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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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aufgiebt. Wenn Eichendorff die Fahne der Romantik aufpflanzt, so ist der In¬
halt, den er vertritt, doch keineswegs mit dem Glaubensbekenntniß der roman¬
tischen Schule übereinstimmend. Was die romantische Schule für Deutschland
so schädlich gemacht hat, war die Willkür und Unstetigkeit in ihren Gesichtspunkten,
der subjective Hochmuth, mit welchem sie sich ein eigenes Ideal, einen eigenen
Himmel aufbauen wollte, und ihre verkehrte Auffassung von der Kunst, die sie
dem wirklichen Leben entgegensetzte, während die Kunst doch nur die Erfüllung
und Rechtfertigung des wirklichen Lebens sein soll. Gegen diese Zuchtlosigkeit,
die sich später in ihren Nachfolgern, den Jungdeutschen, noch viel mehr heraus¬
gestellt hat, werden wir fortfahren müssen in die Schranken zu treten; was aber
die stofflichen Gegensätze betrifft, zu deren genauerer Erwägung sie Anlaß gegeben
hat, gothisch oder griechisch, christlich oder heidnisch, realistisch oder idealistisch, --
das Alles sind Fragen, von denen man jede für sich behandeln muß, die von dem
allgemeinen Princip der Schule aus nicht einmal eine genaue Verständigung,
viel weniger eine vollständige Rechtfertigung finden. Wenn wir uns in unsrer
Literatur wie in unsrem Leben zu einer größern Gesundheit entwickeln wollen,
so werden wir diese Versuche von dem Boden ans anstellen müssen, ans de,in
wir einmal stehen, dem Boden deö Protestantismus und der durch die antike
Welt vermittelten Bildung. Zeitlose liebenswürdige kleine Genrebilder wie
die Eichendorff'schen werden zwar immer zu einem vortrefflichen Schmuck unsres
Muscntempels dienen, aber eine Säule daraus machen zu wollen, auf der nur
das kleinste Gewölbe ruhen könnte, wäre ein thörichtes Unternehmen.




G a v a r n i.

Wir haben oben darauf hingedeutet, daß man nur zu leicht in den Fehler
verfällt, den Begriff der Gemüthlichkeit auf einen engen Kreis willkürlich ein¬
zuschränken. Es ist mit dem Humor etwas Aehnliches. Allgemein herrscht bei
uns die Ansicht vor , die Franzosen seien ein des Humors unfähiges Volk. Wenn
man das blos von der neuern Literatur behauptete, so würde sich wenig dagegen
einwenden lassen, denn durch die französische Akademie, dnrch die Prediger des
47. und die Encyklopädisten des 18. Jahrhunderts ist der Sprache ein so anci-
thematisch-militairischer Charakter aufgeprägt worden, daß sie nnr noch die gerade
Linie kennt, und diese widerstrebt allem Humor. Zur geistreichen Konversation,
zum Witz und zur Beweisführung, ja anch wohl zur eigentlichen Beredtsamkeit
ist die französische Sprache so geeignet, wie keine andere, aber zu jener ungenirter
Bequemlichkeit, die von dem Wesen des Humors unzertrennlich ist, scheint ihr


aufgiebt. Wenn Eichendorff die Fahne der Romantik aufpflanzt, so ist der In¬
halt, den er vertritt, doch keineswegs mit dem Glaubensbekenntniß der roman¬
tischen Schule übereinstimmend. Was die romantische Schule für Deutschland
so schädlich gemacht hat, war die Willkür und Unstetigkeit in ihren Gesichtspunkten,
der subjective Hochmuth, mit welchem sie sich ein eigenes Ideal, einen eigenen
Himmel aufbauen wollte, und ihre verkehrte Auffassung von der Kunst, die sie
dem wirklichen Leben entgegensetzte, während die Kunst doch nur die Erfüllung
und Rechtfertigung des wirklichen Lebens sein soll. Gegen diese Zuchtlosigkeit,
die sich später in ihren Nachfolgern, den Jungdeutschen, noch viel mehr heraus¬
gestellt hat, werden wir fortfahren müssen in die Schranken zu treten; was aber
die stofflichen Gegensätze betrifft, zu deren genauerer Erwägung sie Anlaß gegeben
hat, gothisch oder griechisch, christlich oder heidnisch, realistisch oder idealistisch, —
das Alles sind Fragen, von denen man jede für sich behandeln muß, die von dem
allgemeinen Princip der Schule aus nicht einmal eine genaue Verständigung,
viel weniger eine vollständige Rechtfertigung finden. Wenn wir uns in unsrer
Literatur wie in unsrem Leben zu einer größern Gesundheit entwickeln wollen,
so werden wir diese Versuche von dem Boden ans anstellen müssen, ans de,in
wir einmal stehen, dem Boden deö Protestantismus und der durch die antike
Welt vermittelten Bildung. Zeitlose liebenswürdige kleine Genrebilder wie
die Eichendorff'schen werden zwar immer zu einem vortrefflichen Schmuck unsres
Muscntempels dienen, aber eine Säule daraus machen zu wollen, auf der nur
das kleinste Gewölbe ruhen könnte, wäre ein thörichtes Unternehmen.




G a v a r n i.

Wir haben oben darauf hingedeutet, daß man nur zu leicht in den Fehler
verfällt, den Begriff der Gemüthlichkeit auf einen engen Kreis willkürlich ein¬
zuschränken. Es ist mit dem Humor etwas Aehnliches. Allgemein herrscht bei
uns die Ansicht vor , die Franzosen seien ein des Humors unfähiges Volk. Wenn
man das blos von der neuern Literatur behauptete, so würde sich wenig dagegen
einwenden lassen, denn durch die französische Akademie, dnrch die Prediger des
47. und die Encyklopädisten des 18. Jahrhunderts ist der Sprache ein so anci-
thematisch-militairischer Charakter aufgeprägt worden, daß sie nnr noch die gerade
Linie kennt, und diese widerstrebt allem Humor. Zur geistreichen Konversation,
zum Witz und zur Beweisführung, ja anch wohl zur eigentlichen Beredtsamkeit
ist die französische Sprache so geeignet, wie keine andere, aber zu jener ungenirter
Bequemlichkeit, die von dem Wesen des Humors unzertrennlich ist, scheint ihr


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/179>, abgerufen am 22.12.2024.