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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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kommen, und sich eben dadurch z" einer übertriebenen Schätzung veranlaßt sehen
mußte. In diesem Sinne erhob sich in Frankreich Chateaubriand als Vorkämpfer
für das national gewordene katholische Christenthum, in diesem Sinn stellten in
England Burke und> Walter Scott den ritterlichen Geist der Vorzeit, der in den
pragmatisircnde" Geschichtschreibern der schottischen Schule nicht zu seinem Recht
hatte kommen können', in seinem vollen Fleisch und Blut wieder her. Auch die
eigentlichen Romantiker in Deutschland hatten trotz ihrer antiken Bildung und
ihres Weltbürgertums dringend ans die deutsche Vorzeit hingewiesen; allein sie
unterschieden sich in einer doppelten Beziehung von den neueren Vertretern
des Germanismus. Einmal gingen sie mit besonderer Vorliebe ans diejenige
Zeit des Mittelalters zurück/ welche zu dem wirklichen Leben des Volks nicht
mehr das geringste Verhältniß hatte, die Zeit des Kaiserthums, der Ghibelline",
der italienische" Kriege, des Katholicismus, der schwäbischen Hofpoeten; sodann
faßten sie die Vorzüge des Mittelalters nicht vom natürlichen, nationalen Stand¬
punkt, sondern symbolisch. Wenn auch nicht zu läugnen ist, daß sie vielfach anre¬
gend gewirkt haben, so ist doch anch hier ihr Einfluß mehr verwirrend, als beleh¬
rend gewesen. So nimmt sich z. B. Friedrich Schlegel in seiner "Geschichte der
Literatur" der gothischen Baukunst an, aber nicht in dem Sinne, daß jene Bau¬
kunst wirklich national war, daß sie dnrch das Klima, das Baumaterial, die bestimm¬
ten Zwecke bedingt und durch eine organische Entwickelung zu einer eben so schönen
als zweckmäßigen Form gelangt war, daß sie ferner in jeder Weise mit sich überein¬
stimmte, daß die Kirchen, die Burgen ze. in ihrer Art nicht vereinzelt dastanden, son¬
dern dem Charakter der Städte, der Landschaften, des ganzen Volkslebens entsprachen.
Er faßt sie vielmehr so aus, als ob höher gebildete Geister der Nation in
ihnen ein geheimnißvolles Symbol ihrer Ideen hätten geben wollen, die Kreuz-
form, die sehnsüchtig himmelanstrebenden Pfeiler, die Rose als Hauptverzierung
u'. f. w. Das ist eben der Hauptfehler der romantischen Kritik, statt wirklicher,
Charkteristik symbolisch zu tändeln. Heine hat nachher auf seine Weise mit
gleichem Recht oder Unrecht die gothische Baukunst nach der entgegengesetzten Seite
hin erläutert. Ihm ist das Kreuz uur ein Symbol des beständigen Leidens,
welches das ganze Leben begleiten soll; die Rose das Symbol des Blutes, das
Gott zum Opfer vergossen werden soll; die bemalte" Fenster sollen in der ganzen
Kirche die unheimliche Farbe des Elters und der Wunden verbreiten ze. Das
Eine wie das Andre hat eine gewisse Wahrheit, aber der Uebelstand ist, daß die
Hauptsache wegbleibt. -- Es kam bei den Schlegels die von vorn herein katho-
lisirettde Richtung i"'s Spiel, die sie das eigentliche Lebe" des Volks, das Städte¬
wesen und die Zeit der Reformation, jene Zeit, wo Handwerk und Kunst einer¬
seits, Religion und Kunst andererseits identisch war, verkennen ließ. Die
praktische Vernunft war ihnen so zuwider und ihre Auffassung der Kunst so
aristokratisch, daß ma" wol sage" ka"u, sie waren gegen die Thatsachen des


kommen, und sich eben dadurch z» einer übertriebenen Schätzung veranlaßt sehen
mußte. In diesem Sinne erhob sich in Frankreich Chateaubriand als Vorkämpfer
für das national gewordene katholische Christenthum, in diesem Sinn stellten in
England Burke und> Walter Scott den ritterlichen Geist der Vorzeit, der in den
pragmatisircnde» Geschichtschreibern der schottischen Schule nicht zu seinem Recht
hatte kommen können', in seinem vollen Fleisch und Blut wieder her. Auch die
eigentlichen Romantiker in Deutschland hatten trotz ihrer antiken Bildung und
ihres Weltbürgertums dringend ans die deutsche Vorzeit hingewiesen; allein sie
unterschieden sich in einer doppelten Beziehung von den neueren Vertretern
des Germanismus. Einmal gingen sie mit besonderer Vorliebe ans diejenige
Zeit des Mittelalters zurück/ welche zu dem wirklichen Leben des Volks nicht
mehr das geringste Verhältniß hatte, die Zeit des Kaiserthums, der Ghibelline»,
der italienische» Kriege, des Katholicismus, der schwäbischen Hofpoeten; sodann
faßten sie die Vorzüge des Mittelalters nicht vom natürlichen, nationalen Stand¬
punkt, sondern symbolisch. Wenn auch nicht zu läugnen ist, daß sie vielfach anre¬
gend gewirkt haben, so ist doch anch hier ihr Einfluß mehr verwirrend, als beleh¬
rend gewesen. So nimmt sich z. B. Friedrich Schlegel in seiner „Geschichte der
Literatur" der gothischen Baukunst an, aber nicht in dem Sinne, daß jene Bau¬
kunst wirklich national war, daß sie dnrch das Klima, das Baumaterial, die bestimm¬
ten Zwecke bedingt und durch eine organische Entwickelung zu einer eben so schönen
als zweckmäßigen Form gelangt war, daß sie ferner in jeder Weise mit sich überein¬
stimmte, daß die Kirchen, die Burgen ze. in ihrer Art nicht vereinzelt dastanden, son¬
dern dem Charakter der Städte, der Landschaften, des ganzen Volkslebens entsprachen.
Er faßt sie vielmehr so aus, als ob höher gebildete Geister der Nation in
ihnen ein geheimnißvolles Symbol ihrer Ideen hätten geben wollen, die Kreuz-
form, die sehnsüchtig himmelanstrebenden Pfeiler, die Rose als Hauptverzierung
u'. f. w. Das ist eben der Hauptfehler der romantischen Kritik, statt wirklicher,
Charkteristik symbolisch zu tändeln. Heine hat nachher auf seine Weise mit
gleichem Recht oder Unrecht die gothische Baukunst nach der entgegengesetzten Seite
hin erläutert. Ihm ist das Kreuz uur ein Symbol des beständigen Leidens,
welches das ganze Leben begleiten soll; die Rose das Symbol des Blutes, das
Gott zum Opfer vergossen werden soll; die bemalte» Fenster sollen in der ganzen
Kirche die unheimliche Farbe des Elters und der Wunden verbreiten ze. Das
Eine wie das Andre hat eine gewisse Wahrheit, aber der Uebelstand ist, daß die
Hauptsache wegbleibt. — Es kam bei den Schlegels die von vorn herein katho-
lisirettde Richtung i»'s Spiel, die sie das eigentliche Lebe» des Volks, das Städte¬
wesen und die Zeit der Reformation, jene Zeit, wo Handwerk und Kunst einer¬
seits, Religion und Kunst andererseits identisch war, verkennen ließ. Die
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/262>, abgerufen am 03.01.2025.