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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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Einen und dem Andern nur einen geringen Unterschied zu machen. In die Kunst
selber kommt dadurch etwas Gewerbmäßiges, und es bildet sich dazu eine Gat¬
tung der Literatur, die lediglich auf die Erklärung der Kupfer berechnet ist, und
die sich daher berechtigt glaubt, mit der ungenirtesten Nachlässigkeit ans Werk zu
gehen. Das verbreitet sich dann zunächst in die nicht Mnstrirte Conversations-
literatur, und da die auf Bestellung arbeitenden Literaten ziemlich in allen Fä¬
chern dieselben sind, so ist der Einfluß dieser leichtfertigen Schreibart ohne Grenzen.

Einen fast eben so ausgedehnten Zweig der Modeliteratur bilden die populairen
Darstellungen aus der Literaturgeschichte, namentlich aus der Geschichte der Phi¬
losophie, die meistens so geschrieben werden, daß ans vier Büchern das fünfte gemacht
wird, ohne irgend eine tiefer gehende Kritik und ohne künstlerisches Bestreben. Durch
diese principlosen Darstellungen wird der Dilettantismus und die Passivität im
Denken und Empfinden auf eine höchst bedenkliche Weise genährt. Es werden
einige Namen und Zahlen womöglich ans dem Conversativns-Lexikon zusammen¬
gestellt, und nach Belieben einige gleichgiltige Ausdrücke deS Gefallens oder Mi߬
fallens hinzugefügt, und man gewöhnt sich daran, alle Erscheinungen mit gleicher
Bonhomie zu besprechen und bei dieser Toleranz gegen das Mittelmäßige dem
wenigen Guten, das noch wirklich vorhanden ist, Unrecht zu thun. Diese blastrte
Toleranz pflanzt sich auch auf die kritischen Zeitschriften über. -- Wo möglich
noch unerfreulicher sind die Commentare zu einzelnen Dichtern, die in weit größe¬
rem Maß,als im alexandrinischen Zeitalter, qlle Poesie durch breite Auslegung er-
tödten. Namentlich hat Shakspeare viel darunter zu leiden. Schon bei Ger-
vinus war es sehr bedenklich, wie der Inhalt der Shakspeare'sehen Dramen, den
wir doch alle aus eigener Anschauung zu kennen glaubten, uns in einem breiten,
pragmatischen Zusammenhang wiedererzählt wurde, ohne irgend eine Rücksicht auf
das, was noch allein einer Kritik bedürfte, auf die Gesetze der dramatischen Technik.
Aber bei Gervinus hat man es doch immer mit einem eminenten Verstand zu
thun, und wenn das Verständnis auch nicht wesentlich gefördert wird, so erfreut
man sich doch an einer gebildeten Unterhaltung. Bei seinen Nachfolgern dagegen
wird man vollständig unter Trivialitäten begraben. Sie gehen mit dein Inhalt
der Shakspeare'schen Dramen so um, als hätten sie es nicht mit einer poetischen ,
Erfindung, sondern mit einer wirklichen Geschichte zu thun, und knüpfen in die¬
sem Sinn ihre moralischen Betrachtungen daran; und wenn sie sich einmal zu
einer ästhetischen Bemerkung hergeben, so ergeht es ihnen wie dem Vater der
Debütantin: bei der eiuen Stelle sind sie entzückt darüber, daß der Dichter den
einfachen Ausdruck "Fluß" gebraucht, während ein schwülstiger Dichter "Strom"
gesagt haben würde, bei einer andern bewundern sie den poetischen Ausdruck
"Strom", wo man bei der gewöhnlichen Trivialität das prosaische "Fluß" er¬
wartet hätte.

Eine andere sehr beliebte Waare sind die N e i se b es es r e i bu n g e n.


Einen und dem Andern nur einen geringen Unterschied zu machen. In die Kunst
selber kommt dadurch etwas Gewerbmäßiges, und es bildet sich dazu eine Gat¬
tung der Literatur, die lediglich auf die Erklärung der Kupfer berechnet ist, und
die sich daher berechtigt glaubt, mit der ungenirtesten Nachlässigkeit ans Werk zu
gehen. Das verbreitet sich dann zunächst in die nicht Mnstrirte Conversations-
literatur, und da die auf Bestellung arbeitenden Literaten ziemlich in allen Fä¬
chern dieselben sind, so ist der Einfluß dieser leichtfertigen Schreibart ohne Grenzen.

Einen fast eben so ausgedehnten Zweig der Modeliteratur bilden die populairen
Darstellungen aus der Literaturgeschichte, namentlich aus der Geschichte der Phi¬
losophie, die meistens so geschrieben werden, daß ans vier Büchern das fünfte gemacht
wird, ohne irgend eine tiefer gehende Kritik und ohne künstlerisches Bestreben. Durch
diese principlosen Darstellungen wird der Dilettantismus und die Passivität im
Denken und Empfinden auf eine höchst bedenkliche Weise genährt. Es werden
einige Namen und Zahlen womöglich ans dem Conversativns-Lexikon zusammen¬
gestellt, und nach Belieben einige gleichgiltige Ausdrücke deS Gefallens oder Mi߬
fallens hinzugefügt, und man gewöhnt sich daran, alle Erscheinungen mit gleicher
Bonhomie zu besprechen und bei dieser Toleranz gegen das Mittelmäßige dem
wenigen Guten, das noch wirklich vorhanden ist, Unrecht zu thun. Diese blastrte
Toleranz pflanzt sich auch auf die kritischen Zeitschriften über. — Wo möglich
noch unerfreulicher sind die Commentare zu einzelnen Dichtern, die in weit größe¬
rem Maß,als im alexandrinischen Zeitalter, qlle Poesie durch breite Auslegung er-
tödten. Namentlich hat Shakspeare viel darunter zu leiden. Schon bei Ger-
vinus war es sehr bedenklich, wie der Inhalt der Shakspeare'sehen Dramen, den
wir doch alle aus eigener Anschauung zu kennen glaubten, uns in einem breiten,
pragmatischen Zusammenhang wiedererzählt wurde, ohne irgend eine Rücksicht auf
das, was noch allein einer Kritik bedürfte, auf die Gesetze der dramatischen Technik.
Aber bei Gervinus hat man es doch immer mit einem eminenten Verstand zu
thun, und wenn das Verständnis auch nicht wesentlich gefördert wird, so erfreut
man sich doch an einer gebildeten Unterhaltung. Bei seinen Nachfolgern dagegen
wird man vollständig unter Trivialitäten begraben. Sie gehen mit dein Inhalt
der Shakspeare'schen Dramen so um, als hätten sie es nicht mit einer poetischen ,
Erfindung, sondern mit einer wirklichen Geschichte zu thun, und knüpfen in die¬
sem Sinn ihre moralischen Betrachtungen daran; und wenn sie sich einmal zu
einer ästhetischen Bemerkung hergeben, so ergeht es ihnen wie dem Vater der
Debütantin: bei der eiuen Stelle sind sie entzückt darüber, daß der Dichter den
einfachen Ausdruck „Fluß" gebraucht, während ein schwülstiger Dichter „Strom"
gesagt haben würde, bei einer andern bewundern sie den poetischen Ausdruck
„Strom", wo man bei der gewöhnlichen Trivialität das prosaische „Fluß" er¬
wartet hätte.

Eine andere sehr beliebte Waare sind die N e i se b es es r e i bu n g e n.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/19>, abgerufen am 22.12.2024.