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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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erlaubt, durch die landschaftliche Stimmung mehr als durch die Action und den
Ausdruck der Personen die Situation zu schildern, noch ist es erlaubt, einen
Theil der agirenden Personen als bloße Staffage zu verwenden. Eine solche
Poesie des EontrasteS imponirt auf den ersten Augenblick, aber sie bringt keinen
befriedigenden Eindruck hervor; denn wenn man sich auch keine Rechenschaft
darüber giebt, so fühlt man doch instinktartig heraus, daß hier Mittel ange¬
wandt worden sind, die nicht'in die Natur der Kunstgattung gehören. Ja
" die angewandten Mittel treten in mancher Beziehung der Deutlichkeit des beab¬
sichtigten geistigen Eindrucks entgegen. So sind z. B. die Haare der noch jun¬
gen Königin durch das schwere Leiden frühzeitig gebleicht; bei dem seltsamen
Lichteffect aber sehen sie fast wie gepudert aus. Ebenso weis; man nicht, wie
viel man von der Blässe im Gesicht der Königin ans ihre Lage, und wie viel
man ans die grünliche Beleuchtung schieben soll. Auch hier ergiebt sich eine
Wahrheit,-die sich in allen Fallen bestätigen wird: daß complicirte, ans ver¬
schiedenen Gebieten hergeholte Mittel die Wirkung beeinträchtigen, statt sie zu
fordern.

Wenden wir uns uun^zu dem Ausdruck im Gesicht der Königin. Er wird
nicht allgemein befriedigen, weil man sich gewöhnlich den Ausdruck des Marty-
riums anders vorstellt. Aber abgesehen davon,, daß die sehr scharf prononcirte
Habsbnrgische Physiognomie anch dem Ausdruck der bestimmten Empfindung ein
nothwendig bedingtes Gepräge aufdrückt, mußte hier der historische Charakter
der Heldin festgehalten werden, und wir finden, daß das mit Glück geschehe"
ist. Marie Antoinette war keine Heilige, keine verklärte Dulderin, sie war ein
stolzes energisches Weib, das durch äußere Gewalt unterdrückt, aber geistig nicht
gebrochen werden konnte. Ihr Seelenleiden, die Folgen der langen Kerkerhaft,
die tödtliche Erniüdnng des nächtlichen Verhörs drücken sich nur in ihrem ange¬
schwollenen und halb erloschenen Ange aus. Der majestätische Gang, der fest
zusammengepreßte Mund, die gelinde anschwellenden Nasenflügel und die voll¬
ständige Abwesenheit aller Regung in den-Gliedern, das Alles ist eine stumme
Sprache der bis zur Gleichartigkeit gesteigerten Verachtung gegen den willkür¬
lichen blutigen Richterspruch und gegen die wahnsinnigen Beschimpfungen der
Menge, die beredter ist, als wenn sie durch ein auch noch so leises Zeichen deö
Abscheues verstärkt wäre. Sie hat mit der Welt abgeschlossen, aber nicht als
die bußfertig Sterbende, die auch in dem ungerechten Spruch eine göttliche Fü¬
gung erkennt und vor ihr sich beugt, sondern als die Königin, die in ihrer
Majestät durch äußerliche rohe Eingriffe nicht angetastet werden kann. Wie eine
Nachtwandlerin geht sie ihren letzten Gang; was ihre Seele im Stillen bewegt,
hat sie nur mit sich und ihrem Gott abzumachen. -- Man mag gegen diese Auf¬
fassung vom idealen.Standpunkt einwenden was man will, so viel wird mau
zugeben, daß sie historisch wahr und vollkommen deutlich ausgedrückt ist.


erlaubt, durch die landschaftliche Stimmung mehr als durch die Action und den
Ausdruck der Personen die Situation zu schildern, noch ist es erlaubt, einen
Theil der agirenden Personen als bloße Staffage zu verwenden. Eine solche
Poesie des EontrasteS imponirt auf den ersten Augenblick, aber sie bringt keinen
befriedigenden Eindruck hervor; denn wenn man sich auch keine Rechenschaft
darüber giebt, so fühlt man doch instinktartig heraus, daß hier Mittel ange¬
wandt worden sind, die nicht'in die Natur der Kunstgattung gehören. Ja
" die angewandten Mittel treten in mancher Beziehung der Deutlichkeit des beab¬
sichtigten geistigen Eindrucks entgegen. So sind z. B. die Haare der noch jun¬
gen Königin durch das schwere Leiden frühzeitig gebleicht; bei dem seltsamen
Lichteffect aber sehen sie fast wie gepudert aus. Ebenso weis; man nicht, wie
viel man von der Blässe im Gesicht der Königin ans ihre Lage, und wie viel
man ans die grünliche Beleuchtung schieben soll. Auch hier ergiebt sich eine
Wahrheit,-die sich in allen Fallen bestätigen wird: daß complicirte, ans ver¬
schiedenen Gebieten hergeholte Mittel die Wirkung beeinträchtigen, statt sie zu
fordern.

Wenden wir uns uun^zu dem Ausdruck im Gesicht der Königin. Er wird
nicht allgemein befriedigen, weil man sich gewöhnlich den Ausdruck des Marty-
riums anders vorstellt. Aber abgesehen davon,, daß die sehr scharf prononcirte
Habsbnrgische Physiognomie anch dem Ausdruck der bestimmten Empfindung ein
nothwendig bedingtes Gepräge aufdrückt, mußte hier der historische Charakter
der Heldin festgehalten werden, und wir finden, daß das mit Glück geschehe»
ist. Marie Antoinette war keine Heilige, keine verklärte Dulderin, sie war ein
stolzes energisches Weib, das durch äußere Gewalt unterdrückt, aber geistig nicht
gebrochen werden konnte. Ihr Seelenleiden, die Folgen der langen Kerkerhaft,
die tödtliche Erniüdnng des nächtlichen Verhörs drücken sich nur in ihrem ange¬
schwollenen und halb erloschenen Ange aus. Der majestätische Gang, der fest
zusammengepreßte Mund, die gelinde anschwellenden Nasenflügel und die voll¬
ständige Abwesenheit aller Regung in den-Gliedern, das Alles ist eine stumme
Sprache der bis zur Gleichartigkeit gesteigerten Verachtung gegen den willkür¬
lichen blutigen Richterspruch und gegen die wahnsinnigen Beschimpfungen der
Menge, die beredter ist, als wenn sie durch ein auch noch so leises Zeichen deö
Abscheues verstärkt wäre. Sie hat mit der Welt abgeschlossen, aber nicht als
die bußfertig Sterbende, die auch in dem ungerechten Spruch eine göttliche Fü¬
gung erkennt und vor ihr sich beugt, sondern als die Königin, die in ihrer
Majestät durch äußerliche rohe Eingriffe nicht angetastet werden kann. Wie eine
Nachtwandlerin geht sie ihren letzten Gang; was ihre Seele im Stillen bewegt,
hat sie nur mit sich und ihrem Gott abzumachen. — Man mag gegen diese Auf¬
fassung vom idealen.Standpunkt einwenden was man will, so viel wird mau
zugeben, daß sie historisch wahr und vollkommen deutlich ausgedrückt ist.


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[0158] erlaubt, durch die landschaftliche Stimmung mehr als durch die Action und den Ausdruck der Personen die Situation zu schildern, noch ist es erlaubt, einen Theil der agirenden Personen als bloße Staffage zu verwenden. Eine solche Poesie des EontrasteS imponirt auf den ersten Augenblick, aber sie bringt keinen befriedigenden Eindruck hervor; denn wenn man sich auch keine Rechenschaft darüber giebt, so fühlt man doch instinktartig heraus, daß hier Mittel ange¬ wandt worden sind, die nicht'in die Natur der Kunstgattung gehören. Ja " die angewandten Mittel treten in mancher Beziehung der Deutlichkeit des beab¬ sichtigten geistigen Eindrucks entgegen. So sind z. B. die Haare der noch jun¬ gen Königin durch das schwere Leiden frühzeitig gebleicht; bei dem seltsamen Lichteffect aber sehen sie fast wie gepudert aus. Ebenso weis; man nicht, wie viel man von der Blässe im Gesicht der Königin ans ihre Lage, und wie viel man ans die grünliche Beleuchtung schieben soll. Auch hier ergiebt sich eine Wahrheit,-die sich in allen Fallen bestätigen wird: daß complicirte, ans ver¬ schiedenen Gebieten hergeholte Mittel die Wirkung beeinträchtigen, statt sie zu fordern. Wenden wir uns uun^zu dem Ausdruck im Gesicht der Königin. Er wird nicht allgemein befriedigen, weil man sich gewöhnlich den Ausdruck des Marty- riums anders vorstellt. Aber abgesehen davon,, daß die sehr scharf prononcirte Habsbnrgische Physiognomie anch dem Ausdruck der bestimmten Empfindung ein nothwendig bedingtes Gepräge aufdrückt, mußte hier der historische Charakter der Heldin festgehalten werden, und wir finden, daß das mit Glück geschehe» ist. Marie Antoinette war keine Heilige, keine verklärte Dulderin, sie war ein stolzes energisches Weib, das durch äußere Gewalt unterdrückt, aber geistig nicht gebrochen werden konnte. Ihr Seelenleiden, die Folgen der langen Kerkerhaft, die tödtliche Erniüdnng des nächtlichen Verhörs drücken sich nur in ihrem ange¬ schwollenen und halb erloschenen Ange aus. Der majestätische Gang, der fest zusammengepreßte Mund, die gelinde anschwellenden Nasenflügel und die voll¬ ständige Abwesenheit aller Regung in den-Gliedern, das Alles ist eine stumme Sprache der bis zur Gleichartigkeit gesteigerten Verachtung gegen den willkür¬ lichen blutigen Richterspruch und gegen die wahnsinnigen Beschimpfungen der Menge, die beredter ist, als wenn sie durch ein auch noch so leises Zeichen deö Abscheues verstärkt wäre. Sie hat mit der Welt abgeschlossen, aber nicht als die bußfertig Sterbende, die auch in dem ungerechten Spruch eine göttliche Fü¬ gung erkennt und vor ihr sich beugt, sondern als die Königin, die in ihrer Majestät durch äußerliche rohe Eingriffe nicht angetastet werden kann. Wie eine Nachtwandlerin geht sie ihren letzten Gang; was ihre Seele im Stillen bewegt, hat sie nur mit sich und ihrem Gott abzumachen. — Man mag gegen diese Auf¬ fassung vom idealen.Standpunkt einwenden was man will, so viel wird mau zugeben, daß sie historisch wahr und vollkommen deutlich ausgedrückt ist.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/158>, abgerufen am 22.12.2024.