Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.drein, dazwischen die Rodelhauptleute und Räthe. Im deutschen Kauzleistyl drein, dazwischen die Rodelhauptleute und Räthe. Im deutschen Kauzleistyl <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0150" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/94591"/> <p xml:id="ID_400" prev="#ID_399" next="#ID_401"> drein, dazwischen die Rodelhauptleute und Räthe. Im deutschen Kauzleistyl<lb/> würde man diese Herren als den obersten Regierungspräsidenten, die Kreisdirec-<lb/> toren, Amtleute und den Schuldenexecutor bezeichnen müssen. Sämmtlich waren<lb/> sie abermals von großen dreieckigen Hüten geziert; übrigens trugen die<lb/> gewöhnliche schwarze Feierkleidung und nur ein schwarzes Mäntelchen, dem der<lb/> Leichenbitter höchst ähnlich, umflatterte weiterhin ihre Gestalten. Beim Landwaibel<lb/> aber, als Bediensteten der obersten Landesbehörde, zerfiel dieses Mäntelchen wieder<lb/> in eine schwarze und weiße Hälfte, während aus seiner linken Brust ein silbernes<lb/> Schild mit Appenzells Wappen an tüchtigen Ketten erglänzte. Imponirend war<lb/> dieser Zug nicht, ja die Töne der Trommeln und Pfeifen, besonders aber das<lb/> Aussehe» ihrer Erzeuger, gaben ihm sogar etwas Komisches. Trotz dem mochte<lb/> selbst dem Fremden das leise Spottlächeln verschwinden, indem er auf die Umge¬<lb/> bungen blickte und deu Eindruck, welchen das Herannahen des Zuges allerwärts<lb/> in den dichtgedrängten Hausen äußerte. — Freilich waren's nach deutschem Be¬<lb/> griffe lauter Bauern, viele sogar in der gewöhnlichen Sennertracht, alle fast<lb/> äusnahmelos mit rother Weste, kurzer Jacke und breitkrämpigem Hute. Aber<lb/> jeder hat das Bewußtsein, etwas zu sein im Staate, etwas andres als ein steuer¬<lb/> zahlendes und militärpflichtiges Subject, nämlich ein wirklich selbstständiger Staats¬<lb/> bürger, ein integrirender Theil des Staates. Die Männer, welche da von<lb/> Trommel und Querpfeife an ihm vorbeigeleitet werden, hat er selber als Herren<lb/> seines kleinen Staates gewählt und gesetzt, und in jedem Jahre stehen sie wieder vor<lb/> der Landsgemeinde, um von Neuem bestätigt oder durch andre aus der allgemeinen<lb/> Wahl Hervvrgegaugeue ersetzt zu werdeu. Damit treibt mau aber kein leichtsin¬<lb/> niges Spiel; und wie es selten vorkommt, daß Einer nach sechs Jahren seiner<lb/> Amtsthätigkeit von Neuem gewählt wird, eben so selten, daß man ihn vorher<lb/> daraus entfernt. Die Gewohnheit des Einzelnen, sich im politischen Leben berechtigt<lb/> und geltend zu wissen, nicht blos in einzelnen Momenten herbeigezogen, um mit<lb/> dem angeblichen, freien Stimm- und Wahlrecht gewisse Combinationen und Cor-<lb/> .juncturen ungenannter Maschinisten zu unterstützen, das Bewußtsein der indivi¬<lb/> duellen und moralischen Mitverantwortlichkeit für des kleinen Staates Wohl und<lb/> Wehe — dies sind die Momente, welche hier gesetzlich und stabil machen, was<lb/> anderwärts, um ewiges Schwanken im Regimente zu vermeiden, als landesherr¬<lb/> liche Verordnung, ministerielle Verfügung oder Verfassungsgesetz erst geboten werden<lb/> muß. Und die Männer, welche des Landes Vertrauen an des Landes Spitze<lb/> stellte, kommen nicht aus bevorrechteten Kasten, sondern eben recht aus des Volkes<lb/> Mitte. Dort der Landschreiber, dessen Sexennium heut zu Ende geht, war<lb/> Fuhrmann zwischen Appenzell >ab Se. Gallen, ehe er gewählt wurde; morgen<lb/> spannt er vielleicht, ja wahrscheinlich seine Pferde wieder ein, um in blauer<lb/> Blouse das alte Geschäft aufzunehmen. Die Hauptleute'der verschiedenen Bezirke<lb/> sind Landwirthe, Fabrikanten, Gastwirthe; aber Männer, welche das Land, seine</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0150]
drein, dazwischen die Rodelhauptleute und Räthe. Im deutschen Kauzleistyl
würde man diese Herren als den obersten Regierungspräsidenten, die Kreisdirec-
toren, Amtleute und den Schuldenexecutor bezeichnen müssen. Sämmtlich waren
sie abermals von großen dreieckigen Hüten geziert; übrigens trugen die
gewöhnliche schwarze Feierkleidung und nur ein schwarzes Mäntelchen, dem der
Leichenbitter höchst ähnlich, umflatterte weiterhin ihre Gestalten. Beim Landwaibel
aber, als Bediensteten der obersten Landesbehörde, zerfiel dieses Mäntelchen wieder
in eine schwarze und weiße Hälfte, während aus seiner linken Brust ein silbernes
Schild mit Appenzells Wappen an tüchtigen Ketten erglänzte. Imponirend war
dieser Zug nicht, ja die Töne der Trommeln und Pfeifen, besonders aber das
Aussehe» ihrer Erzeuger, gaben ihm sogar etwas Komisches. Trotz dem mochte
selbst dem Fremden das leise Spottlächeln verschwinden, indem er auf die Umge¬
bungen blickte und deu Eindruck, welchen das Herannahen des Zuges allerwärts
in den dichtgedrängten Hausen äußerte. — Freilich waren's nach deutschem Be¬
griffe lauter Bauern, viele sogar in der gewöhnlichen Sennertracht, alle fast
äusnahmelos mit rother Weste, kurzer Jacke und breitkrämpigem Hute. Aber
jeder hat das Bewußtsein, etwas zu sein im Staate, etwas andres als ein steuer¬
zahlendes und militärpflichtiges Subject, nämlich ein wirklich selbstständiger Staats¬
bürger, ein integrirender Theil des Staates. Die Männer, welche da von
Trommel und Querpfeife an ihm vorbeigeleitet werden, hat er selber als Herren
seines kleinen Staates gewählt und gesetzt, und in jedem Jahre stehen sie wieder vor
der Landsgemeinde, um von Neuem bestätigt oder durch andre aus der allgemeinen
Wahl Hervvrgegaugeue ersetzt zu werdeu. Damit treibt mau aber kein leichtsin¬
niges Spiel; und wie es selten vorkommt, daß Einer nach sechs Jahren seiner
Amtsthätigkeit von Neuem gewählt wird, eben so selten, daß man ihn vorher
daraus entfernt. Die Gewohnheit des Einzelnen, sich im politischen Leben berechtigt
und geltend zu wissen, nicht blos in einzelnen Momenten herbeigezogen, um mit
dem angeblichen, freien Stimm- und Wahlrecht gewisse Combinationen und Cor-
.juncturen ungenannter Maschinisten zu unterstützen, das Bewußtsein der indivi¬
duellen und moralischen Mitverantwortlichkeit für des kleinen Staates Wohl und
Wehe — dies sind die Momente, welche hier gesetzlich und stabil machen, was
anderwärts, um ewiges Schwanken im Regimente zu vermeiden, als landesherr¬
liche Verordnung, ministerielle Verfügung oder Verfassungsgesetz erst geboten werden
muß. Und die Männer, welche des Landes Vertrauen an des Landes Spitze
stellte, kommen nicht aus bevorrechteten Kasten, sondern eben recht aus des Volkes
Mitte. Dort der Landschreiber, dessen Sexennium heut zu Ende geht, war
Fuhrmann zwischen Appenzell >ab Se. Gallen, ehe er gewählt wurde; morgen
spannt er vielleicht, ja wahrscheinlich seine Pferde wieder ein, um in blauer
Blouse das alte Geschäft aufzunehmen. Die Hauptleute'der verschiedenen Bezirke
sind Landwirthe, Fabrikanten, Gastwirthe; aber Männer, welche das Land, seine
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