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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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zu geben braucht, um ihren geistigen Gehalt zu durchdringen, und dabei sind sie
doch mit Wärme und wenigstens zum Theil auch mit individueller Lebendigkeit
empfunden und wiedergegeben.

Fast von jedem unsrer Dichter zweiten Ranges besitzt die Nation irgend ein
charakteristisches Stuck, das sie wie ein Bijon hegt und das, ihr das Gesammt-
leben des Dichters symbolisch versinnlicht. So von Fonqnv die Undine, von
Brentano den braven Kasperl, von Arnim die schöne Jsabelle von Ägypten,
von Kleist den KohlhaaS, von Chamisso den Peter Schlemihl, von Hoffmann Mei¬
ster Martin den Knffner n. s. w. Eichendorffs Wesen wird uns am besten durch
seine kleine Novelle: Aus dem Leben eines Taugenichts, versinnlicht. Sie
ist 1824 geschrieben. Der Versasser war damals 36 Jahre all und längere Zeit
hindurch bereits preußischer Beamter, mehrere Jahre Regierungsrath. Man
könnte sich leicht versucht suhlen, das Ideal, welches im Taugenichts geschildert
wird, aus der Sehnsucht eines vielbeschäftigten Bureaukraten nach einem Augen¬
blick sorgenlosen Mnssiggangs herzuleiten, ungefähr wie Immermann sich aus den
gewohnten Kreisen der Münchhausen und Epigonen in das naturwüchsige Stillleben
einer westphälischen Dorfgemeinde flüchtete. Es ist sehr begreiflich, daß der
Beamte, der jeden Tag seinen bestimmten Gang, jeden Tag einen ihm äußerlich
gesetzten Zweck verfolgt, sich die Zwecklostgkeit als das Paradies des Menschen¬
lebens ausmalt, Und sich kein lieberes Genrebild ersinnen kann, als einen ver¬
gnügten Menschen, der auf der Welt nichts zu thun hat, als träumerisch ins
Blaue hinauszusehen, seine Pfeife zu rauchen, wenn er gerade einmal Lust hat,
die Blumen zu begießen, und der hübschen Nachbarstochter, die möglicher¬
weise eine Gräfin oder auch eine Zofe sein kann, einen Strauß zuzuwerfen.
Diese löblichen Beschäftigungen bei Hellem muntern Sonnenscheine in einer
Zeit, wo die Bänme im frischesten Grün prangen, und man sich nicht die
Mühe zu geben braucht, den Ofen zu heizen, wo man an das geschäftige Tret-
ben der Welt nur durch herumziehende Prager Musikanten und derbe Fuhrleute
erinnert wird, macheu einen sehr heitern Eindruck, und mau fühlt sich behaglich,
wenn man über'die Normalität seines Zustands anch nicht ganz im Reinen ist.
Charakteristisch für Eichendorff ist das in seinen Novellen häufig vorkommende
Gähnen, nicht das verdrießliche Gähnen der Langeweile, sondern das glückliche
Gähnen eines in seinem Innern zufriedenen Mnssiggängers, der bereits eine
unerhörte Anstrengung gemacht zu haben glaubt, wenn er die Kinnbacken von
einander zieht.

Die Stoffe, die Eichendorff in dieser kleinen Novelle behandelt hat, bleiben
im Wesentlichen dieselben, z. B. in: "Viel Lärmen um nichts", 1833, in: "Dichter
und ihre Gesellen", 183i. Nur tritt in der letztern noch ein anderes Moment
hinzu. Aus dem unbefangenen Taugenichts wird der frei über dem Gewühl
der Welt stehende Dichter, der mit Bildung und Verstand sein Nichtsthun zu


zu geben braucht, um ihren geistigen Gehalt zu durchdringen, und dabei sind sie
doch mit Wärme und wenigstens zum Theil auch mit individueller Lebendigkeit
empfunden und wiedergegeben.

Fast von jedem unsrer Dichter zweiten Ranges besitzt die Nation irgend ein
charakteristisches Stuck, das sie wie ein Bijon hegt und das, ihr das Gesammt-
leben des Dichters symbolisch versinnlicht. So von Fonqnv die Undine, von
Brentano den braven Kasperl, von Arnim die schöne Jsabelle von Ägypten,
von Kleist den KohlhaaS, von Chamisso den Peter Schlemihl, von Hoffmann Mei¬
ster Martin den Knffner n. s. w. Eichendorffs Wesen wird uns am besten durch
seine kleine Novelle: Aus dem Leben eines Taugenichts, versinnlicht. Sie
ist 1824 geschrieben. Der Versasser war damals 36 Jahre all und längere Zeit
hindurch bereits preußischer Beamter, mehrere Jahre Regierungsrath. Man
könnte sich leicht versucht suhlen, das Ideal, welches im Taugenichts geschildert
wird, aus der Sehnsucht eines vielbeschäftigten Bureaukraten nach einem Augen¬
blick sorgenlosen Mnssiggangs herzuleiten, ungefähr wie Immermann sich aus den
gewohnten Kreisen der Münchhausen und Epigonen in das naturwüchsige Stillleben
einer westphälischen Dorfgemeinde flüchtete. Es ist sehr begreiflich, daß der
Beamte, der jeden Tag seinen bestimmten Gang, jeden Tag einen ihm äußerlich
gesetzten Zweck verfolgt, sich die Zwecklostgkeit als das Paradies des Menschen¬
lebens ausmalt, Und sich kein lieberes Genrebild ersinnen kann, als einen ver¬
gnügten Menschen, der auf der Welt nichts zu thun hat, als träumerisch ins
Blaue hinauszusehen, seine Pfeife zu rauchen, wenn er gerade einmal Lust hat,
die Blumen zu begießen, und der hübschen Nachbarstochter, die möglicher¬
weise eine Gräfin oder auch eine Zofe sein kann, einen Strauß zuzuwerfen.
Diese löblichen Beschäftigungen bei Hellem muntern Sonnenscheine in einer
Zeit, wo die Bänme im frischesten Grün prangen, und man sich nicht die
Mühe zu geben braucht, den Ofen zu heizen, wo man an das geschäftige Tret-
ben der Welt nur durch herumziehende Prager Musikanten und derbe Fuhrleute
erinnert wird, macheu einen sehr heitern Eindruck, und mau fühlt sich behaglich,
wenn man über'die Normalität seines Zustands anch nicht ganz im Reinen ist.
Charakteristisch für Eichendorff ist das in seinen Novellen häufig vorkommende
Gähnen, nicht das verdrießliche Gähnen der Langeweile, sondern das glückliche
Gähnen eines in seinem Innern zufriedenen Mnssiggängers, der bereits eine
unerhörte Anstrengung gemacht zu haben glaubt, wenn er die Kinnbacken von
einander zieht.

Die Stoffe, die Eichendorff in dieser kleinen Novelle behandelt hat, bleiben
im Wesentlichen dieselben, z. B. in: „Viel Lärmen um nichts", 1833, in: „Dichter
und ihre Gesellen", 183i. Nur tritt in der letztern noch ein anderes Moment
hinzu. Aus dem unbefangenen Taugenichts wird der frei über dem Gewühl
der Welt stehende Dichter, der mit Bildung und Verstand sein Nichtsthun zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/174>, abgerufen am 22.12.2024.