Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.jedem Ministerium ohne Rücksicht auf sein politisches Glaubensbekenntniß zu Gebote stehen, Größer als die Veränderung in der Partcigruppirung ist die Veränderung in den jedem Ministerium ohne Rücksicht auf sein politisches Glaubensbekenntniß zu Gebote stehen, Größer als die Veränderung in der Partcigruppirung ist die Veränderung in den <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0242" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/94683"/> <p xml:id="ID_777" prev="#ID_776"> jedem Ministerium ohne Rücksicht auf sein politisches Glaubensbekenntniß zu Gebote stehen,<lb/> und hat außerdem durch den Zwiespalt zwischen den Whigs und den radicalen Libemlcn,<lb/> die an verschiedenen Orten Angesichts einer geschlossenen Toryminorität mit einander<lb/> rivalisirten, oder durch andere locale Umstände den Gegnern noch einige Sitze abgerungen.<lb/> Aber damit hat es noch keine Majorität und wird auch schwerlich eine erlangen, denn<lb/> die noch rückständigen Wahlen dürsten vorwiegend liberal ausfallen. Im Ganzen wird<lb/> daher das neue Parlament hinsichtlich der Gruppirung und Stärke der Parteien dem<lb/> alten so ziemlich ähnlich sehen, und das Ministerium wird wahrscheinlich nur den Vor¬<lb/> theil haben, die compaktcstc und zahlreichste Minorität im Hause zu sein.</p><lb/> <p xml:id="ID_778" next="#ID_779"> Größer als die Veränderung in der Partcigruppirung ist die Veränderung in den<lb/> Personen. Die Pceliten haben schwere Verluste erlitten. In Liverpool und auch bei<lb/> einer zweiten Wahl in Ayrshire ist der tüchtige Statisticker Cardwell durchgefallen, ebenso<lb/> in Hereford sein Mitexccutor des Pcclschcn literarischen Testamentes, der bekannte Ge¬<lb/> schichtsschreiber und ehemalige (unter Peel) Unterstaatssccretair Hes Auswärtigen, Lord<lb/> Mahon, in Plymouth Nvundell Palmer, in Canterbury Smyth. Wie kommt es nun,<lb/> daß Männer von so anerkannter Bedeutung im 'politischen Leben, in einem Augenblick,<lb/> wo die Politik ihrer verstorbenen großen Führer die letzte und entscheidende Sanction<lb/> des Landes erhalten soll, zu einer Zeit, wo diese Politik den schönsten Sieg damit<lb/> erkämpft, daß sich das gegenwärtige Ministerium, ihr fanatischester Gegner, stillschweigend<lb/> selbst dazu bekennt, nur um vor den Wählern bestehen zu können, vom politischen<lb/> Schauplatz abtreten? Weil sie, wie wir bei einer frühern Gelegenheit ausführlicher<lb/> auseinander zu setzen versuchten, keine Partei, sondern nur noch bedeutende Persönlich¬<lb/> keiten sind. Wenn sie dadurch den Bortheil haben, in allen politischen Fragen eine<lb/> freiere und selbstständigere Stellung einnehmen zu können, so leiden sie dagegen an dem<lb/> sehr großen Nachtheil, daß sie von. keiner Parteiorganisation unterstützt werden, und daß<lb/> sie bei der Masse der Wähler keinen ander» Anhalt haben, als den Einfluß ihrer Per¬<lb/> sönlichkeit auf dieselbe, während die Torys sie als treulose Abtrünnige, und die Whigs<lb/> als mögliche Nebenbuhler bekämpfen. Für die gesunde Entwickelung des englischen<lb/> Parteiwesens könnte es nur vom Nutzen fein, wenn diese bedeutenden Männer sich einer<lb/> der constituirten Parteien anschlössen, und etwas Sauerteig in den träge gewordenen<lb/> Whiggismus, oder etwas Intelligenz in den sehr wenig intelligenten Toryismus brächten.<lb/> Diese isolirte politische Stellung ist es jedoch noch nicht allein, was die Peelitcn bei<lb/> der gegenwärtigen allgemeinen Wahl benachtheiligt hat. Von allen englischen Parteien<lb/> faßt die politische das Verhältniß zwischen der katholischen und der Staatskirche am<lb/> freisinnigsten und im Geiste der entschiedensten Duldung aus. Deshalb konnten sie bei<lb/> der von Lord Russell eingebrachten Titelbill nur in der entschiedensten Opposition bleiben,<lb/> was sie bei der durch päpstlichen Uebermuth hervorgerufenen und auch künstlich ange¬<lb/> stachelten antikatholischen Aufregung in England sehr unpopulair machte. Sehr klug<lb/> hat das Ministerium diese Tagesstimmung benutzt, und sich dadurch manche Wahl ge¬<lb/> sichert , wo es sicherlich sonst nicht durchgedrungen wäre. Zum Theil hat ihm das den<lb/> Sieg in Liverpool verschafft. Daß in dieser zweiten Handelsstadt des Reichs die beiden<lb/> Liberalen Cardwell und Ewart zwei Derbyiten haben Platz machen müssen, wird von<lb/> den ministeriellen Blättern mit besonderem Jubel hervorgehoben. Aber der Sieg ist<lb/> nicht so sehr groß. Der mächtige Hebel des antikatholischen Fanatismus — der in<lb/> Liverpool aus Opposition gegen das zahlreiche in diesen Hafen strömende irische Ge-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0242]
jedem Ministerium ohne Rücksicht auf sein politisches Glaubensbekenntniß zu Gebote stehen,
und hat außerdem durch den Zwiespalt zwischen den Whigs und den radicalen Libemlcn,
die an verschiedenen Orten Angesichts einer geschlossenen Toryminorität mit einander
rivalisirten, oder durch andere locale Umstände den Gegnern noch einige Sitze abgerungen.
Aber damit hat es noch keine Majorität und wird auch schwerlich eine erlangen, denn
die noch rückständigen Wahlen dürsten vorwiegend liberal ausfallen. Im Ganzen wird
daher das neue Parlament hinsichtlich der Gruppirung und Stärke der Parteien dem
alten so ziemlich ähnlich sehen, und das Ministerium wird wahrscheinlich nur den Vor¬
theil haben, die compaktcstc und zahlreichste Minorität im Hause zu sein.
Größer als die Veränderung in der Partcigruppirung ist die Veränderung in den
Personen. Die Pceliten haben schwere Verluste erlitten. In Liverpool und auch bei
einer zweiten Wahl in Ayrshire ist der tüchtige Statisticker Cardwell durchgefallen, ebenso
in Hereford sein Mitexccutor des Pcclschcn literarischen Testamentes, der bekannte Ge¬
schichtsschreiber und ehemalige (unter Peel) Unterstaatssccretair Hes Auswärtigen, Lord
Mahon, in Plymouth Nvundell Palmer, in Canterbury Smyth. Wie kommt es nun,
daß Männer von so anerkannter Bedeutung im 'politischen Leben, in einem Augenblick,
wo die Politik ihrer verstorbenen großen Führer die letzte und entscheidende Sanction
des Landes erhalten soll, zu einer Zeit, wo diese Politik den schönsten Sieg damit
erkämpft, daß sich das gegenwärtige Ministerium, ihr fanatischester Gegner, stillschweigend
selbst dazu bekennt, nur um vor den Wählern bestehen zu können, vom politischen
Schauplatz abtreten? Weil sie, wie wir bei einer frühern Gelegenheit ausführlicher
auseinander zu setzen versuchten, keine Partei, sondern nur noch bedeutende Persönlich¬
keiten sind. Wenn sie dadurch den Bortheil haben, in allen politischen Fragen eine
freiere und selbstständigere Stellung einnehmen zu können, so leiden sie dagegen an dem
sehr großen Nachtheil, daß sie von. keiner Parteiorganisation unterstützt werden, und daß
sie bei der Masse der Wähler keinen ander» Anhalt haben, als den Einfluß ihrer Per¬
sönlichkeit auf dieselbe, während die Torys sie als treulose Abtrünnige, und die Whigs
als mögliche Nebenbuhler bekämpfen. Für die gesunde Entwickelung des englischen
Parteiwesens könnte es nur vom Nutzen fein, wenn diese bedeutenden Männer sich einer
der constituirten Parteien anschlössen, und etwas Sauerteig in den träge gewordenen
Whiggismus, oder etwas Intelligenz in den sehr wenig intelligenten Toryismus brächten.
Diese isolirte politische Stellung ist es jedoch noch nicht allein, was die Peelitcn bei
der gegenwärtigen allgemeinen Wahl benachtheiligt hat. Von allen englischen Parteien
faßt die politische das Verhältniß zwischen der katholischen und der Staatskirche am
freisinnigsten und im Geiste der entschiedensten Duldung aus. Deshalb konnten sie bei
der von Lord Russell eingebrachten Titelbill nur in der entschiedensten Opposition bleiben,
was sie bei der durch päpstlichen Uebermuth hervorgerufenen und auch künstlich ange¬
stachelten antikatholischen Aufregung in England sehr unpopulair machte. Sehr klug
hat das Ministerium diese Tagesstimmung benutzt, und sich dadurch manche Wahl ge¬
sichert , wo es sicherlich sonst nicht durchgedrungen wäre. Zum Theil hat ihm das den
Sieg in Liverpool verschafft. Daß in dieser zweiten Handelsstadt des Reichs die beiden
Liberalen Cardwell und Ewart zwei Derbyiten haben Platz machen müssen, wird von
den ministeriellen Blättern mit besonderem Jubel hervorgehoben. Aber der Sieg ist
nicht so sehr groß. Der mächtige Hebel des antikatholischen Fanatismus — der in
Liverpool aus Opposition gegen das zahlreiche in diesen Hafen strömende irische Ge-
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