Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.gäbe mit Goldrand. Der Niedlichkeit dieser Form entspricht der Inhalt. Ueberhaupt Sodann der Roman. Er lehnt sich meist an die Zeitereignisse an und überträgt 1 *' '
gäbe mit Goldrand. Der Niedlichkeit dieser Form entspricht der Inhalt. Ueberhaupt Sodann der Roman. Er lehnt sich meist an die Zeitereignisse an und überträgt 1 *' '
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0015" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/94456"/> <p xml:id="ID_15" prev="#ID_14"> gäbe mit Goldrand. Der Niedlichkeit dieser Form entspricht der Inhalt. Ueberhaupt<lb/> hat sich die lyrische Poesie in wahrhaft epigrammatische Finessen zugespitzt. Da sie<lb/> sich doch im Grunde stets in den conventionellen Empfindungen bewegt, und da<lb/> auf der andern Seite jeder neue Dichter das Bedürfniß empfindet, sich durch irgend<lb/> eine kühne Wendung von seinen Vorgängern zu unterscheiden, so kommt man<lb/> endlich dazu, die frühere lyrische Bearbeitung der Empfindungen zum eigent¬<lb/> lichen Gegenstand zu machen, diese nun noch weiter lyrisch zu subtilisiren und<lb/> dann diese Sammlungen von Anspielungen mit künstlicher Naivetät zu überfirnissen.<lb/> Hat es der Dichter sy weit gebracht, so kommt der Komponist hinzu und baut auf<lb/> diese arabeskenartig an einander gereihten zierlichen Empfindungen eine Opern-<lb/> arie im höchsten tragischen Styl auf. Durch die Combination der verschieden¬<lb/> artigsten Elemente geräth diese Mischung in ein phosphorartiges Schillern, welches<lb/> den'Schein des Lebens annimmt, obgleich es eigentlich nur ein Zeichen der Fäul-<lb/> niß ist. — Am besten sehen diese ar-eigen Kleinigkeiten aus, wenn sie sich als<lb/> das geben, was sie sind, als sinnige Erläuterungen zu den Modekupfern, etwa<lb/> wie die „Pilgerfahrt der Blumengeister" oder „Waldmeisters Brautfahrt"; un¬<lb/> angenehm aber wird der Eindruck, wenn sie ihre Zierlichkeit auf ernsthafte Ge¬<lb/> genstände übertragen, z. B. die Politik oder Religion. Freilich haben es. die<lb/> Freiheitsdichter der Jahre 1842 n. s. w. nicht viel besser gemacht, aber bei ihnen war<lb/> doch ein gewisser studentischer Ungestüm, dem man seine Theilnahme nicht versagen<lb/> konnte, bei den beliebten Reactions-Dichtern unsrer Jahre dagegen schimmert überall<lb/> die kalte Reflexion durch, sie begeistern sich für Radetzki, für die Jungfrau Maria<lb/> und die Rinnen alter Klöster ungefähr in der Manier, wie Bonbonsfabrikanten<lb/> für eine beliebte Tänzerin oder Actrice. —</p><lb/> <p xml:id="ID_16" next="#ID_17"> Sodann der Roman. Er lehnt sich meist an die Zeitereignisse an und überträgt<lb/> aus ihnen das Gefühl der allgemeinen Nichtigkeit in d.le Seelen einzelner Individuen.<lb/> Schon Immermann hat sich nicht damit begnügt, die Typen der Gesellschaft in fin-<lb/> girten Personen wiederzugeben, sondern er hat diese Fiction durch Einschiebung wirklich<lb/> lebender Persönlichkeiten entstellt. Das ist eine Manier, die man in einer doppelten<lb/> Beziehung verwerfen muß. Einmal thut man damit den Zeitgenossen Unrecht, denn<lb/> man macht sie dem Publicum kenntlich, ohne ihre Charakteristik zu erschöpfen; man<lb/> versündigt sich aber auch an der Kunst, denn aus dieser Mischung von Wahrheit und<lb/> Dichtung wird niemals ein lebendiger Charakter. Man speculirt allerdings auf<lb/> einen sichern, aber auf einen sehr wohlfeilen Effect, denn jede Stichelei auf bekannte<lb/> Großen amüsirt das Publicum; aber dieser Effect überdauert die erste Lecture<lb/> nicht, denn auch der gewöhnlichste Verstand schämt sich bald der bewußten Täu¬<lb/> schung. Ueberhaupt eignen sich die socialen Zustände Deutschlands weniger zur<lb/> romantischen Darstellung, als die der Engländer, oder Franzosen, weil sie durch<lb/> den Mangel einer großen nationalen Concentration in kleinstädtische Missren ver¬<lb/> kümmert sind. Nur ein Dichter von tiefem Gemüth, wie Jean Paul, der an<lb/> "'"'"''</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 1 *' '</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0015]
gäbe mit Goldrand. Der Niedlichkeit dieser Form entspricht der Inhalt. Ueberhaupt
hat sich die lyrische Poesie in wahrhaft epigrammatische Finessen zugespitzt. Da sie
sich doch im Grunde stets in den conventionellen Empfindungen bewegt, und da
auf der andern Seite jeder neue Dichter das Bedürfniß empfindet, sich durch irgend
eine kühne Wendung von seinen Vorgängern zu unterscheiden, so kommt man
endlich dazu, die frühere lyrische Bearbeitung der Empfindungen zum eigent¬
lichen Gegenstand zu machen, diese nun noch weiter lyrisch zu subtilisiren und
dann diese Sammlungen von Anspielungen mit künstlicher Naivetät zu überfirnissen.
Hat es der Dichter sy weit gebracht, so kommt der Komponist hinzu und baut auf
diese arabeskenartig an einander gereihten zierlichen Empfindungen eine Opern-
arie im höchsten tragischen Styl auf. Durch die Combination der verschieden¬
artigsten Elemente geräth diese Mischung in ein phosphorartiges Schillern, welches
den'Schein des Lebens annimmt, obgleich es eigentlich nur ein Zeichen der Fäul-
niß ist. — Am besten sehen diese ar-eigen Kleinigkeiten aus, wenn sie sich als
das geben, was sie sind, als sinnige Erläuterungen zu den Modekupfern, etwa
wie die „Pilgerfahrt der Blumengeister" oder „Waldmeisters Brautfahrt"; un¬
angenehm aber wird der Eindruck, wenn sie ihre Zierlichkeit auf ernsthafte Ge¬
genstände übertragen, z. B. die Politik oder Religion. Freilich haben es. die
Freiheitsdichter der Jahre 1842 n. s. w. nicht viel besser gemacht, aber bei ihnen war
doch ein gewisser studentischer Ungestüm, dem man seine Theilnahme nicht versagen
konnte, bei den beliebten Reactions-Dichtern unsrer Jahre dagegen schimmert überall
die kalte Reflexion durch, sie begeistern sich für Radetzki, für die Jungfrau Maria
und die Rinnen alter Klöster ungefähr in der Manier, wie Bonbonsfabrikanten
für eine beliebte Tänzerin oder Actrice. —
Sodann der Roman. Er lehnt sich meist an die Zeitereignisse an und überträgt
aus ihnen das Gefühl der allgemeinen Nichtigkeit in d.le Seelen einzelner Individuen.
Schon Immermann hat sich nicht damit begnügt, die Typen der Gesellschaft in fin-
girten Personen wiederzugeben, sondern er hat diese Fiction durch Einschiebung wirklich
lebender Persönlichkeiten entstellt. Das ist eine Manier, die man in einer doppelten
Beziehung verwerfen muß. Einmal thut man damit den Zeitgenossen Unrecht, denn
man macht sie dem Publicum kenntlich, ohne ihre Charakteristik zu erschöpfen; man
versündigt sich aber auch an der Kunst, denn aus dieser Mischung von Wahrheit und
Dichtung wird niemals ein lebendiger Charakter. Man speculirt allerdings auf
einen sichern, aber auf einen sehr wohlfeilen Effect, denn jede Stichelei auf bekannte
Großen amüsirt das Publicum; aber dieser Effect überdauert die erste Lecture
nicht, denn auch der gewöhnlichste Verstand schämt sich bald der bewußten Täu¬
schung. Ueberhaupt eignen sich die socialen Zustände Deutschlands weniger zur
romantischen Darstellung, als die der Engländer, oder Franzosen, weil sie durch
den Mangel einer großen nationalen Concentration in kleinstädtische Missren ver¬
kümmert sind. Nur ein Dichter von tiefem Gemüth, wie Jean Paul, der an
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