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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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Menschen und streut sie wie zusammenhangslose Atome in den unendlichen Raum der
Zeit; erst das Gefühl des Vaterlandes macht die Geschichte zu, einer Continuität.
Wo in der Geschichte etwas Großes geschehen ist, haben die Volker nicht blos um
ihres augenblicklichen Interesses willen gekämpst, sondern sür ihre Kinder und Kindes¬
kinder, denen sie eine freie Stätte als Erbtheil hinterlassen wollten. Dieser Glaube an
die Fortdauer des Geschlechts hat kräftiger und energischer gewirkt, als der Glaube an
die individuelle Fortdauer. Nur aus ihm ist jene Sittlichkeit hervorgegangen, die an
alten Traditionen nicht blos aus kleinlichen Zweckmäßigkeitsrücksichten, sondern aus leben¬
diger Pietät festhält. Es ist daher von unseren Fürsten und deren Rathgebern der
grenzenloseste Leichtsinn, dieses Gefühl zu untergraben oder wol gar zu verhöhnen, wie
es z. B. der Nundschaucr der Kreuzzeitung mit unausgesetztem Eifer, thut. Mit der
Aushebung des Patriotismus, des Nationalgefühls zerreißt das letzte Band, das uns
an die Vergangenheit fesselt, die Doctrinen des JunkcrthumS werden die Zersetzung alles
Lebens nicht aufhalten.

Wir verkennen nicht das großartige Leben, das sich in der neuen Welt entwickelt;
wir bestreiten nicht die Möglichkeit, daß von da aus einmal eine Regeneration des alten
Europa stattfinden könne, denn Amerika wächst von Jahr zu Jahr mit einer fieberhaften
Schnelligkeit an Arbeitskraft und Capital, während Europa mit eben so großer Schnellig¬
keit zurückgeht; aber wir finden in diesem Auswandcruugsdraug, der mit jeuer Blasirt-
heit des politischen Lebens auf das Innigste zusammenhängt, etwas eben so Krankhaftes
und Unnatürliches, als in dem demokratischen Fieber der vergangenen Jahre. Die
Auswanderer begeben sich keineswegs auf eiuen freien Boden, in dem sie ihre alten
Srttcn fortführen könnten, entledigt von dem Zwange, der sie in ihrer Heimath drückte;
sie treten vielmehr wenigstens vorläufig in die Dienstbarkeit einer fertigen, ihnen fremden
Nationalität, sie müssen ihre Vergangenheit opfern und werden auf das ganz materielle
Dasein eingeschränkt. Für die Zukunft kann möglicher Weise daraus eine freie und
glückliche Generation hervorgehen,, obgleich das Greisenhafte und Gemüthlose der ame¬
rikanischen Cultur die Sache doch nicht so ganz zweifellos darstellt, aber für die Ge¬
genwart ist es doch eine Art geistiger Selbstmord, sowol in Beziehung auf die Aus¬
wanderer, als auf das Vaterland, und das Gefühl dieses Mangels in dem rein mate¬
riellen Dasein macht sich auch bereits in den seltsamsten Erscheinungen Lust. Das
Mormonenthum, dessen schnelle und beachtenswerthe Ausdehnung im neunzehnten Jahr¬
hundert der spätere Geschichtsschreiber vielleicht sür eine Mythe halten wird, ist weiter
nichts als die Romantik des Materialismus, die aber aus einem wesentlichen Bedürfniß
des Materialismus hervorgeht. Deun irgend ein Heiligthum will man im Herzen tragen,
und wenn alle anderen Götterbilder zerschlagen sind, so setzt man das nackte Bedürfniß
auf den Altar und wird fanatisch für die Trivialität.

Diese und ähnliche krankhafte Auswüchse, so römisch sie im Einzelnen aussehen,
machen einen ernsthaften Eindruck, wenn man sie im Zusammenhang betrachtet. So
schnell in Amerika der Puls des Lebens schlägt, der unserer Demokratie als Ideal
vorschwebt, so fehlt diesem Leben doch zweierlei,' die höhere Inspiration, die das Leben
adelt und die von Zeit zu Zeit selbst noch in dem alten Europa durch Verzerrungen
sich geltend macht, und die Stetigkeit des Gemüths, ohne die daS Leben keine Freude
hat. Vielleicht ist es der Welt bestimmt, -- denn wer wollte sich als Prophet ge¬
berden -- allmählich sich vollständig in diesen demokratischen Strudel zu versenken,
vollständig materialistisch zu werden, bis aus dieser Neutralisation "aller geistigen Inte¬
ressen sich allmählich ein neues geistiges Leben, neue Individualitäten, neue Ideale Ent¬
wickeln; aber der nächste Weg zum Guten ist es nicht, und so lange in den alten Volks¬
individualitäten noch eine Spur von geistigem Leben vorhanden ist, sollte man es zu
Pflegen und zu erhalten suchen. Einfacher' ist es freilich, sich dem unbequemen Kampf
durch die Flucht zu entziehen, aber der einfachste Weg ist nicht der sicherste, und am


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Menschen und streut sie wie zusammenhangslose Atome in den unendlichen Raum der
Zeit; erst das Gefühl des Vaterlandes macht die Geschichte zu, einer Continuität.
Wo in der Geschichte etwas Großes geschehen ist, haben die Volker nicht blos um
ihres augenblicklichen Interesses willen gekämpst, sondern sür ihre Kinder und Kindes¬
kinder, denen sie eine freie Stätte als Erbtheil hinterlassen wollten. Dieser Glaube an
die Fortdauer des Geschlechts hat kräftiger und energischer gewirkt, als der Glaube an
die individuelle Fortdauer. Nur aus ihm ist jene Sittlichkeit hervorgegangen, die an
alten Traditionen nicht blos aus kleinlichen Zweckmäßigkeitsrücksichten, sondern aus leben¬
diger Pietät festhält. Es ist daher von unseren Fürsten und deren Rathgebern der
grenzenloseste Leichtsinn, dieses Gefühl zu untergraben oder wol gar zu verhöhnen, wie
es z. B. der Nundschaucr der Kreuzzeitung mit unausgesetztem Eifer, thut. Mit der
Aushebung des Patriotismus, des Nationalgefühls zerreißt das letzte Band, das uns
an die Vergangenheit fesselt, die Doctrinen des JunkcrthumS werden die Zersetzung alles
Lebens nicht aufhalten.

Wir verkennen nicht das großartige Leben, das sich in der neuen Welt entwickelt;
wir bestreiten nicht die Möglichkeit, daß von da aus einmal eine Regeneration des alten
Europa stattfinden könne, denn Amerika wächst von Jahr zu Jahr mit einer fieberhaften
Schnelligkeit an Arbeitskraft und Capital, während Europa mit eben so großer Schnellig¬
keit zurückgeht; aber wir finden in diesem Auswandcruugsdraug, der mit jeuer Blasirt-
heit des politischen Lebens auf das Innigste zusammenhängt, etwas eben so Krankhaftes
und Unnatürliches, als in dem demokratischen Fieber der vergangenen Jahre. Die
Auswanderer begeben sich keineswegs auf eiuen freien Boden, in dem sie ihre alten
Srttcn fortführen könnten, entledigt von dem Zwange, der sie in ihrer Heimath drückte;
sie treten vielmehr wenigstens vorläufig in die Dienstbarkeit einer fertigen, ihnen fremden
Nationalität, sie müssen ihre Vergangenheit opfern und werden auf das ganz materielle
Dasein eingeschränkt. Für die Zukunft kann möglicher Weise daraus eine freie und
glückliche Generation hervorgehen,, obgleich das Greisenhafte und Gemüthlose der ame¬
rikanischen Cultur die Sache doch nicht so ganz zweifellos darstellt, aber für die Ge¬
genwart ist es doch eine Art geistiger Selbstmord, sowol in Beziehung auf die Aus¬
wanderer, als auf das Vaterland, und das Gefühl dieses Mangels in dem rein mate¬
riellen Dasein macht sich auch bereits in den seltsamsten Erscheinungen Lust. Das
Mormonenthum, dessen schnelle und beachtenswerthe Ausdehnung im neunzehnten Jahr¬
hundert der spätere Geschichtsschreiber vielleicht sür eine Mythe halten wird, ist weiter
nichts als die Romantik des Materialismus, die aber aus einem wesentlichen Bedürfniß
des Materialismus hervorgeht. Deun irgend ein Heiligthum will man im Herzen tragen,
und wenn alle anderen Götterbilder zerschlagen sind, so setzt man das nackte Bedürfniß
auf den Altar und wird fanatisch für die Trivialität.

Diese und ähnliche krankhafte Auswüchse, so römisch sie im Einzelnen aussehen,
machen einen ernsthaften Eindruck, wenn man sie im Zusammenhang betrachtet. So
schnell in Amerika der Puls des Lebens schlägt, der unserer Demokratie als Ideal
vorschwebt, so fehlt diesem Leben doch zweierlei,' die höhere Inspiration, die das Leben
adelt und die von Zeit zu Zeit selbst noch in dem alten Europa durch Verzerrungen
sich geltend macht, und die Stetigkeit des Gemüths, ohne die daS Leben keine Freude
hat. Vielleicht ist es der Welt bestimmt, — denn wer wollte sich als Prophet ge¬
berden — allmählich sich vollständig in diesen demokratischen Strudel zu versenken,
vollständig materialistisch zu werden, bis aus dieser Neutralisation «aller geistigen Inte¬
ressen sich allmählich ein neues geistiges Leben, neue Individualitäten, neue Ideale Ent¬
wickeln; aber der nächste Weg zum Guten ist es nicht, und so lange in den alten Volks¬
individualitäten noch eine Spur von geistigem Leben vorhanden ist, sollte man es zu
Pflegen und zu erhalten suchen. Einfacher' ist es freilich, sich dem unbequemen Kampf
durch die Flucht zu entziehen, aber der einfachste Weg ist nicht der sicherste, und am


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[0287] Menschen und streut sie wie zusammenhangslose Atome in den unendlichen Raum der Zeit; erst das Gefühl des Vaterlandes macht die Geschichte zu, einer Continuität. Wo in der Geschichte etwas Großes geschehen ist, haben die Volker nicht blos um ihres augenblicklichen Interesses willen gekämpst, sondern sür ihre Kinder und Kindes¬ kinder, denen sie eine freie Stätte als Erbtheil hinterlassen wollten. Dieser Glaube an die Fortdauer des Geschlechts hat kräftiger und energischer gewirkt, als der Glaube an die individuelle Fortdauer. Nur aus ihm ist jene Sittlichkeit hervorgegangen, die an alten Traditionen nicht blos aus kleinlichen Zweckmäßigkeitsrücksichten, sondern aus leben¬ diger Pietät festhält. Es ist daher von unseren Fürsten und deren Rathgebern der grenzenloseste Leichtsinn, dieses Gefühl zu untergraben oder wol gar zu verhöhnen, wie es z. B. der Nundschaucr der Kreuzzeitung mit unausgesetztem Eifer, thut. Mit der Aushebung des Patriotismus, des Nationalgefühls zerreißt das letzte Band, das uns an die Vergangenheit fesselt, die Doctrinen des JunkcrthumS werden die Zersetzung alles Lebens nicht aufhalten. Wir verkennen nicht das großartige Leben, das sich in der neuen Welt entwickelt; wir bestreiten nicht die Möglichkeit, daß von da aus einmal eine Regeneration des alten Europa stattfinden könne, denn Amerika wächst von Jahr zu Jahr mit einer fieberhaften Schnelligkeit an Arbeitskraft und Capital, während Europa mit eben so großer Schnellig¬ keit zurückgeht; aber wir finden in diesem Auswandcruugsdraug, der mit jeuer Blasirt- heit des politischen Lebens auf das Innigste zusammenhängt, etwas eben so Krankhaftes und Unnatürliches, als in dem demokratischen Fieber der vergangenen Jahre. Die Auswanderer begeben sich keineswegs auf eiuen freien Boden, in dem sie ihre alten Srttcn fortführen könnten, entledigt von dem Zwange, der sie in ihrer Heimath drückte; sie treten vielmehr wenigstens vorläufig in die Dienstbarkeit einer fertigen, ihnen fremden Nationalität, sie müssen ihre Vergangenheit opfern und werden auf das ganz materielle Dasein eingeschränkt. Für die Zukunft kann möglicher Weise daraus eine freie und glückliche Generation hervorgehen,, obgleich das Greisenhafte und Gemüthlose der ame¬ rikanischen Cultur die Sache doch nicht so ganz zweifellos darstellt, aber für die Ge¬ genwart ist es doch eine Art geistiger Selbstmord, sowol in Beziehung auf die Aus¬ wanderer, als auf das Vaterland, und das Gefühl dieses Mangels in dem rein mate¬ riellen Dasein macht sich auch bereits in den seltsamsten Erscheinungen Lust. Das Mormonenthum, dessen schnelle und beachtenswerthe Ausdehnung im neunzehnten Jahr¬ hundert der spätere Geschichtsschreiber vielleicht sür eine Mythe halten wird, ist weiter nichts als die Romantik des Materialismus, die aber aus einem wesentlichen Bedürfniß des Materialismus hervorgeht. Deun irgend ein Heiligthum will man im Herzen tragen, und wenn alle anderen Götterbilder zerschlagen sind, so setzt man das nackte Bedürfniß auf den Altar und wird fanatisch für die Trivialität. Diese und ähnliche krankhafte Auswüchse, so römisch sie im Einzelnen aussehen, machen einen ernsthaften Eindruck, wenn man sie im Zusammenhang betrachtet. So schnell in Amerika der Puls des Lebens schlägt, der unserer Demokratie als Ideal vorschwebt, so fehlt diesem Leben doch zweierlei,' die höhere Inspiration, die das Leben adelt und die von Zeit zu Zeit selbst noch in dem alten Europa durch Verzerrungen sich geltend macht, und die Stetigkeit des Gemüths, ohne die daS Leben keine Freude hat. Vielleicht ist es der Welt bestimmt, — denn wer wollte sich als Prophet ge¬ berden — allmählich sich vollständig in diesen demokratischen Strudel zu versenken, vollständig materialistisch zu werden, bis aus dieser Neutralisation «aller geistigen Inte¬ ressen sich allmählich ein neues geistiges Leben, neue Individualitäten, neue Ideale Ent¬ wickeln; aber der nächste Weg zum Guten ist es nicht, und so lange in den alten Volks¬ individualitäten noch eine Spur von geistigem Leben vorhanden ist, sollte man es zu Pflegen und zu erhalten suchen. Einfacher' ist es freilich, sich dem unbequemen Kampf durch die Flucht zu entziehen, aber der einfachste Weg ist nicht der sicherste, und am 36* "

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/287>, abgerufen am 22.12.2024.