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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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fertigen. Arnim dagegen verbindet sich die Augen und tappt in dem Labyrinth
seiner Erinnerungen, Studien und Träume ohne irgend einen Faden herum. --
Dieser Realismus erstreckt sich auch auf diejenigen Erfindungen, die mehr in's
Phantastische herüberspielen, wie z. B. die beiden Erzählungen: "Ma ria Meint
Blainville" und "die drei Majoratsherrn", die im Hoffmann'schen Ge¬
schmack gehalten sind und nicht ohne eine gewisse Kraft im Schauerlichen. Doch
wird auch hier der in einer fabelhaften Fülle zusammengedrängte Spuk durch
die Reflexionen in Hamlet'scher Manier und durch die ursprüngliche realistische
Richtung des Dichters fortwährend gestört. Wenn Hoffmann in Callot'scher
Manier schrieb, so wird man bei Arnim an Hieronymus Bosch und den Höllen-
breughel erinnert. Der Teufel ist ein Humorist; Schuld und Buße, Zweck und
Vernunft eine Grimasse, das Leben ein Traum, ein Somnambulismus, eine Hexe¬
rei, ein Uustuu, die Affen, je posstrlicher sie sind, die Prototypen dieses mensch¬
lichen Lügenspiels. -- Und doch wird man zuweilen durch einzelne Züge des
tiefsten Verständnisses überrascht, so z. B. in der Novelle: "die Kirchenordnung",
die tiefer, als es irgend von Seiten der Theologen geschehn, den großen Sinn
des Zeitalters der Reformation ausdrückt. Sie ist deutsch im besten Sinn, frei¬
lich auch.etwas altfränkisch und eckig, aber die Handlung schreitet doch deutlich
und bestimmt fort, die Charaktere sind lebendig und nicht ohne Gemüthstiefe an¬
gelegt, die Reflexionen wahr und bedeutend. Man kann sie am meisten mit Kleist's
Erzählungen vergleichen. -- Eine zweite Novelle: "Die Metamorphosen der Ge¬
sellschaft", schildert die.Gährung der Gegenwart. Die Darstellung ist zuweilen
barock und hölzern, die Ereignisse und Figuren drängen sich wie Pierrots in einem
Maskenspiel ungeschickt und verworren durcheinander, und wir werden in den Ent¬
wickelungen der Charaktere durch Wendungen überrascht, die uus verletzen müssen,
weil wir nicht im geringsten darauf vorbereitet sind, aber doch ist das Gefühl des
Dichters hier wirklich in dem, was er sich vorstellt, und die sociale Umwand¬
lung, an der.er in seinem innern Leben theilnimmt,' bedeutend genug um interessante
Perspectiven zu eröffnen.

Der mangelnde Idealismus soll durch eine zweite supranaturalistische Welt
ersetzt werden, die über diese närrisch wehmüthigen Geschichten eine träumerische,
geisterhafte Dämmerung breitet, die sich mit der Realität nicht recht vermischt und
sich doch nicht strenge von ihr scheidet. Den Unterschied der übersinnlichen Welt
bei Hoffmann und bei Arnim hat Heine sehr gut ausgedrückt. "Wenn Hoffmann
seine Todten beschwört, und sie ans den Gräbern heraufsteigen und um ihn
tanzen, dann zittert er selber vor Entsetzen und tanzt selber in ihrer Mitte und
schneidet dabei die tollsten Affengrimassen. Wenn aber Arnim seine Todten be¬
schwört, so ist's, als ob ein General Heerschau halte) und er sitzt so ruhig auf
seinem hohen Geisterschimmel, und läßt die entsetzlichen Schemen vor sich vorbei
destliren, und sie scheu ängstlich Aaas ihm hinauf und scheinen sich vor ihm zu sürch-


Grenzbotcn, III. ISöS- ' 38

fertigen. Arnim dagegen verbindet sich die Augen und tappt in dem Labyrinth
seiner Erinnerungen, Studien und Träume ohne irgend einen Faden herum. —
Dieser Realismus erstreckt sich auch auf diejenigen Erfindungen, die mehr in's
Phantastische herüberspielen, wie z. B. die beiden Erzählungen: „Ma ria Meint
Blainville" und „die drei Majoratsherrn", die im Hoffmann'schen Ge¬
schmack gehalten sind und nicht ohne eine gewisse Kraft im Schauerlichen. Doch
wird auch hier der in einer fabelhaften Fülle zusammengedrängte Spuk durch
die Reflexionen in Hamlet'scher Manier und durch die ursprüngliche realistische
Richtung des Dichters fortwährend gestört. Wenn Hoffmann in Callot'scher
Manier schrieb, so wird man bei Arnim an Hieronymus Bosch und den Höllen-
breughel erinnert. Der Teufel ist ein Humorist; Schuld und Buße, Zweck und
Vernunft eine Grimasse, das Leben ein Traum, ein Somnambulismus, eine Hexe¬
rei, ein Uustuu, die Affen, je posstrlicher sie sind, die Prototypen dieses mensch¬
lichen Lügenspiels. — Und doch wird man zuweilen durch einzelne Züge des
tiefsten Verständnisses überrascht, so z. B. in der Novelle: „die Kirchenordnung",
die tiefer, als es irgend von Seiten der Theologen geschehn, den großen Sinn
des Zeitalters der Reformation ausdrückt. Sie ist deutsch im besten Sinn, frei¬
lich auch.etwas altfränkisch und eckig, aber die Handlung schreitet doch deutlich
und bestimmt fort, die Charaktere sind lebendig und nicht ohne Gemüthstiefe an¬
gelegt, die Reflexionen wahr und bedeutend. Man kann sie am meisten mit Kleist's
Erzählungen vergleichen. — Eine zweite Novelle: „Die Metamorphosen der Ge¬
sellschaft", schildert die.Gährung der Gegenwart. Die Darstellung ist zuweilen
barock und hölzern, die Ereignisse und Figuren drängen sich wie Pierrots in einem
Maskenspiel ungeschickt und verworren durcheinander, und wir werden in den Ent¬
wickelungen der Charaktere durch Wendungen überrascht, die uus verletzen müssen,
weil wir nicht im geringsten darauf vorbereitet sind, aber doch ist das Gefühl des
Dichters hier wirklich in dem, was er sich vorstellt, und die sociale Umwand¬
lung, an der.er in seinem innern Leben theilnimmt,' bedeutend genug um interessante
Perspectiven zu eröffnen.

Der mangelnde Idealismus soll durch eine zweite supranaturalistische Welt
ersetzt werden, die über diese närrisch wehmüthigen Geschichten eine träumerische,
geisterhafte Dämmerung breitet, die sich mit der Realität nicht recht vermischt und
sich doch nicht strenge von ihr scheidet. Den Unterschied der übersinnlichen Welt
bei Hoffmann und bei Arnim hat Heine sehr gut ausgedrückt. „Wenn Hoffmann
seine Todten beschwört, und sie ans den Gräbern heraufsteigen und um ihn
tanzen, dann zittert er selber vor Entsetzen und tanzt selber in ihrer Mitte und
schneidet dabei die tollsten Affengrimassen. Wenn aber Arnim seine Todten be¬
schwört, so ist's, als ob ein General Heerschau halte) und er sitzt so ruhig auf
seinem hohen Geisterschimmel, und läßt die entsetzlichen Schemen vor sich vorbei
destliren, und sie scheu ängstlich Aaas ihm hinauf und scheinen sich vor ihm zu sürch-


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[0309] fertigen. Arnim dagegen verbindet sich die Augen und tappt in dem Labyrinth seiner Erinnerungen, Studien und Träume ohne irgend einen Faden herum. — Dieser Realismus erstreckt sich auch auf diejenigen Erfindungen, die mehr in's Phantastische herüberspielen, wie z. B. die beiden Erzählungen: „Ma ria Meint Blainville" und „die drei Majoratsherrn", die im Hoffmann'schen Ge¬ schmack gehalten sind und nicht ohne eine gewisse Kraft im Schauerlichen. Doch wird auch hier der in einer fabelhaften Fülle zusammengedrängte Spuk durch die Reflexionen in Hamlet'scher Manier und durch die ursprüngliche realistische Richtung des Dichters fortwährend gestört. Wenn Hoffmann in Callot'scher Manier schrieb, so wird man bei Arnim an Hieronymus Bosch und den Höllen- breughel erinnert. Der Teufel ist ein Humorist; Schuld und Buße, Zweck und Vernunft eine Grimasse, das Leben ein Traum, ein Somnambulismus, eine Hexe¬ rei, ein Uustuu, die Affen, je posstrlicher sie sind, die Prototypen dieses mensch¬ lichen Lügenspiels. — Und doch wird man zuweilen durch einzelne Züge des tiefsten Verständnisses überrascht, so z. B. in der Novelle: „die Kirchenordnung", die tiefer, als es irgend von Seiten der Theologen geschehn, den großen Sinn des Zeitalters der Reformation ausdrückt. Sie ist deutsch im besten Sinn, frei¬ lich auch.etwas altfränkisch und eckig, aber die Handlung schreitet doch deutlich und bestimmt fort, die Charaktere sind lebendig und nicht ohne Gemüthstiefe an¬ gelegt, die Reflexionen wahr und bedeutend. Man kann sie am meisten mit Kleist's Erzählungen vergleichen. — Eine zweite Novelle: „Die Metamorphosen der Ge¬ sellschaft", schildert die.Gährung der Gegenwart. Die Darstellung ist zuweilen barock und hölzern, die Ereignisse und Figuren drängen sich wie Pierrots in einem Maskenspiel ungeschickt und verworren durcheinander, und wir werden in den Ent¬ wickelungen der Charaktere durch Wendungen überrascht, die uus verletzen müssen, weil wir nicht im geringsten darauf vorbereitet sind, aber doch ist das Gefühl des Dichters hier wirklich in dem, was er sich vorstellt, und die sociale Umwand¬ lung, an der.er in seinem innern Leben theilnimmt,' bedeutend genug um interessante Perspectiven zu eröffnen. Der mangelnde Idealismus soll durch eine zweite supranaturalistische Welt ersetzt werden, die über diese närrisch wehmüthigen Geschichten eine träumerische, geisterhafte Dämmerung breitet, die sich mit der Realität nicht recht vermischt und sich doch nicht strenge von ihr scheidet. Den Unterschied der übersinnlichen Welt bei Hoffmann und bei Arnim hat Heine sehr gut ausgedrückt. „Wenn Hoffmann seine Todten beschwört, und sie ans den Gräbern heraufsteigen und um ihn tanzen, dann zittert er selber vor Entsetzen und tanzt selber in ihrer Mitte und schneidet dabei die tollsten Affengrimassen. Wenn aber Arnim seine Todten be¬ schwört, so ist's, als ob ein General Heerschau halte) und er sitzt so ruhig auf seinem hohen Geisterschimmel, und läßt die entsetzlichen Schemen vor sich vorbei destliren, und sie scheu ängstlich Aaas ihm hinauf und scheinen sich vor ihm zu sürch- Grenzbotcn, III. ISöS- ' 38

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/309>, abgerufen am 22.12.2024.