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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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genießen weiß. Auch in diesen Stücken, weniger freilich in dem ersten, welches
durch polemische und allegorische Anspielungen verkümmert wird, ist viel echte
Poesie, namentlich in der Farbe und Stimmung. Es ist selten einem Dichter
gelungen, das Gefühl einer warmen Sommernacht oder eines buntbewegten Tages
so lebendig in seinen Lesern rege zu machen, als Eichendorff. Er verdient darin
namentlich einen großen Vorzug vor Tieck, Brentano und der übrigen romanti¬
schen Schule, mit der er in Beziehung auf die Tendenz zwar Hand in Hand
geht, -- ein dramatisches Spiel: Krieg den Philistern! 1825, ist ganz in der Tieck-
schen Manier, -- die er aber an Unmittelbarkeit und Unbefangenheit der An¬
schauungen und Empfindungen bei weitem übertrifft. Bei den eigentlichen Romantikern
ist die specifisch poetische Welt eine gemachte, sie dient nur zur Folie gegen das
verhaßte Wesen der aufgeklärten Philister. Bei Eichendorff dagegen hat sie etwas
Ursprüngliches, das durch die polemische Tendenz nicht verwischt wird. Er würde
an seinen Stoffen und seinen Stimmungen Freude haben, auch wenn sich die
Philister nicht darüber ärgerten.

Einen Mangel aber theilt er mit den Romantikern: er kann nicht zeichnen,
er kann keine bestimmten Gestalten abgrenzen; seine Romane sind ein unausge¬
setztes Stillleben, in dem die Bewegung nnr eine scheinbare ist. Dies tritt bei
ihm um so deutlicher hervor, da er es wenigstens im Ganzen verschmäht, durch
Contraste zu wirken. Wir leben bei ihm in einem beständigen Sonntag und
beständig bei gutem Wetter, in beständiger Poesie. Aus die Länge wirkt das
ermüdend, und wir sehnen uns lebhaft nach einer Zeit wirklicher, zweckmäßiger
Beschäftigung. Das Spiel wie der Feiertag sind nur zur Sammlung da, sie
haben keinen Sinn, wenn sie nicht eine geordnete, regelmäßige Thätigkeit unter¬
brechen. Wir glauben nicht zu irren, wenn wir diese fixirte sonntägliche Stim¬
mung wenigstens zum Theil daraus herleiten, daß Eichendorff geborener Katholik
ist, nicht reflectirter Katholik, wie seine romantischen Glaubensgenossen. Die
katholische Auffassung macht den Feiertag zum Hauptzweck und Mittelpunkt des
Lebens. Die Arbeit ist ihr eine Last, deren sie sich gern entledigt. Darum ist
unstreitig in katholischen Ländern das Leben, wo es nicht gerade durch übertriebenen
Fanatismus verfinstert wird, im Ganzen von einer größern Heiterkeit und
MannichfMgkeit; aber es entwickelt auch weniger Tiefe des Gemüths. Selten
wird ein protestantischer Dichter einen so heitern Eindruck machen, als Eichendorff,
aber der Inhalt, den man von ihm davon trägt, ist doch ein dürftiger im
Vergleich zu den protestantischen Dichtern desselben Ranges, z. B. Arnim. Ja wir
möchten behaupten, daß selbst das intensive, das ganze Herz durchdringende
Gefühl des Feiertags eigentlich nur im Protestantismus möglich ist, wo es als
Sammluug nach harter Arbeit eintritt. Ein solches Gefühl erregt z. B. das
bekannte kleine Uhland'sche Gedicht: "Schäfers Sonntagslied": es ist nnr sehr
wenig ausgeführt, allein so viel empfindet man doch heraus, daß die Stille und


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genießen weiß. Auch in diesen Stücken, weniger freilich in dem ersten, welches
durch polemische und allegorische Anspielungen verkümmert wird, ist viel echte
Poesie, namentlich in der Farbe und Stimmung. Es ist selten einem Dichter
gelungen, das Gefühl einer warmen Sommernacht oder eines buntbewegten Tages
so lebendig in seinen Lesern rege zu machen, als Eichendorff. Er verdient darin
namentlich einen großen Vorzug vor Tieck, Brentano und der übrigen romanti¬
schen Schule, mit der er in Beziehung auf die Tendenz zwar Hand in Hand
geht, — ein dramatisches Spiel: Krieg den Philistern! 1825, ist ganz in der Tieck-
schen Manier, — die er aber an Unmittelbarkeit und Unbefangenheit der An¬
schauungen und Empfindungen bei weitem übertrifft. Bei den eigentlichen Romantikern
ist die specifisch poetische Welt eine gemachte, sie dient nur zur Folie gegen das
verhaßte Wesen der aufgeklärten Philister. Bei Eichendorff dagegen hat sie etwas
Ursprüngliches, das durch die polemische Tendenz nicht verwischt wird. Er würde
an seinen Stoffen und seinen Stimmungen Freude haben, auch wenn sich die
Philister nicht darüber ärgerten.

Einen Mangel aber theilt er mit den Romantikern: er kann nicht zeichnen,
er kann keine bestimmten Gestalten abgrenzen; seine Romane sind ein unausge¬
setztes Stillleben, in dem die Bewegung nnr eine scheinbare ist. Dies tritt bei
ihm um so deutlicher hervor, da er es wenigstens im Ganzen verschmäht, durch
Contraste zu wirken. Wir leben bei ihm in einem beständigen Sonntag und
beständig bei gutem Wetter, in beständiger Poesie. Aus die Länge wirkt das
ermüdend, und wir sehnen uns lebhaft nach einer Zeit wirklicher, zweckmäßiger
Beschäftigung. Das Spiel wie der Feiertag sind nur zur Sammlung da, sie
haben keinen Sinn, wenn sie nicht eine geordnete, regelmäßige Thätigkeit unter¬
brechen. Wir glauben nicht zu irren, wenn wir diese fixirte sonntägliche Stim¬
mung wenigstens zum Theil daraus herleiten, daß Eichendorff geborener Katholik
ist, nicht reflectirter Katholik, wie seine romantischen Glaubensgenossen. Die
katholische Auffassung macht den Feiertag zum Hauptzweck und Mittelpunkt des
Lebens. Die Arbeit ist ihr eine Last, deren sie sich gern entledigt. Darum ist
unstreitig in katholischen Ländern das Leben, wo es nicht gerade durch übertriebenen
Fanatismus verfinstert wird, im Ganzen von einer größern Heiterkeit und
MannichfMgkeit; aber es entwickelt auch weniger Tiefe des Gemüths. Selten
wird ein protestantischer Dichter einen so heitern Eindruck machen, als Eichendorff,
aber der Inhalt, den man von ihm davon trägt, ist doch ein dürftiger im
Vergleich zu den protestantischen Dichtern desselben Ranges, z. B. Arnim. Ja wir
möchten behaupten, daß selbst das intensive, das ganze Herz durchdringende
Gefühl des Feiertags eigentlich nur im Protestantismus möglich ist, wo es als
Sammluug nach harter Arbeit eintritt. Ein solches Gefühl erregt z. B. das
bekannte kleine Uhland'sche Gedicht: „Schäfers Sonntagslied": es ist nnr sehr
wenig ausgeführt, allein so viel empfindet man doch heraus, daß die Stille und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/175>, abgerufen am 22.12.2024.