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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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zu werden", das seinem Inhalt nach eine ziemlich trübe Verwässerung des
Liebestranks ist und aus einer Reihe von Liedern besteht, die sich in gar nichts über
den bereits bekannten Standpunkt früherer Lieder desselben Komponisten erheben.
Ein zweites Liederspiel steht in Aussicht. Wir haben dabei nnr zu bedauern, daß
die Hofbühne unsre vorstädtischen und Sommer-Theater um die ihnen zukommende
Beute bringt.

Von älteren Werken wurden von Neuem einstudirt Glucks Iphigenia in
Antis, die Olympia von Spontini und Weber's Euryanthe. Von den beiden
Iphigenien würde, glaube ich, die'in Antis, obschon in der musikalischen Ausführung
tiefer stehend, wegen ihrer stofflichen Mannichfaltigkeit am populairstcn werden,
wenn außer der Klytämnestra und Iphigenia auch der Agamemnon und Achill
gute Darsteller finden. Der Agamemnon wurde von Krause wenigstens gut
gesungen, dagegen der Achill, eine Hauptstütze des Werks, in beiden Beziehungen
schlecht dargestellt. In der Taurischen Iphigenie herrscht eine viel einseitigere
Grundfärbung, als in der Aulischcu, die aus die Dauer trotz aller Vvrzüglich-
keitcu im Einzelnen ermüdet. Als Klytämnestra war Johanna Wagner eben so
vortrefflich, wie als Statira in der Olympia. Die Olympia steht mit der Nestalin
und dem Ferdinand Cortez im Ganzen ans einer Stufe; alle diese Werke haben
den einen Fehler, daß die Ausprägung der Charaktere nicht individuell genug ist.
Die Wahrheit und Eindringlichkeit der Zeichnung geht unter allgemeinen Typen
zu Grunde. Die Composition ist rein und edel, läßt uns aber kalt. Auf dieser
Bahn können wir eben so wenig ausschließlich wandeln, als auf der entgegensetzten,
von Meyerbeer eingeschlagenen, die in der Accentuirung des Individuellen, von
dem Normalen Abweichenden besteht. Aber eben darum mußte Meyerbeer weit
mehr Glück machen, als Spontini; denn vor allen Dingen verlangt man, nicht
gelangweilt zu werden; die bloße Bewunderung ist ein kälter Affekt. Die
Euryanthe hatte ebenfalls seit einigen Jahren geruht. Es ward' mir bei dieser
Aufführung, vielleicht dadurch, daß die Eglantine so ausgezeichnet gegeben wurde,
sehr klar, daß die Euryanthe trotz vieler Unvollkommen!)eilen, dennoch die beste
Oper Weber's ist/ diejenige, in der er die romantische Formlosigkeit und Sub-
jectivität am entschiedensten überwunden hat. Namentlich ist das Finale des
zweiten Actes zu dem Besten zu rechnen, was die Deutschen auf dem Gebiet
des musikalischen Dramas hervorgebracht haben. Weber hat hier sehr glücklich
die Forderung des steten dramatischen Flusses mit der eben so wichtigen oder noch
wichtigeren der musikalischen Continuität zu vereinigen gewußt. Es ist eine
durchgehende Erfahrung, daß die besseren und kräftigeren Naturen unter den
Romantikern, je älter sie wurden, um so mehr aus ihrer Zerfahrenheit und sub-
jectiven Willkür herausstrebten; und nur in neuester Zeit müssen wir es erleben,
daß man eine, musikalisch betrachtet, chaotische Musik'als das Wahre hinstellt, daß
man die rein musikalische Kontinuität und Formauspräguug für Nichts hält und


zu werden", das seinem Inhalt nach eine ziemlich trübe Verwässerung des
Liebestranks ist und aus einer Reihe von Liedern besteht, die sich in gar nichts über
den bereits bekannten Standpunkt früherer Lieder desselben Komponisten erheben.
Ein zweites Liederspiel steht in Aussicht. Wir haben dabei nnr zu bedauern, daß
die Hofbühne unsre vorstädtischen und Sommer-Theater um die ihnen zukommende
Beute bringt.

Von älteren Werken wurden von Neuem einstudirt Glucks Iphigenia in
Antis, die Olympia von Spontini und Weber's Euryanthe. Von den beiden
Iphigenien würde, glaube ich, die'in Antis, obschon in der musikalischen Ausführung
tiefer stehend, wegen ihrer stofflichen Mannichfaltigkeit am populairstcn werden,
wenn außer der Klytämnestra und Iphigenia auch der Agamemnon und Achill
gute Darsteller finden. Der Agamemnon wurde von Krause wenigstens gut
gesungen, dagegen der Achill, eine Hauptstütze des Werks, in beiden Beziehungen
schlecht dargestellt. In der Taurischen Iphigenie herrscht eine viel einseitigere
Grundfärbung, als in der Aulischcu, die aus die Dauer trotz aller Vvrzüglich-
keitcu im Einzelnen ermüdet. Als Klytämnestra war Johanna Wagner eben so
vortrefflich, wie als Statira in der Olympia. Die Olympia steht mit der Nestalin
und dem Ferdinand Cortez im Ganzen ans einer Stufe; alle diese Werke haben
den einen Fehler, daß die Ausprägung der Charaktere nicht individuell genug ist.
Die Wahrheit und Eindringlichkeit der Zeichnung geht unter allgemeinen Typen
zu Grunde. Die Composition ist rein und edel, läßt uns aber kalt. Auf dieser
Bahn können wir eben so wenig ausschließlich wandeln, als auf der entgegensetzten,
von Meyerbeer eingeschlagenen, die in der Accentuirung des Individuellen, von
dem Normalen Abweichenden besteht. Aber eben darum mußte Meyerbeer weit
mehr Glück machen, als Spontini; denn vor allen Dingen verlangt man, nicht
gelangweilt zu werden; die bloße Bewunderung ist ein kälter Affekt. Die
Euryanthe hatte ebenfalls seit einigen Jahren geruht. Es ward' mir bei dieser
Aufführung, vielleicht dadurch, daß die Eglantine so ausgezeichnet gegeben wurde,
sehr klar, daß die Euryanthe trotz vieler Unvollkommen!)eilen, dennoch die beste
Oper Weber's ist/ diejenige, in der er die romantische Formlosigkeit und Sub-
jectivität am entschiedensten überwunden hat. Namentlich ist das Finale des
zweiten Actes zu dem Besten zu rechnen, was die Deutschen auf dem Gebiet
des musikalischen Dramas hervorgebracht haben. Weber hat hier sehr glücklich
die Forderung des steten dramatischen Flusses mit der eben so wichtigen oder noch
wichtigeren der musikalischen Continuität zu vereinigen gewußt. Es ist eine
durchgehende Erfahrung, daß die besseren und kräftigeren Naturen unter den
Romantikern, je älter sie wurden, um so mehr aus ihrer Zerfahrenheit und sub-
jectiven Willkür herausstrebten; und nur in neuester Zeit müssen wir es erleben,
daß man eine, musikalisch betrachtet, chaotische Musik'als das Wahre hinstellt, daß
man die rein musikalische Kontinuität und Formauspräguug für Nichts hält und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/326>, abgerufen am 22.12.2024.