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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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und unzusammenhängenden Sprache ausdrückten (wie z. B. Jahr in allen seinen
Schriften), eine fromme Miene machten und dann alö Ideal einer deutschen
Verfassung eine Stndcntenrepublik mit einem hohenstaufischen Kaiser an der Spijze
auffaßten. Vielleicht hat Arnim bei seinen " Kroncuwächtcru " eine geheime Sa-
tyre gegen diese unhistorischen Deutschthümler vorgeschwebt.

Wir gehen nun auf das Einzelne über, indem wir noch einmal an den lei¬
tenden Gesichtspunkt erinnern. Im Jahr 1806 war die Romantik in ihrem
Bemühen, das absolute Ideal darzustellen, zu der Erkenntniß gekommen, daß
man das große Werk erst im Einzelnen durchführen, daß man zuerst alle Schich¬
ten des Empirischen mit diesen Ideen zersetzen und dnrchdnugen müsse, ehe
die Menschheit in den Tempel des Einen "ut Allen geführt werden könne.
Nur durch die vollständigste Durchdringung des Besondern, Eigenthümlichen, Un¬
vermittelten mit dem Geist der Romantik könne die Einheit des Idealismus "ut
Realismus herbeigeführt werden -- das war die Ansicht, in der sich Arnims poe¬
tische Wirksamkeit fixirte, in der sich seine Entwickelung abschloß. Von diesem
Gesichtspunkt aus werden wir das sonst Unerklärliche in seinen Erfindungen
begreifen. ' (Fortsetzung folgt.)




Berlin und Hamburg.

Gleich bei der Ankunft mit der Eisenbahn wird der Reisende deu Unterschied
zwischen beiden Orten bemerken. Sein erster Blick.in Berlin trifft die Pickelhauben der
Militairposten und Constabler. Er darf ohne genaue Prüfung seiner Legitima-
tionspapiere den Perron des Bahnhofes nicht verlassen; aber man wird zugeben
müssen, daß fast alle mit derselben beauftragten Beamten ihr Amt mit großer
Artigkeit und Schnelligkeit erfüllen. Wer ein recht bewegtes Reiseleben geführt
hat, wird den Vorzug erkennen, den preußische Polizei-, Post- und gar Steuer-
beamtcn vor allen ihren übrigen Collegen in fast sämmtlichen europäischen
Staaten verdienen. In Hamburg sieht der Reisende nichts von dergleichen poli¬
zeilichen Zurüstungen, thir Constabler empfängt ihn am Bahnhofe, kein Wirth
präsentirt ihm in ängstlicher Hast das Fremdenbuch. Wochenlang kaun ein
Fremder im Gasthause leben, ohne daß die Polizei die mindeste Notiz von ihm
z" nehmen scheint. Ganz ohne Beobachtung wird er übrigens nicht bleiben.
Nur dem Hamburger, oder einem geübten Auge kenntlich, stehen bei der Ankunft
jedes Zuges mehrere einfach gekleidete Männer, mit rundem Hut und zugeknöpften
Rocke umher" die, scharfen Blickes, alle aufsteigenden Fremden die Musterung
passiren lassen. Nicht selten werden Arrcstationcn vorgenommen, denn die Polizei
ist dnrch deu Telegraphen von der Ankunft eines verdächtigen Fremden unterrichtet,


und unzusammenhängenden Sprache ausdrückten (wie z. B. Jahr in allen seinen
Schriften), eine fromme Miene machten und dann alö Ideal einer deutschen
Verfassung eine Stndcntenrepublik mit einem hohenstaufischen Kaiser an der Spijze
auffaßten. Vielleicht hat Arnim bei seinen „ Kroncuwächtcru " eine geheime Sa-
tyre gegen diese unhistorischen Deutschthümler vorgeschwebt.

Wir gehen nun auf das Einzelne über, indem wir noch einmal an den lei¬
tenden Gesichtspunkt erinnern. Im Jahr 1806 war die Romantik in ihrem
Bemühen, das absolute Ideal darzustellen, zu der Erkenntniß gekommen, daß
man das große Werk erst im Einzelnen durchführen, daß man zuerst alle Schich¬
ten des Empirischen mit diesen Ideen zersetzen und dnrchdnugen müsse, ehe
die Menschheit in den Tempel des Einen »ut Allen geführt werden könne.
Nur durch die vollständigste Durchdringung des Besondern, Eigenthümlichen, Un¬
vermittelten mit dem Geist der Romantik könne die Einheit des Idealismus »ut
Realismus herbeigeführt werden — das war die Ansicht, in der sich Arnims poe¬
tische Wirksamkeit fixirte, in der sich seine Entwickelung abschloß. Von diesem
Gesichtspunkt aus werden wir das sonst Unerklärliche in seinen Erfindungen
begreifen. ' (Fortsetzung folgt.)




Berlin und Hamburg.

Gleich bei der Ankunft mit der Eisenbahn wird der Reisende deu Unterschied
zwischen beiden Orten bemerken. Sein erster Blick.in Berlin trifft die Pickelhauben der
Militairposten und Constabler. Er darf ohne genaue Prüfung seiner Legitima-
tionspapiere den Perron des Bahnhofes nicht verlassen; aber man wird zugeben
müssen, daß fast alle mit derselben beauftragten Beamten ihr Amt mit großer
Artigkeit und Schnelligkeit erfüllen. Wer ein recht bewegtes Reiseleben geführt
hat, wird den Vorzug erkennen, den preußische Polizei-, Post- und gar Steuer-
beamtcn vor allen ihren übrigen Collegen in fast sämmtlichen europäischen
Staaten verdienen. In Hamburg sieht der Reisende nichts von dergleichen poli¬
zeilichen Zurüstungen, thir Constabler empfängt ihn am Bahnhofe, kein Wirth
präsentirt ihm in ängstlicher Hast das Fremdenbuch. Wochenlang kaun ein
Fremder im Gasthause leben, ohne daß die Polizei die mindeste Notiz von ihm
z» nehmen scheint. Ganz ohne Beobachtung wird er übrigens nicht bleiben.
Nur dem Hamburger, oder einem geübten Auge kenntlich, stehen bei der Ankunft
jedes Zuges mehrere einfach gekleidete Männer, mit rundem Hut und zugeknöpften
Rocke umher» die, scharfen Blickes, alle aufsteigenden Fremden die Musterung
passiren lassen. Nicht selten werden Arrcstationcn vorgenommen, denn die Polizei
ist dnrch deu Telegraphen von der Ankunft eines verdächtigen Fremden unterrichtet,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/264>, abgerufen am 22.12.2024.