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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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gegangen ist. Aber welches diese Absicht sein konnte, das zu errathen fällt uns
schwer. Außerdem ist die Arbeit, die er an unmögliche Aufgaben verschwendet,
bis in's Kleinste so sauber ausgeführt, und zeigt so viel poetischen Verstand, daß
es uns noch schwerer wird, zu begreifen, wie eine solche Bildung auf so unerhörte
Irrwege gerathen konnte. Ein Verständniß darüber können wir nur gewinnen,
wenn wir die Richtung seiner Zeit, die sich in ihm fixirte^ schärfer in's Auge
fassen, und wenn wir zu diesem Zweck auch etwas weit ausholen, so dürfte das
darin seine volle Rechtfertigung finden, daß es uns hier nicht auf die Charakte¬
ristik' des Dichters an sich, sondern auf die Charakteristik seines Princips an¬
kommt.

Die Richtung, die sich in ihm fixirte, war das Princip, welches ans dem
-18. in's 19. Iahundert überleitete. Deu Aufang des 19. Jahrhunderts müssen
wir für Deutschland nicht in's Jahr 1800, sondern in's Jahr 1806 verlegen.
Mit diesem Jahr werden zwei einander ganz scharf entgegengesetzte Perioden so
bestimmt von einander geschieden, wie es nicht leicht in einer literarischen Ent¬
wickelung zum zweiten Mal vorkommt. Die Schlacht von Jena war der
Wendepunkt der deutschen Geschichte, und mau könnte nicht nur in der allgemei¬
ne" Richtung der Literatur und des politischen Lebens, sondern fast bei jedem
einzelnen bedeutenden Schriftsteller die innere Wiedergeburt nachweisen. Am
meisten fällt das bei denjenigen Schriftstellern ans, die man unter dem Namen
der romantischen Schule zusammenfaßt, bei denen man es aber gewöhnlich über¬
sieht, daß sie in den zwei verschiedenen Perioden ihres Wirkens eine ganz ver¬
schiedene Richtung verfolgten. Sie waren zwar schon vor jenem Wendepunkt
den herrschenden Dichtern durch ihre Uebertreibungen unbequem, aber diese Ueber¬
treibungen gingen doch in derselben Richtung, die das Wesen der ganzen dama¬
ligen Poesie und Philosophie charakterisirte. ^- Sie gehörten bis zu jener Zeit
eben so wie Schiller, Goethe, Schelling, Schleiermacher u. s. w. der kosmopoli¬
tischen, wesentlich durch das griechische Alterthum bestimmten Bildung an. Erst
als das gesammte Nationalgefühl sich zu einem energischen und exclusiver Selbst¬
bewußtsein steigerte, pflanzten auch sie die christlich<germanische Fahne auf.

Ein Ereigniß, welches, nur ein Jahr vor der Schlacht von Jena eintrat,
und nicht wenig dazu beitrug, die geschlossene Phalanx der schönen Literatur zu
brechen, war Schillers Tod. Schiller hatte nicht nur durch seine persönliche
Einwirkung auf das deutsche Publicum, die damals doch bedeutender war, als
die irgend eines seiner Nebenbuhler, sondern hauptsächlich durch sein Zusammen¬
wirken mit- Goethe die Sache der Kunst, wie mau sie damals verstand, aufrecht
gehalten. Gab es anch im Kreise der ausgewählten Geister selbst im Einzelnen
viele Reibungen und Zwistigkeiten, so waren sie dem Philister gegenüber, wie
man es damals nannte, doch alle einig, und gerade die Elasticität in dem Wesen
Schiller's, sein ungestümer schöpferischer Drang und seine Intoleranz trug wehend-


gegangen ist. Aber welches diese Absicht sein konnte, das zu errathen fällt uns
schwer. Außerdem ist die Arbeit, die er an unmögliche Aufgaben verschwendet,
bis in's Kleinste so sauber ausgeführt, und zeigt so viel poetischen Verstand, daß
es uns noch schwerer wird, zu begreifen, wie eine solche Bildung auf so unerhörte
Irrwege gerathen konnte. Ein Verständniß darüber können wir nur gewinnen,
wenn wir die Richtung seiner Zeit, die sich in ihm fixirte^ schärfer in's Auge
fassen, und wenn wir zu diesem Zweck auch etwas weit ausholen, so dürfte das
darin seine volle Rechtfertigung finden, daß es uns hier nicht auf die Charakte¬
ristik' des Dichters an sich, sondern auf die Charakteristik seines Princips an¬
kommt.

Die Richtung, die sich in ihm fixirte, war das Princip, welches ans dem
-18. in's 19. Iahundert überleitete. Deu Aufang des 19. Jahrhunderts müssen
wir für Deutschland nicht in's Jahr 1800, sondern in's Jahr 1806 verlegen.
Mit diesem Jahr werden zwei einander ganz scharf entgegengesetzte Perioden so
bestimmt von einander geschieden, wie es nicht leicht in einer literarischen Ent¬
wickelung zum zweiten Mal vorkommt. Die Schlacht von Jena war der
Wendepunkt der deutschen Geschichte, und mau könnte nicht nur in der allgemei¬
ne» Richtung der Literatur und des politischen Lebens, sondern fast bei jedem
einzelnen bedeutenden Schriftsteller die innere Wiedergeburt nachweisen. Am
meisten fällt das bei denjenigen Schriftstellern ans, die man unter dem Namen
der romantischen Schule zusammenfaßt, bei denen man es aber gewöhnlich über¬
sieht, daß sie in den zwei verschiedenen Perioden ihres Wirkens eine ganz ver¬
schiedene Richtung verfolgten. Sie waren zwar schon vor jenem Wendepunkt
den herrschenden Dichtern durch ihre Uebertreibungen unbequem, aber diese Ueber¬
treibungen gingen doch in derselben Richtung, die das Wesen der ganzen dama¬
ligen Poesie und Philosophie charakterisirte. ^- Sie gehörten bis zu jener Zeit
eben so wie Schiller, Goethe, Schelling, Schleiermacher u. s. w. der kosmopoli¬
tischen, wesentlich durch das griechische Alterthum bestimmten Bildung an. Erst
als das gesammte Nationalgefühl sich zu einem energischen und exclusiver Selbst¬
bewußtsein steigerte, pflanzten auch sie die christlich<germanische Fahne auf.

Ein Ereigniß, welches, nur ein Jahr vor der Schlacht von Jena eintrat,
und nicht wenig dazu beitrug, die geschlossene Phalanx der schönen Literatur zu
brechen, war Schillers Tod. Schiller hatte nicht nur durch seine persönliche
Einwirkung auf das deutsche Publicum, die damals doch bedeutender war, als
die irgend eines seiner Nebenbuhler, sondern hauptsächlich durch sein Zusammen¬
wirken mit- Goethe die Sache der Kunst, wie mau sie damals verstand, aufrecht
gehalten. Gab es anch im Kreise der ausgewählten Geister selbst im Einzelnen
viele Reibungen und Zwistigkeiten, so waren sie dem Philister gegenüber, wie
man es damals nannte, doch alle einig, und gerade die Elasticität in dem Wesen
Schiller's, sein ungestümer schöpferischer Drang und seine Intoleranz trug wehend-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/254>, abgerufen am 22.12.2024.