Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Im Jahr 1817, als der Freiheitskampf beendigt war/ und mit der Restau¬
ration der verschimmelten Heiligkeit, auch die Restauration der'Poesie begann, in
jener seligen Zeit des Zauberrings, der Teufelselexiere und der Clanreuschen
Novellen gab Arnim seinen der Anlage nach größten Roman heraus: Die
Kronenwächter, von dem aber nur der erste Theil erschienen ist: Berthold's
erstes und zweites Leben. Er spielte in der Regierung des Kaiser Maxi¬
milian, einer Zeit, die Arnim wegen ihrer fratzenhaft realistischen Natur und ihrer
barockverständigen Zustände besonders am Herzen liegt. -- Die Scene eröffnet
sich in der ärmlichen Behausung eines alten Thürmers, dessen Frau nicht vom
Thurm herunter kann, weil sie den Schwindel hat, nicht, wie der böse Leumund
sagt, weil sie zu dick für die enge Wendeltreppe ist. Später wird sie von außen
durch eine Maschine hernntergewuuden. Ein seltsamer Hornstoß ruft deu Wächter
herunter. Von einem finstern Reiter wird ihm ein Kind übergeben mit der
Warnung: Gedenke deines Schwurs! Er schaudert zusammen, aber in einem ge¬
müthlichen Augenblick vergißt er doch diesen Schwur, nichts auszuplaudern, und
erzählt seinem Weibe, so wie seinem Hausfreund, dem Privatschreiber Berthold,
seine Geschichte. Er hat früher bei den Kronenwächtern gedient, einer mystisch
alterthümlichen Nitterverbrüderung, die den Zweck hat, die Hohenstauffen wieder
auf den Thron zu setzen und mit ihnen das Mittelalter wieder heraufzubeschwören.
Ihre Hauptbeschäftigung ist, das Geschlecht der Hohenstauffen, das sich noch immer
in einigen Zweigen erhalten, fortpflanzen zu lassen und zu seiner künftigen Be¬
stimmung zu erziehen. In der Regel aber werden die einzelnen Hohenstauffen,
sobald sie ein Kind erzeugt, von ihren Erziehern selbst erschossen, weil sie
Geheimnisse ausplaudern oder sonst etwas Unrechtes thun. Die Kroneuwächter
sind alte, knorrige, finstere, nur im Mittelalter lebende Gesellen, und wohnen in
einem verzauberten Schloß, das zum Theil von Glas ist, und in dessen höchstem
Thurm die alte Krone der Hohenstauffen aufbewahrt wird. Die Hohenstauffen
selbst hassen einander bis auf das Blut, darum fallen unendliche Mordthaten
unter ihnen vor. -- Sobald der Thürmer seiue Geschichte erzählt, trifft ihn der
Eichende Pfeil eines Krouenwächters. Seine Frau verheirathet sich mit jenem
Hausfreunde, der ihr zu Liebe Thürmer wird, und das Hohenstauffenkind, eben¬
falls Berthold genannt, zum Schreiber erzieht. Seine Dienstzeit, sowie überhaupt
das städtische Kleinleben jener Tage ist im Detail mit aller Gemüthlichkeit des
niederländischen Humors, man kann wol sagen, mit Meisterhand ausgeführt.
Der schüchterne, junge Schreiber in seinem alterthümlichen, künstlich zusammen¬
geflickten Rock verliebt sich in Apollonia, die Tochter seines Bürgermeisters, der
ihn deshalb mit Fußtritten aus dem Hanse jagt; kommt in seinem Gram in einen
verzauberten Garten, wo plötzlich das lange verschwundene Schloß der Hohen¬
stauffen sich als Vision oder Realität, man weiß nicht genau,, seinen Blicken zeigt.
Hier erfährt er von einem Krvnenwächter seine Geschichte, kauft den Platz, legt


Grenzboten. III. ->8L2. 39 '

Im Jahr 1817, als der Freiheitskampf beendigt war/ und mit der Restau¬
ration der verschimmelten Heiligkeit, auch die Restauration der'Poesie begann, in
jener seligen Zeit des Zauberrings, der Teufelselexiere und der Clanreuschen
Novellen gab Arnim seinen der Anlage nach größten Roman heraus: Die
Kronenwächter, von dem aber nur der erste Theil erschienen ist: Berthold's
erstes und zweites Leben. Er spielte in der Regierung des Kaiser Maxi¬
milian, einer Zeit, die Arnim wegen ihrer fratzenhaft realistischen Natur und ihrer
barockverständigen Zustände besonders am Herzen liegt. — Die Scene eröffnet
sich in der ärmlichen Behausung eines alten Thürmers, dessen Frau nicht vom
Thurm herunter kann, weil sie den Schwindel hat, nicht, wie der böse Leumund
sagt, weil sie zu dick für die enge Wendeltreppe ist. Später wird sie von außen
durch eine Maschine hernntergewuuden. Ein seltsamer Hornstoß ruft deu Wächter
herunter. Von einem finstern Reiter wird ihm ein Kind übergeben mit der
Warnung: Gedenke deines Schwurs! Er schaudert zusammen, aber in einem ge¬
müthlichen Augenblick vergißt er doch diesen Schwur, nichts auszuplaudern, und
erzählt seinem Weibe, so wie seinem Hausfreund, dem Privatschreiber Berthold,
seine Geschichte. Er hat früher bei den Kronenwächtern gedient, einer mystisch
alterthümlichen Nitterverbrüderung, die den Zweck hat, die Hohenstauffen wieder
auf den Thron zu setzen und mit ihnen das Mittelalter wieder heraufzubeschwören.
Ihre Hauptbeschäftigung ist, das Geschlecht der Hohenstauffen, das sich noch immer
in einigen Zweigen erhalten, fortpflanzen zu lassen und zu seiner künftigen Be¬
stimmung zu erziehen. In der Regel aber werden die einzelnen Hohenstauffen,
sobald sie ein Kind erzeugt, von ihren Erziehern selbst erschossen, weil sie
Geheimnisse ausplaudern oder sonst etwas Unrechtes thun. Die Kroneuwächter
sind alte, knorrige, finstere, nur im Mittelalter lebende Gesellen, und wohnen in
einem verzauberten Schloß, das zum Theil von Glas ist, und in dessen höchstem
Thurm die alte Krone der Hohenstauffen aufbewahrt wird. Die Hohenstauffen
selbst hassen einander bis auf das Blut, darum fallen unendliche Mordthaten
unter ihnen vor. — Sobald der Thürmer seiue Geschichte erzählt, trifft ihn der
Eichende Pfeil eines Krouenwächters. Seine Frau verheirathet sich mit jenem
Hausfreunde, der ihr zu Liebe Thürmer wird, und das Hohenstauffenkind, eben¬
falls Berthold genannt, zum Schreiber erzieht. Seine Dienstzeit, sowie überhaupt
das städtische Kleinleben jener Tage ist im Detail mit aller Gemüthlichkeit des
niederländischen Humors, man kann wol sagen, mit Meisterhand ausgeführt.
Der schüchterne, junge Schreiber in seinem alterthümlichen, künstlich zusammen¬
geflickten Rock verliebt sich in Apollonia, die Tochter seines Bürgermeisters, der
ihn deshalb mit Fußtritten aus dem Hanse jagt; kommt in seinem Gram in einen
verzauberten Garten, wo plötzlich das lange verschwundene Schloß der Hohen¬
stauffen sich als Vision oder Realität, man weiß nicht genau,, seinen Blicken zeigt.
Hier erfährt er von einem Krvnenwächter seine Geschichte, kauft den Platz, legt


Grenzboten. III. ->8L2. 39 '
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <div n="3">
              <pb facs="#f0317" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/94758"/>
              <p xml:id="ID_965" next="#ID_966"> Im Jahr 1817, als der Freiheitskampf beendigt war/ und mit der Restau¬<lb/>
ration der verschimmelten Heiligkeit, auch die Restauration der'Poesie begann, in<lb/>
jener seligen Zeit des Zauberrings, der Teufelselexiere und der Clanreuschen<lb/>
Novellen gab Arnim seinen der Anlage nach größten Roman heraus: Die<lb/>
Kronenwächter, von dem aber nur der erste Theil erschienen ist: Berthold's<lb/>
erstes und zweites Leben.  Er spielte in der Regierung des Kaiser Maxi¬<lb/>
milian, einer Zeit, die Arnim wegen ihrer fratzenhaft realistischen Natur und ihrer<lb/>
barockverständigen Zustände besonders am Herzen liegt. &#x2014; Die Scene eröffnet<lb/>
sich in der ärmlichen Behausung eines alten Thürmers, dessen Frau nicht vom<lb/>
Thurm herunter kann, weil sie den Schwindel hat, nicht, wie der böse Leumund<lb/>
sagt, weil sie zu dick für die enge Wendeltreppe ist.  Später wird sie von außen<lb/>
durch eine Maschine hernntergewuuden.  Ein seltsamer Hornstoß ruft deu Wächter<lb/>
herunter.  Von einem finstern Reiter wird ihm ein Kind übergeben mit der<lb/>
Warnung: Gedenke deines Schwurs! Er schaudert zusammen, aber in einem ge¬<lb/>
müthlichen Augenblick vergißt er doch diesen Schwur, nichts auszuplaudern, und<lb/>
erzählt seinem Weibe, so wie seinem Hausfreund, dem Privatschreiber Berthold,<lb/>
seine Geschichte.  Er hat früher bei den Kronenwächtern gedient, einer mystisch<lb/>
alterthümlichen Nitterverbrüderung, die den Zweck hat, die Hohenstauffen wieder<lb/>
auf den Thron zu setzen und mit ihnen das Mittelalter wieder heraufzubeschwören.<lb/>
Ihre Hauptbeschäftigung ist, das Geschlecht der Hohenstauffen, das sich noch immer<lb/>
in einigen Zweigen erhalten, fortpflanzen zu lassen und zu seiner künftigen Be¬<lb/>
stimmung zu erziehen.  In der Regel aber werden die einzelnen Hohenstauffen,<lb/>
sobald sie ein Kind erzeugt, von ihren Erziehern selbst erschossen, weil sie<lb/>
Geheimnisse ausplaudern oder sonst etwas Unrechtes thun.  Die Kroneuwächter<lb/>
sind alte, knorrige, finstere, nur im Mittelalter lebende Gesellen, und wohnen in<lb/>
einem verzauberten Schloß, das zum Theil von Glas ist, und in dessen höchstem<lb/>
Thurm die alte Krone der Hohenstauffen aufbewahrt wird.  Die Hohenstauffen<lb/>
selbst hassen einander bis auf das Blut, darum fallen unendliche Mordthaten<lb/>
unter ihnen vor. &#x2014; Sobald der Thürmer seiue Geschichte erzählt, trifft ihn der<lb/>
Eichende Pfeil eines Krouenwächters.  Seine Frau verheirathet sich mit jenem<lb/>
Hausfreunde, der ihr zu Liebe Thürmer wird, und das Hohenstauffenkind, eben¬<lb/>
falls Berthold genannt, zum Schreiber erzieht.  Seine Dienstzeit, sowie überhaupt<lb/>
das städtische Kleinleben jener Tage ist im Detail mit aller Gemüthlichkeit des<lb/>
niederländischen Humors, man kann wol sagen, mit Meisterhand ausgeführt.<lb/>
Der schüchterne, junge Schreiber in seinem alterthümlichen, künstlich zusammen¬<lb/>
geflickten Rock verliebt sich in Apollonia, die Tochter seines Bürgermeisters, der<lb/>
ihn deshalb mit Fußtritten aus dem Hanse jagt; kommt in seinem Gram in einen<lb/>
verzauberten Garten, wo plötzlich das lange verschwundene Schloß der Hohen¬<lb/>
stauffen sich als Vision oder Realität, man weiß nicht genau,, seinen Blicken zeigt.<lb/>
Hier erfährt er von einem Krvnenwächter seine Geschichte, kauft den Platz, legt</p><lb/>
              <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten. III. -&gt;8L2. 39 '</fw><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0317] Im Jahr 1817, als der Freiheitskampf beendigt war/ und mit der Restau¬ ration der verschimmelten Heiligkeit, auch die Restauration der'Poesie begann, in jener seligen Zeit des Zauberrings, der Teufelselexiere und der Clanreuschen Novellen gab Arnim seinen der Anlage nach größten Roman heraus: Die Kronenwächter, von dem aber nur der erste Theil erschienen ist: Berthold's erstes und zweites Leben. Er spielte in der Regierung des Kaiser Maxi¬ milian, einer Zeit, die Arnim wegen ihrer fratzenhaft realistischen Natur und ihrer barockverständigen Zustände besonders am Herzen liegt. — Die Scene eröffnet sich in der ärmlichen Behausung eines alten Thürmers, dessen Frau nicht vom Thurm herunter kann, weil sie den Schwindel hat, nicht, wie der böse Leumund sagt, weil sie zu dick für die enge Wendeltreppe ist. Später wird sie von außen durch eine Maschine hernntergewuuden. Ein seltsamer Hornstoß ruft deu Wächter herunter. Von einem finstern Reiter wird ihm ein Kind übergeben mit der Warnung: Gedenke deines Schwurs! Er schaudert zusammen, aber in einem ge¬ müthlichen Augenblick vergißt er doch diesen Schwur, nichts auszuplaudern, und erzählt seinem Weibe, so wie seinem Hausfreund, dem Privatschreiber Berthold, seine Geschichte. Er hat früher bei den Kronenwächtern gedient, einer mystisch alterthümlichen Nitterverbrüderung, die den Zweck hat, die Hohenstauffen wieder auf den Thron zu setzen und mit ihnen das Mittelalter wieder heraufzubeschwören. Ihre Hauptbeschäftigung ist, das Geschlecht der Hohenstauffen, das sich noch immer in einigen Zweigen erhalten, fortpflanzen zu lassen und zu seiner künftigen Be¬ stimmung zu erziehen. In der Regel aber werden die einzelnen Hohenstauffen, sobald sie ein Kind erzeugt, von ihren Erziehern selbst erschossen, weil sie Geheimnisse ausplaudern oder sonst etwas Unrechtes thun. Die Kroneuwächter sind alte, knorrige, finstere, nur im Mittelalter lebende Gesellen, und wohnen in einem verzauberten Schloß, das zum Theil von Glas ist, und in dessen höchstem Thurm die alte Krone der Hohenstauffen aufbewahrt wird. Die Hohenstauffen selbst hassen einander bis auf das Blut, darum fallen unendliche Mordthaten unter ihnen vor. — Sobald der Thürmer seiue Geschichte erzählt, trifft ihn der Eichende Pfeil eines Krouenwächters. Seine Frau verheirathet sich mit jenem Hausfreunde, der ihr zu Liebe Thürmer wird, und das Hohenstauffenkind, eben¬ falls Berthold genannt, zum Schreiber erzieht. Seine Dienstzeit, sowie überhaupt das städtische Kleinleben jener Tage ist im Detail mit aller Gemüthlichkeit des niederländischen Humors, man kann wol sagen, mit Meisterhand ausgeführt. Der schüchterne, junge Schreiber in seinem alterthümlichen, künstlich zusammen¬ geflickten Rock verliebt sich in Apollonia, die Tochter seines Bürgermeisters, der ihn deshalb mit Fußtritten aus dem Hanse jagt; kommt in seinem Gram in einen verzauberten Garten, wo plötzlich das lange verschwundene Schloß der Hohen¬ stauffen sich als Vision oder Realität, man weiß nicht genau,, seinen Blicken zeigt. Hier erfährt er von einem Krvnenwächter seine Geschichte, kauft den Platz, legt Grenzboten. III. ->8L2. 39 '

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/317
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/317>, abgerufen am 03.01.2025.