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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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und sogar nothwendigen Sitz auf dieser Erde. Ist nicht Arbeit das Erbtheil des Menschen?
Welche Arbeit aber, wenn sie da ist, dünkt uns freudig und nicht bitter? Ist doch Arbeit, An¬
strengung, gerade eine Unterbrechung jener bequemen Gemächlichkeit, welche der Mensch thörich¬
ter Weise sür das Maß seines Glückes hält; und dennoch wäre ohne Arbeit keine Gemächlich¬
keit, keine Erholung gar denkbar. Deshalb eben muß Uebel, das was wir Uebel nennen, da
sein so lange der Mensch selbst da ist. Uebel, im weitesten Sinne ist eben jenes dunkle, noch
ungeordnete Element, ans welchem des Menschen freier Wille ein Gebäude der Ordnung und
des Guten zu schaffe" hat. Immer muß Noth und Leiden uns zur Arbeit drängen, und nur
in der freien Aufbietung und Anstrengung unserer Kräfte ist Heil irgend einer Art sür uns
denkbar.

Wenn nun aber der Mensch zu allen Zeiten genug zu tragen hatte, so war ihm dagegen
in den meisten Culturzuständcn eine innere Kraft verliehen, welche ihm dem Druck der äußern
Verhältnisse widerstehen half. Hindernisse genug umgaben ihn; aber es fehlte auch nicht an
GlaubeuSkraft. Durch den Glauben kaun der Mensch Berge versetzen': so lange der Glaube
in ihm lebendig war, mochten anch seine Glieder ermatten nnter harter Arbeit, und die schwere
Last seinen Rücken wund reiben, sein.Herz in ihm war friedlich und entschlossen. In der
dichtesten Finsterniß brannte für ihn ein Licht, das ihn führte. Wenn er mühsam strebte und
litt, so fühlte er, daß es so sein müsse, und wär sich dessen bewußt, wofür er strebte und litt.
Der Glaube verlieh ihm eine innere Bereitwilligkeit, eine Welt von Stärke, um damit einer
Welt von Schwierigkeit entgegen zu treten. Das eigentlich Jammervolle unsrer Zeit ist eben
dieses: daß die Schwierigkeit geblieben und die Stärke uns verloren gegangen ist; daß der
Schmerz nicht in freier Anstrengung aufgehen kann; daß die Arbeit da ist und die Willigkeit
uns fehlt. Der Glaube stärket uns, erleuchtet uns, zu wirken und zu tragen, und so ist das
Leben selbst tausendmal freudig hingegeben worden. Aber das ist die Summe menschlichen
Elends, daß er sich unter den Dschagarnaträdern zermalmt fühlt, und dabei weiß, daß Dscha-
garnat keine Gottheit, sondern ein todtes, mechanisches Götzenbild ist!---

Staotstheoricn! dergleichen hat es stets gegeben und wird eS immer geben; in Zeiten
des Verfalls nämlich. Wir wollen sie anerkennen für was sie sind, als Verfahrungsweisen der
Natur, die nichts umsonst thut; als Stufen in ihrem großen Entwicklungsgange. Inzwischen
aber, welche Theorie ist so sicher wie diese, daß alle Theorien, wie ernsthaft und mühsam
sie auch aufgebaut sein mögen, unvollkommen, zweifelhaft und sogar falsch sind, und ihrer
Natur uach nothwendig sein müssen. Wisse, daß dieses Weltall wirklich das ist, wofür eS
sich ausgiebt, ein Unendliches nämlich. Versuche nicht dasselbe zu verschlingen, um deine logische
Verdauungskraft zu erproben; sei vielmehr dankbar dafür, wenn es dir nnr gelingt, hie und
da einen stützenden Pfeiler in das wüste Chaos eiuzureuncn, und so zu verhindern, daß es dich
nicht verschlinge. Daß ein neues, jüngeres Geschlecht sein skeptisches Credo, das in einem blos
negativen "Was soll ich glauben?" bestand, ausgetauscht hat sür den sentimentalen Glau¬
ben an das Evangelium Jean Jacques Rousseaus, auch das ist ein Fortschritt in der Sache
und bedeutet mancherlei.

Selig auch ist die Hoffnung; und immer, vom Anbeginne der Zeiten her, ist irgend ein
tausendjähriges Reich prophezeiet worden: ein Reich der Heiligkeit; aber (und das ist aller¬
dings bemerkenswert!)) niemals noch bis zu dieser neuen Epoche war die Rede von einem
tausendjährigen Reich, wo jeder sich'ö leicht macht und der Himmel reichlichen Segen dazu
schenkt. Auf solch ein prophezeites Schlaraffenland der Glückseligkeit,, allgemeiner Menschen¬
freundlichkeit, und wo das Laster nicht länger häßlich sein soll, vertrauet nicht, meine Freunde!
Der Mensch ist nicht was man ein glückliches Thier nennt; sein Verlangen nach süßer
Kost -- sein nimmer zu sättigendes Gemüth -- ist so groß. Wie soll der arme Mensch in
dieser wilden Welt, die so unendlich, ungewiß drohend auf thu einstürmt, auch nnr Dasei"
und festen Haltpunkt, geschweige denn Glückseligkeit finden, es wäre denn, daß er sich männlich
umgürte und bereit halte zu unermüdlichem Streben und Aushalten? Wehe dann, wenn in
seinem Herzen kein frommer Glaube wohnt; Peru das Wort Pflicht seine Bedeutung für
ihn verloren hat! Denn was jene Sentimentalität (der Brüderlichkeit, allgemeinen Menschen¬
freundlichkeit ze.) anbelangt, die bei pathetischen Veranlassungen und Romansituationeu so gut


und sogar nothwendigen Sitz auf dieser Erde. Ist nicht Arbeit das Erbtheil des Menschen?
Welche Arbeit aber, wenn sie da ist, dünkt uns freudig und nicht bitter? Ist doch Arbeit, An¬
strengung, gerade eine Unterbrechung jener bequemen Gemächlichkeit, welche der Mensch thörich¬
ter Weise sür das Maß seines Glückes hält; und dennoch wäre ohne Arbeit keine Gemächlich¬
keit, keine Erholung gar denkbar. Deshalb eben muß Uebel, das was wir Uebel nennen, da
sein so lange der Mensch selbst da ist. Uebel, im weitesten Sinne ist eben jenes dunkle, noch
ungeordnete Element, ans welchem des Menschen freier Wille ein Gebäude der Ordnung und
des Guten zu schaffe» hat. Immer muß Noth und Leiden uns zur Arbeit drängen, und nur
in der freien Aufbietung und Anstrengung unserer Kräfte ist Heil irgend einer Art sür uns
denkbar.

Wenn nun aber der Mensch zu allen Zeiten genug zu tragen hatte, so war ihm dagegen
in den meisten Culturzuständcn eine innere Kraft verliehen, welche ihm dem Druck der äußern
Verhältnisse widerstehen half. Hindernisse genug umgaben ihn; aber es fehlte auch nicht an
GlaubeuSkraft. Durch den Glauben kaun der Mensch Berge versetzen': so lange der Glaube
in ihm lebendig war, mochten anch seine Glieder ermatten nnter harter Arbeit, und die schwere
Last seinen Rücken wund reiben, sein.Herz in ihm war friedlich und entschlossen. In der
dichtesten Finsterniß brannte für ihn ein Licht, das ihn führte. Wenn er mühsam strebte und
litt, so fühlte er, daß es so sein müsse, und wär sich dessen bewußt, wofür er strebte und litt.
Der Glaube verlieh ihm eine innere Bereitwilligkeit, eine Welt von Stärke, um damit einer
Welt von Schwierigkeit entgegen zu treten. Das eigentlich Jammervolle unsrer Zeit ist eben
dieses: daß die Schwierigkeit geblieben und die Stärke uns verloren gegangen ist; daß der
Schmerz nicht in freier Anstrengung aufgehen kann; daß die Arbeit da ist und die Willigkeit
uns fehlt. Der Glaube stärket uns, erleuchtet uns, zu wirken und zu tragen, und so ist das
Leben selbst tausendmal freudig hingegeben worden. Aber das ist die Summe menschlichen
Elends, daß er sich unter den Dschagarnaträdern zermalmt fühlt, und dabei weiß, daß Dscha-
garnat keine Gottheit, sondern ein todtes, mechanisches Götzenbild ist!---

Staotstheoricn! dergleichen hat es stets gegeben und wird eS immer geben; in Zeiten
des Verfalls nämlich. Wir wollen sie anerkennen für was sie sind, als Verfahrungsweisen der
Natur, die nichts umsonst thut; als Stufen in ihrem großen Entwicklungsgange. Inzwischen
aber, welche Theorie ist so sicher wie diese, daß alle Theorien, wie ernsthaft und mühsam
sie auch aufgebaut sein mögen, unvollkommen, zweifelhaft und sogar falsch sind, und ihrer
Natur uach nothwendig sein müssen. Wisse, daß dieses Weltall wirklich das ist, wofür eS
sich ausgiebt, ein Unendliches nämlich. Versuche nicht dasselbe zu verschlingen, um deine logische
Verdauungskraft zu erproben; sei vielmehr dankbar dafür, wenn es dir nnr gelingt, hie und
da einen stützenden Pfeiler in das wüste Chaos eiuzureuncn, und so zu verhindern, daß es dich
nicht verschlinge. Daß ein neues, jüngeres Geschlecht sein skeptisches Credo, das in einem blos
negativen „Was soll ich glauben?" bestand, ausgetauscht hat sür den sentimentalen Glau¬
ben an das Evangelium Jean Jacques Rousseaus, auch das ist ein Fortschritt in der Sache
und bedeutet mancherlei.

Selig auch ist die Hoffnung; und immer, vom Anbeginne der Zeiten her, ist irgend ein
tausendjähriges Reich prophezeiet worden: ein Reich der Heiligkeit; aber (und das ist aller¬
dings bemerkenswert!)) niemals noch bis zu dieser neuen Epoche war die Rede von einem
tausendjährigen Reich, wo jeder sich'ö leicht macht und der Himmel reichlichen Segen dazu
schenkt. Auf solch ein prophezeites Schlaraffenland der Glückseligkeit,, allgemeiner Menschen¬
freundlichkeit, und wo das Laster nicht länger häßlich sein soll, vertrauet nicht, meine Freunde!
Der Mensch ist nicht was man ein glückliches Thier nennt; sein Verlangen nach süßer
Kost — sein nimmer zu sättigendes Gemüth — ist so groß. Wie soll der arme Mensch in
dieser wilden Welt, die so unendlich, ungewiß drohend auf thu einstürmt, auch nnr Dasei»
und festen Haltpunkt, geschweige denn Glückseligkeit finden, es wäre denn, daß er sich männlich
umgürte und bereit halte zu unermüdlichem Streben und Aushalten? Wehe dann, wenn in
seinem Herzen kein frommer Glaube wohnt; Peru das Wort Pflicht seine Bedeutung für
ihn verloren hat! Denn was jene Sentimentalität (der Brüderlichkeit, allgemeinen Menschen¬
freundlichkeit ze.) anbelangt, die bei pathetischen Veranlassungen und Romansituationeu so gut


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/240>, abgerufen am 22.12.2024.