, schändlich zu singen und ihr Spiel mit gro¬
ßer Fertigkeit dem Werthe ihres Gesanges anzupassen. Aber obgleich mein
Spahi und ich schworen, daß wir die letzten Abende meines Aufenthalts besser
zubringen wollten als dnrch den Besuch der Oper, so war doch Alles ver¬
gebens. --

Die letzte Nacht hatte ich mit Officieren der LKasssurs Ä'^lriqM und -den
Spahis ziemlich wild durchschwärmt und manches Glas mit gutem spanischen
Wein war dabei ans ein friedliches Wiedersehn in dieser Welt geleert worden.
Als der Morgen anbrach, nahm ich noch Abschied von meinem kleinen feurigen
Fuchshengst, der mich so treu durch die Schluchten des Atlasgebirges getragen
hatte, ich gab ihn seinem Eigner, einem weißbärtigen Unterofficier der Spahis,
von dem ich das Thier für die ganze Zeit meines Aufenthalts gegen eine Summe
Geldes geliehen hatte, zurück und rüstete mich zur Abreise. Von Constantine
geht nach dem neuangelegter Hafenort Philippeville einige Male in der Woche
ein ehrwürdiger colossaler Omnibus, er sollte mich und mein Gepäck zur See
schaffen. Schlag sechs Uhr am Morgen sollte nach der feierlichen Versicherung
im Bureau des Omnibus das Ungeheuer abgehen, und mit militärischer Pünkt¬
lichkeit stellte ich mich ans dem xlaes lleivours ein. Meine Freunde gaben mir
in einer Mischung von Banketlanne und Morgenfrösteln das Geleite. Da stand
der alte schmuzige Wagen, der in seiner Jugend, einer längst vergangenen Zeit,
in Marseille oder Toulon geglänzt hatte, noch einsam, und recht traurig und
lebensmüde sah er aus; seine grelle rothe Farbe war verschossen, seine Leder¬
schürzen geflickt, seine Fensterscheiben zerbrochen und die Tritte verbogen. Nie
hatte, ich ein elenderes Individuum von einem alten Riesen gesehen. Wenn die>
Beförderung nicht besser war, als dieser Leviathan der Wüste, so stand mir
keine reizende Fahrt nach Philippeville bevor. Indeß man muß von einem neuen
Laude nicht zu viel verlangen, und wer hier reisen will, muß sich noch andere
Dinge gefallen lassen. Zuletzt hat gerade die -beständige Abwechselung von Leid
und Freud, vou Langeweile und Genuß sür den Reisenden einen Reiz, den er
im civilistrten Europa nur noch selten empfinden wird.


'nebenbei bemerkt, aus S bis 6000 Christenköpfen, Soldaten, Beamten, Kaufleuten
und Gastwirthen, und aus 30,000 Muhamedanern. Es ist, wie ich vernahm,
nicht ungewöhnlich, daß italienische oder französische Banden, welche auf die
Langeweile in einer Provinzialstadt Algiers speculiren, aus Europa herüberkom¬
men. Dann berühren sich am Rande der Wüste die Extreme; die raffinirte fran¬
zösische Civilisation und maurische Wildheit, das Theater und die Moschee, die
Triller der Sängerin und der wilde Schlachtruf der Beduinen.

Ich wandte mich voll böser Ahnungen von dem rothen Theaterzettel ab und
sprach gegen meinen Freund traurig den Wunsch aus, dem Theater fern zu
bleiben, was um so leichter möglich war, da die Gesellschaft bei den Kritikern
von Constantine in dem Rufe stand, schändlich zu singen und ihr Spiel mit gro¬
ßer Fertigkeit dem Werthe ihres Gesanges anzupassen. Aber obgleich mein
Spahi und ich schworen, daß wir die letzten Abende meines Aufenthalts besser
zubringen wollten als dnrch den Besuch der Oper, so war doch Alles ver¬
gebens. —

Die letzte Nacht hatte ich mit Officieren der LKasssurs Ä'^lriqM und -den
Spahis ziemlich wild durchschwärmt und manches Glas mit gutem spanischen
Wein war dabei ans ein friedliches Wiedersehn in dieser Welt geleert worden.
Als der Morgen anbrach, nahm ich noch Abschied von meinem kleinen feurigen
Fuchshengst, der mich so treu durch die Schluchten des Atlasgebirges getragen
hatte, ich gab ihn seinem Eigner, einem weißbärtigen Unterofficier der Spahis,
von dem ich das Thier für die ganze Zeit meines Aufenthalts gegen eine Summe
Geldes geliehen hatte, zurück und rüstete mich zur Abreise. Von Constantine
geht nach dem neuangelegter Hafenort Philippeville einige Male in der Woche
ein ehrwürdiger colossaler Omnibus, er sollte mich und mein Gepäck zur See
schaffen. Schlag sechs Uhr am Morgen sollte nach der feierlichen Versicherung
im Bureau des Omnibus das Ungeheuer abgehen, und mit militärischer Pünkt¬
lichkeit stellte ich mich ans dem xlaes lleivours ein. Meine Freunde gaben mir
in einer Mischung von Banketlanne und Morgenfrösteln das Geleite. Da stand
der alte schmuzige Wagen, der in seiner Jugend, einer längst vergangenen Zeit,
in Marseille oder Toulon geglänzt hatte, noch einsam, und recht traurig und
lebensmüde sah er aus; seine grelle rothe Farbe war verschossen, seine Leder¬
schürzen geflickt, seine Fensterscheiben zerbrochen und die Tritte verbogen. Nie
hatte, ich ein elenderes Individuum von einem alten Riesen gesehen. Wenn die>
Beförderung nicht besser war, als dieser Leviathan der Wüste, so stand mir
keine reizende Fahrt nach Philippeville bevor. Indeß man muß von einem neuen
Laude nicht zu viel verlangen, und wer hier reisen will, muß sich noch andere
Dinge gefallen lassen. Zuletzt hat gerade die -beständige Abwechselung von Leid
und Freud, vou Langeweile und Genuß sür den Reisenden einen Reiz, den er
im civilistrten Europa nur noch selten empfinden wird.


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[0334] 'nebenbei bemerkt, aus S bis 6000 Christenköpfen, Soldaten, Beamten, Kaufleuten und Gastwirthen, und aus 30,000 Muhamedanern. Es ist, wie ich vernahm, nicht ungewöhnlich, daß italienische oder französische Banden, welche auf die Langeweile in einer Provinzialstadt Algiers speculiren, aus Europa herüberkom¬ men. Dann berühren sich am Rande der Wüste die Extreme; die raffinirte fran¬ zösische Civilisation und maurische Wildheit, das Theater und die Moschee, die Triller der Sängerin und der wilde Schlachtruf der Beduinen. Ich wandte mich voll böser Ahnungen von dem rothen Theaterzettel ab und sprach gegen meinen Freund traurig den Wunsch aus, dem Theater fern zu bleiben, was um so leichter möglich war, da die Gesellschaft bei den Kritikern von Constantine in dem Rufe stand, schändlich zu singen und ihr Spiel mit gro¬ ßer Fertigkeit dem Werthe ihres Gesanges anzupassen. Aber obgleich mein Spahi und ich schworen, daß wir die letzten Abende meines Aufenthalts besser zubringen wollten als dnrch den Besuch der Oper, so war doch Alles ver¬ gebens. — Die letzte Nacht hatte ich mit Officieren der LKasssurs Ä'^lriqM und -den Spahis ziemlich wild durchschwärmt und manches Glas mit gutem spanischen Wein war dabei ans ein friedliches Wiedersehn in dieser Welt geleert worden. Als der Morgen anbrach, nahm ich noch Abschied von meinem kleinen feurigen Fuchshengst, der mich so treu durch die Schluchten des Atlasgebirges getragen hatte, ich gab ihn seinem Eigner, einem weißbärtigen Unterofficier der Spahis, von dem ich das Thier für die ganze Zeit meines Aufenthalts gegen eine Summe Geldes geliehen hatte, zurück und rüstete mich zur Abreise. Von Constantine geht nach dem neuangelegter Hafenort Philippeville einige Male in der Woche ein ehrwürdiger colossaler Omnibus, er sollte mich und mein Gepäck zur See schaffen. Schlag sechs Uhr am Morgen sollte nach der feierlichen Versicherung im Bureau des Omnibus das Ungeheuer abgehen, und mit militärischer Pünkt¬ lichkeit stellte ich mich ans dem xlaes lleivours ein. Meine Freunde gaben mir in einer Mischung von Banketlanne und Morgenfrösteln das Geleite. Da stand der alte schmuzige Wagen, der in seiner Jugend, einer längst vergangenen Zeit, in Marseille oder Toulon geglänzt hatte, noch einsam, und recht traurig und lebensmüde sah er aus; seine grelle rothe Farbe war verschossen, seine Leder¬ schürzen geflickt, seine Fensterscheiben zerbrochen und die Tritte verbogen. Nie hatte, ich ein elenderes Individuum von einem alten Riesen gesehen. Wenn die> Beförderung nicht besser war, als dieser Leviathan der Wüste, so stand mir keine reizende Fahrt nach Philippeville bevor. Indeß man muß von einem neuen Laude nicht zu viel verlangen, und wer hier reisen will, muß sich noch andere Dinge gefallen lassen. Zuletzt hat gerade die -beständige Abwechselung von Leid und Freud, vou Langeweile und Genuß sür den Reisenden einen Reiz, den er im civilistrten Europa nur noch selten empfinden wird.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/334>, abgerufen am 22.12.2024.