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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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z. B. der Aufsatz über Wagner in der Nationalzeitung. Das ist einer von jenen Auf¬
sätzen, deren Berechtigung für unsere Feuilletons wir freilich wohl anerkennen, die wir
aber aus unsrer eigentlichen Literatur hinwcgwünschten. Wagner hat seine Reformbestre-
bungen für die Kunst theils in seinen musikalisch poetischen Werken ausgeführt, die dem
Kritiker in der Partitur vorliegen, theils theoretisch in längeren Abhandlungen, die
gleichfalls gedruckt sind. In den letzteren kann man die Gründe und die Gegengründe
abwägen, die Methode kritisiren, unklare Begriffe ausheilen, falsche Prämissen ergän¬
zen u. s. w., und im Text und in der Partitur der Opern kann man sich, wenn auch
der vollständige sinnliche Eindruck noch fehlt, wenigstens ein Bild von der künstlerischen
Intention machen. Stahr giebt aber ein Urtheil ab, wie es scheint ohne sich mit dem Einen
oder dem Andern beschäftigt zu haben. Er referirt ziemlich enthusiastisch den Text des
Tannhäuser und Lohengrin, knüpft einige philosophische Betrachtungen daran, nach de¬
nen man ein Kunstwerk im größten Styl voraussetzen müßte, während hier doch
wesentlich nur versificirtc Heine'sche Einfälle vorliegen, berichtet den wohlthuenden
Eindruck, den die Aufführung aus ihn gemacht hat, vergißt auch nicht, das wider¬
sprechende Urtheil des Franzosen Henri Blaze anzuführen: "Er erklärte sich für unfähig,
diesem Wagner'schen Kunstwerk irgend ein Interesse abzugewinnen, ja es war ihm kaum
begreiflich, wie man sich herbeilassen möge, so etwas Musik zu nennen;, von der Dich¬
tung war ohnehin keine Rede. Daß aber Lißt sich aus diese Wagner'sche Musik ein¬
gelassen habe, erfüllte ihn bei seinen freundschaftlichen Gesinnungen für denselben mit
wahrhafter Besorgnis; u. s. w," -- Dann setzt der Verfasser selbst hinzu: "Das scheint
wohl unzweifelhaft, daß mit diesem Wagner'schen Kunstwerk der Anfang einer neuen
Kunst des musikalischen Drama's gemacht ist. ... . Goethe und Schiller haben auch
hier auf das Richtige hingedeutet,, und Wagner's Schöpfungen sind nur eine Bestäti¬
gung und theilweise Erfüllung dessen, was Goethe als Verlangen und Aufgabe aus¬
gesprochen hat." -- Das ist doch eine verzweifelt beiläufige Art, ein kritisches Urtheil
abzugeben! Und Aehnliches findet sich bei Stahr's Kritiken häufig. Er unterscheidet
viel zu wenig den Touristen vom Kritiker. Als Tourist erfüllt er vollkommen seine
Pflicht, wenn er die Ausführung des Wagner'schen Kunstwerks beschreibt und dann
hinzusetzt, es habe ihm sehr gefallen und imponirt; aber wenn er als Kritiker nicht
mehr zu sagen weiß, ist das doch sehr wenig.---Abgesehen von diesen Einwendun¬
gen/ die wir gegen das Genre überhaupt machen müssen, finden sich, wie gesagt, viele
recht ansprechende und treffende Bemerkungen, namentlich über das Verhältniß Goethe's
zu Frau v. Stein, in dessen Auffassung wir dem Verfasser vollkommen beipflichten.

Aus der neuern französischen belletristischen Literatur führen wir von
Alexander Dumas eine neue Fortsetzung derNkmoirss Ä'un nMoein an: I^aoom-
tesss as 6Iigrn^. Der Roman wird je länger je langweiliger. Das ewige Magne-
tiflren und die unerträgliche cavaliermäßige Nachlässigkeit, mit der die Geschichte be¬
handelt wird, ermüden zuletzt auch den ausdauerndsten Nomcmlescr. -- Ferner führen
wir an von Amödve Achard: "Ilm visux äiplomatö, on einen etolral." Wieder eine
Reaction gegen die herrschende Romantik, im Sinne der Bourgeoisie, wie sie sich schon
in Scribe's Stücken und in den Romanen von Sandeau und Anderen geltend macht.
Es wird gezeigt, daß es unzweckmäßig von'einem Marquis ist, eine Schneidermamscll,


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z. B. der Aufsatz über Wagner in der Nationalzeitung. Das ist einer von jenen Auf¬
sätzen, deren Berechtigung für unsere Feuilletons wir freilich wohl anerkennen, die wir
aber aus unsrer eigentlichen Literatur hinwcgwünschten. Wagner hat seine Reformbestre-
bungen für die Kunst theils in seinen musikalisch poetischen Werken ausgeführt, die dem
Kritiker in der Partitur vorliegen, theils theoretisch in längeren Abhandlungen, die
gleichfalls gedruckt sind. In den letzteren kann man die Gründe und die Gegengründe
abwägen, die Methode kritisiren, unklare Begriffe ausheilen, falsche Prämissen ergän¬
zen u. s. w., und im Text und in der Partitur der Opern kann man sich, wenn auch
der vollständige sinnliche Eindruck noch fehlt, wenigstens ein Bild von der künstlerischen
Intention machen. Stahr giebt aber ein Urtheil ab, wie es scheint ohne sich mit dem Einen
oder dem Andern beschäftigt zu haben. Er referirt ziemlich enthusiastisch den Text des
Tannhäuser und Lohengrin, knüpft einige philosophische Betrachtungen daran, nach de¬
nen man ein Kunstwerk im größten Styl voraussetzen müßte, während hier doch
wesentlich nur versificirtc Heine'sche Einfälle vorliegen, berichtet den wohlthuenden
Eindruck, den die Aufführung aus ihn gemacht hat, vergißt auch nicht, das wider¬
sprechende Urtheil des Franzosen Henri Blaze anzuführen: „Er erklärte sich für unfähig,
diesem Wagner'schen Kunstwerk irgend ein Interesse abzugewinnen, ja es war ihm kaum
begreiflich, wie man sich herbeilassen möge, so etwas Musik zu nennen;, von der Dich¬
tung war ohnehin keine Rede. Daß aber Lißt sich aus diese Wagner'sche Musik ein¬
gelassen habe, erfüllte ihn bei seinen freundschaftlichen Gesinnungen für denselben mit
wahrhafter Besorgnis; u. s. w," — Dann setzt der Verfasser selbst hinzu: „Das scheint
wohl unzweifelhaft, daß mit diesem Wagner'schen Kunstwerk der Anfang einer neuen
Kunst des musikalischen Drama's gemacht ist. ... . Goethe und Schiller haben auch
hier auf das Richtige hingedeutet,, und Wagner's Schöpfungen sind nur eine Bestäti¬
gung und theilweise Erfüllung dessen, was Goethe als Verlangen und Aufgabe aus¬
gesprochen hat." — Das ist doch eine verzweifelt beiläufige Art, ein kritisches Urtheil
abzugeben! Und Aehnliches findet sich bei Stahr's Kritiken häufig. Er unterscheidet
viel zu wenig den Touristen vom Kritiker. Als Tourist erfüllt er vollkommen seine
Pflicht, wenn er die Ausführung des Wagner'schen Kunstwerks beschreibt und dann
hinzusetzt, es habe ihm sehr gefallen und imponirt; aber wenn er als Kritiker nicht
mehr zu sagen weiß, ist das doch sehr wenig.---Abgesehen von diesen Einwendun¬
gen/ die wir gegen das Genre überhaupt machen müssen, finden sich, wie gesagt, viele
recht ansprechende und treffende Bemerkungen, namentlich über das Verhältniß Goethe's
zu Frau v. Stein, in dessen Auffassung wir dem Verfasser vollkommen beipflichten.

Aus der neuern französischen belletristischen Literatur führen wir von
Alexander Dumas eine neue Fortsetzung derNkmoirss Ä'un nMoein an: I^aoom-
tesss as 6Iigrn^. Der Roman wird je länger je langweiliger. Das ewige Magne-
tiflren und die unerträgliche cavaliermäßige Nachlässigkeit, mit der die Geschichte be¬
handelt wird, ermüden zuletzt auch den ausdauerndsten Nomcmlescr. — Ferner führen
wir an von Amödve Achard: „Ilm visux äiplomatö, on einen etolral." Wieder eine
Reaction gegen die herrschende Romantik, im Sinne der Bourgeoisie, wie sie sich schon
in Scribe's Stücken und in den Romanen von Sandeau und Anderen geltend macht.
Es wird gezeigt, daß es unzweckmäßig von'einem Marquis ist, eine Schneidermamscll,


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[0167] z. B. der Aufsatz über Wagner in der Nationalzeitung. Das ist einer von jenen Auf¬ sätzen, deren Berechtigung für unsere Feuilletons wir freilich wohl anerkennen, die wir aber aus unsrer eigentlichen Literatur hinwcgwünschten. Wagner hat seine Reformbestre- bungen für die Kunst theils in seinen musikalisch poetischen Werken ausgeführt, die dem Kritiker in der Partitur vorliegen, theils theoretisch in längeren Abhandlungen, die gleichfalls gedruckt sind. In den letzteren kann man die Gründe und die Gegengründe abwägen, die Methode kritisiren, unklare Begriffe ausheilen, falsche Prämissen ergän¬ zen u. s. w., und im Text und in der Partitur der Opern kann man sich, wenn auch der vollständige sinnliche Eindruck noch fehlt, wenigstens ein Bild von der künstlerischen Intention machen. Stahr giebt aber ein Urtheil ab, wie es scheint ohne sich mit dem Einen oder dem Andern beschäftigt zu haben. Er referirt ziemlich enthusiastisch den Text des Tannhäuser und Lohengrin, knüpft einige philosophische Betrachtungen daran, nach de¬ nen man ein Kunstwerk im größten Styl voraussetzen müßte, während hier doch wesentlich nur versificirtc Heine'sche Einfälle vorliegen, berichtet den wohlthuenden Eindruck, den die Aufführung aus ihn gemacht hat, vergißt auch nicht, das wider¬ sprechende Urtheil des Franzosen Henri Blaze anzuführen: „Er erklärte sich für unfähig, diesem Wagner'schen Kunstwerk irgend ein Interesse abzugewinnen, ja es war ihm kaum begreiflich, wie man sich herbeilassen möge, so etwas Musik zu nennen;, von der Dich¬ tung war ohnehin keine Rede. Daß aber Lißt sich aus diese Wagner'sche Musik ein¬ gelassen habe, erfüllte ihn bei seinen freundschaftlichen Gesinnungen für denselben mit wahrhafter Besorgnis; u. s. w," — Dann setzt der Verfasser selbst hinzu: „Das scheint wohl unzweifelhaft, daß mit diesem Wagner'schen Kunstwerk der Anfang einer neuen Kunst des musikalischen Drama's gemacht ist. ... . Goethe und Schiller haben auch hier auf das Richtige hingedeutet,, und Wagner's Schöpfungen sind nur eine Bestäti¬ gung und theilweise Erfüllung dessen, was Goethe als Verlangen und Aufgabe aus¬ gesprochen hat." — Das ist doch eine verzweifelt beiläufige Art, ein kritisches Urtheil abzugeben! Und Aehnliches findet sich bei Stahr's Kritiken häufig. Er unterscheidet viel zu wenig den Touristen vom Kritiker. Als Tourist erfüllt er vollkommen seine Pflicht, wenn er die Ausführung des Wagner'schen Kunstwerks beschreibt und dann hinzusetzt, es habe ihm sehr gefallen und imponirt; aber wenn er als Kritiker nicht mehr zu sagen weiß, ist das doch sehr wenig.---Abgesehen von diesen Einwendun¬ gen/ die wir gegen das Genre überhaupt machen müssen, finden sich, wie gesagt, viele recht ansprechende und treffende Bemerkungen, namentlich über das Verhältniß Goethe's zu Frau v. Stein, in dessen Auffassung wir dem Verfasser vollkommen beipflichten. Aus der neuern französischen belletristischen Literatur führen wir von Alexander Dumas eine neue Fortsetzung derNkmoirss Ä'un nMoein an: I^aoom- tesss as 6Iigrn^. Der Roman wird je länger je langweiliger. Das ewige Magne- tiflren und die unerträgliche cavaliermäßige Nachlässigkeit, mit der die Geschichte be¬ handelt wird, ermüden zuletzt auch den ausdauerndsten Nomcmlescr. — Ferner führen wir an von Amödve Achard: „Ilm visux äiplomatö, on einen etolral." Wieder eine Reaction gegen die herrschende Romantik, im Sinne der Bourgeoisie, wie sie sich schon in Scribe's Stücken und in den Romanen von Sandeau und Anderen geltend macht. Es wird gezeigt, daß es unzweckmäßig von'einem Marquis ist, eine Schneidermamscll, 20*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/167>, abgerufen am 22.12.2024.