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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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Keine Partei kann es ganz vermeiden, ans den Effect zu speculiren.und von Zeit
zu Zeit in Pathos zu verfallen, wo es nicht hingehört. Das ganz richtige Ge¬
fühl, daß wir in diesem Augenblick nichts weniger als tragische Heldenrollen spielen,
hat Manchen von uns verleitet, mit einer Richtung zu buhlen, deren "souverainen
Unverstand" wir früher selbst so eifrig bekämpft haben, ans keinem andern Grunde,
als weil diese-Richtung den Mund voller nahm, und dadurch in einer Zeit, wo
die Phrase uoch mehr Wirkung machte, einen größern Effect erzielte. Ein andrer
Theil unsrer Partei ist unter der Frankfurter Glasglocke groß geworden, wo man
jede Ahnung von der geschichtlichen Welt verloren hatte, und der festen Ueber¬
zeugung war, durch Clubverhandlungen, dnrch Zusatzartikel zu §. -17 und durch
schulgerechte Reden die Weltgeschichte zu bewegen. Diese Illusion des Doktrinaris¬
mus hat sich noch nicht ganz verloren: sie macht sich noch von Zeit zu Zeit
geltend, und beurtheilt die Dinge nicht nach ihrem Wesen, sondern nach
ihrem Verhältniß zu den Paragraphen des Systems. Ein dritter Theil endlich
hat sich zu sehr gewöhnt, den Umständen Rechnung zu tragen, und darüber ver¬
gessen, daß ein kluger Schiffer seine Segel zwar genau nach dem Winde richtet,
aber nicht "in ihm zu folgen, sondern um ihn zu benutzen. Diese verschiedenen
Momente isoliren sich zuweilen und bringen den Schein einer Entzweiung inner¬
halb der Partei hervor, der aber aufgehoben wird, sobald man die Sache unbe¬
fangen ins Auge faßt. Unsre Presse ist nicht nur besser, als im Jahre 18L7,
sondern auch besser, als 1848, trotz der.Kautionen und Concessionen. Sie hat
mehr Einsicht und weniger Phrasen. -- Dasselbe gilt von dein Staat, um den sich die
Politik unsrer Partei vorzugsweise gruppirt. Trotz des gerechten Unwillens, den
die preußische Politik überall erregt hat, trotz der falschen Position, in die sich
der Staat durch eine waukelmüthige Politik versetzt sieht, ist sein innerer Kern
uoch immer nicht angegriffen. Das spricht sich auch in der Literatur aus, in jener
glänzenden Reihe historischer Memoiren, in denen sich das preußische Wesen in
sich selber vertieft, um durch die Erinnerung an seine Vergangenheit neue Kraft
uiid neues Verständniß zu.schöpfen.'

Unerfreulicher wird der Eindruck, wenn wir auf die eigentliche Modeliteratur
übergehen. Zunächst die Kinderbücher, die in der gesammten Bücherfabrikation
den bedeutendsten Umfang einnehmen. Es ist in dieses Genre ein Raffinement
eingetreten, welches bei der unendlichen Dürftigkeit des Inhalts einen eben nicht
angenehmen Eindruck macht. Ferner die illustrirten Werke. Von den ge¬
meinnützigen Kalendern , an durch die Caricaturen hindurch, bis zu den Künstler-
albnms,, überfluthet diese schöne Kunst das Publicum. Wenn durch diese Literatur
die concrete Anschauung des Volks gefördert wird, so kann man das von der
künstlerischen Bildung nicht in gleichem Maße sagen. Das Mittelmäßige über¬
wiegt doch bei Weitem das Gute, und man gewöhnt sich daran, zwischen dem


nach der andern Seite vorkomme», lassen sich in Folgendem zusammenfassen.
Keine Partei kann es ganz vermeiden, ans den Effect zu speculiren.und von Zeit
zu Zeit in Pathos zu verfallen, wo es nicht hingehört. Das ganz richtige Ge¬
fühl, daß wir in diesem Augenblick nichts weniger als tragische Heldenrollen spielen,
hat Manchen von uns verleitet, mit einer Richtung zu buhlen, deren „souverainen
Unverstand" wir früher selbst so eifrig bekämpft haben, ans keinem andern Grunde,
als weil diese-Richtung den Mund voller nahm, und dadurch in einer Zeit, wo
die Phrase uoch mehr Wirkung machte, einen größern Effect erzielte. Ein andrer
Theil unsrer Partei ist unter der Frankfurter Glasglocke groß geworden, wo man
jede Ahnung von der geschichtlichen Welt verloren hatte, und der festen Ueber¬
zeugung war, durch Clubverhandlungen, dnrch Zusatzartikel zu §. -17 und durch
schulgerechte Reden die Weltgeschichte zu bewegen. Diese Illusion des Doktrinaris¬
mus hat sich noch nicht ganz verloren: sie macht sich noch von Zeit zu Zeit
geltend, und beurtheilt die Dinge nicht nach ihrem Wesen, sondern nach
ihrem Verhältniß zu den Paragraphen des Systems. Ein dritter Theil endlich
hat sich zu sehr gewöhnt, den Umständen Rechnung zu tragen, und darüber ver¬
gessen, daß ein kluger Schiffer seine Segel zwar genau nach dem Winde richtet,
aber nicht »in ihm zu folgen, sondern um ihn zu benutzen. Diese verschiedenen
Momente isoliren sich zuweilen und bringen den Schein einer Entzweiung inner¬
halb der Partei hervor, der aber aufgehoben wird, sobald man die Sache unbe¬
fangen ins Auge faßt. Unsre Presse ist nicht nur besser, als im Jahre 18L7,
sondern auch besser, als 1848, trotz der.Kautionen und Concessionen. Sie hat
mehr Einsicht und weniger Phrasen. — Dasselbe gilt von dein Staat, um den sich die
Politik unsrer Partei vorzugsweise gruppirt. Trotz des gerechten Unwillens, den
die preußische Politik überall erregt hat, trotz der falschen Position, in die sich
der Staat durch eine waukelmüthige Politik versetzt sieht, ist sein innerer Kern
uoch immer nicht angegriffen. Das spricht sich auch in der Literatur aus, in jener
glänzenden Reihe historischer Memoiren, in denen sich das preußische Wesen in
sich selber vertieft, um durch die Erinnerung an seine Vergangenheit neue Kraft
uiid neues Verständniß zu.schöpfen.'

Unerfreulicher wird der Eindruck, wenn wir auf die eigentliche Modeliteratur
übergehen. Zunächst die Kinderbücher, die in der gesammten Bücherfabrikation
den bedeutendsten Umfang einnehmen. Es ist in dieses Genre ein Raffinement
eingetreten, welches bei der unendlichen Dürftigkeit des Inhalts einen eben nicht
angenehmen Eindruck macht. Ferner die illustrirten Werke. Von den ge¬
meinnützigen Kalendern , an durch die Caricaturen hindurch, bis zu den Künstler-
albnms,, überfluthet diese schöne Kunst das Publicum. Wenn durch diese Literatur
die concrete Anschauung des Volks gefördert wird, so kann man das von der
künstlerischen Bildung nicht in gleichem Maße sagen. Das Mittelmäßige über¬
wiegt doch bei Weitem das Gute, und man gewöhnt sich daran, zwischen dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/18>, abgerufen am 22.12.2024.