Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.von productiven Leistungen zum Gegenstand gegeben wird, ist wenig geeigne!, sie Ein großer Theil der literarischen Erscheinungen, die uns beschäftigen, sind von productiven Leistungen zum Gegenstand gegeben wird, ist wenig geeigne!, sie Ein großer Theil der literarischen Erscheinungen, die uns beschäftigen, sind <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0014" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/94455"/> <p xml:id="ID_13" prev="#ID_12"> von productiven Leistungen zum Gegenstand gegeben wird, ist wenig geeigne!, sie<lb/> zu inspmreu; und doch Müssen sie anch an das Unbedeutende fortwährend ihre<lb/> Principien anknüpfen, und dürfen bei der schlechtesten Aussicht den Muth nicht<lb/> verlieren. Sie dürfen mir in den seltensten Fallen hoffen, ihren angenehmsten<lb/> Zweck, die Einwirkung auf den Dichter selbst, zu erreichen. Denn bei der Zer¬<lb/> splitterung unsres öffentlichen Lebens giebt es kein anerkanntes Forum; ein jedes In¬<lb/> dividuum schafft sich seinen eigenen sittlichen und ästhetischen Horizont, und verschließt<lb/> seine Augen gegen Alles, was darüber hinausliegt. Und doch müssen sie in dem<lb/> Glauben handeln, es wäre möglich, das Gesetz wieder über die Willkür hinaus-<lb/> zustelleu. Es ist ein Glück für sie, daß sie sich daran erinnern können, wie einmal<lb/> die Kritik in Deutschland diesen Beruf bereits erfüllt hat unter Verhältnissen, die<lb/> nicht viel günstiger waren, als die gegenwärtigen. Wenn die Kritik aber irgend<lb/> etwas erreichen will, so muß sie zunächst bei sich selbst aufräumen, denn die Schuld<lb/> an der Verwirrung unsrer ästhetischen Begriffe im 19. Jahrhundert trägt mehr noch die<lb/> romantische Kritik, als die Kunst. Seitdem sie sich in das wunderliche Unternehmen<lb/> eingelassen hat, ihren Gegenstand nicht zu analysiren, sondern ihn als ein eigenes<lb/> Kunstproduct zum zweiten Male schaffen zu wollen, steigert die Willkür und die Grillen¬<lb/> haftigkeit des Einen, die Willkür und Grillenhaftigkeit des Andern. Die Kritik singt<lb/> Dithyramben und die Poesie windet sich in Verstandesabstractionen; die Prosa<lb/> geräth in Ekstase und die Poesie reflectirt; die Kritik macht sich zum Selbstzweck,<lb/> d. h. sie geht nicht darauf aus, dem Gegenstand gerecht zu werden, sondern den<lb/> Witz und die Phantasie des Kritikers an den Tag zu bringen, und die Poesie<lb/> stellt sich Probleme, die nur der Wissenschaft augehören. Die Aufgabe, die<lb/> Lessing in so hohem Grade erfüllt hat, die verschiedenen Gebiete des Schaffens<lb/> von einander zu sondern, muß uns wenigstens als Ideal vorschweben. Wir müssen<lb/> fortwährend die verschiedenen Künste daraus aufmerksam machen, daß jede von ihnen<lb/> einen bestimmten Zweck hat, und daß sie diesen Zweck Verfehlt, wenn sie in das Gebiet<lb/> der andern übergreift, daß z. B. das Drama den Zweck hat, auf dem Theater<lb/> dargestellt, das Lied den Zweck, gesungen zu werden, daß die Poesie überhaupt<lb/> dazu bestimmt ist, Empfindungen hervorzurufen, die Prosa, den Proceß des<lb/> Denkens durchzuführen. Es darf uns nicht stören, daß wir dadurch in einer Zeit,<lb/> wo man von der Kunst vor Allem metaphysische Aufklärung erwartet, und von der<lb/> Wissenschaft Erweiterung des Gefühls und der Phantasie, nach vielen Seiten hin<lb/> Anstoß erregen, denn dieser Anstoß ist das einzige Mittel, überhaupt zu wirken.</p><lb/> <p xml:id="ID_14" next="#ID_15"> Ein großer Theil der literarischen Erscheinungen, die uns beschäftigen, sind<lb/> nicht Erzeugnisse der Nothwendigkeit, sondern zufällige Producte der Mode. Mau<lb/> läßt sich nicht durch den Drang seiner Seele zwingen, sondern man fragt: was<lb/> geht? und danach richtet man seine Thätigkeit ein. — Wir wollen auf einzelne<lb/> dieser Modeartikel eingehen, weil zur Charakteristik der Zeit auch die Mode we¬<lb/> sentlich ist. — Zunächst die lyrischen Gedichte in kleiner zierlicher Taschenaus-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0014]
von productiven Leistungen zum Gegenstand gegeben wird, ist wenig geeigne!, sie
zu inspmreu; und doch Müssen sie anch an das Unbedeutende fortwährend ihre
Principien anknüpfen, und dürfen bei der schlechtesten Aussicht den Muth nicht
verlieren. Sie dürfen mir in den seltensten Fallen hoffen, ihren angenehmsten
Zweck, die Einwirkung auf den Dichter selbst, zu erreichen. Denn bei der Zer¬
splitterung unsres öffentlichen Lebens giebt es kein anerkanntes Forum; ein jedes In¬
dividuum schafft sich seinen eigenen sittlichen und ästhetischen Horizont, und verschließt
seine Augen gegen Alles, was darüber hinausliegt. Und doch müssen sie in dem
Glauben handeln, es wäre möglich, das Gesetz wieder über die Willkür hinaus-
zustelleu. Es ist ein Glück für sie, daß sie sich daran erinnern können, wie einmal
die Kritik in Deutschland diesen Beruf bereits erfüllt hat unter Verhältnissen, die
nicht viel günstiger waren, als die gegenwärtigen. Wenn die Kritik aber irgend
etwas erreichen will, so muß sie zunächst bei sich selbst aufräumen, denn die Schuld
an der Verwirrung unsrer ästhetischen Begriffe im 19. Jahrhundert trägt mehr noch die
romantische Kritik, als die Kunst. Seitdem sie sich in das wunderliche Unternehmen
eingelassen hat, ihren Gegenstand nicht zu analysiren, sondern ihn als ein eigenes
Kunstproduct zum zweiten Male schaffen zu wollen, steigert die Willkür und die Grillen¬
haftigkeit des Einen, die Willkür und Grillenhaftigkeit des Andern. Die Kritik singt
Dithyramben und die Poesie windet sich in Verstandesabstractionen; die Prosa
geräth in Ekstase und die Poesie reflectirt; die Kritik macht sich zum Selbstzweck,
d. h. sie geht nicht darauf aus, dem Gegenstand gerecht zu werden, sondern den
Witz und die Phantasie des Kritikers an den Tag zu bringen, und die Poesie
stellt sich Probleme, die nur der Wissenschaft augehören. Die Aufgabe, die
Lessing in so hohem Grade erfüllt hat, die verschiedenen Gebiete des Schaffens
von einander zu sondern, muß uns wenigstens als Ideal vorschweben. Wir müssen
fortwährend die verschiedenen Künste daraus aufmerksam machen, daß jede von ihnen
einen bestimmten Zweck hat, und daß sie diesen Zweck Verfehlt, wenn sie in das Gebiet
der andern übergreift, daß z. B. das Drama den Zweck hat, auf dem Theater
dargestellt, das Lied den Zweck, gesungen zu werden, daß die Poesie überhaupt
dazu bestimmt ist, Empfindungen hervorzurufen, die Prosa, den Proceß des
Denkens durchzuführen. Es darf uns nicht stören, daß wir dadurch in einer Zeit,
wo man von der Kunst vor Allem metaphysische Aufklärung erwartet, und von der
Wissenschaft Erweiterung des Gefühls und der Phantasie, nach vielen Seiten hin
Anstoß erregen, denn dieser Anstoß ist das einzige Mittel, überhaupt zu wirken.
Ein großer Theil der literarischen Erscheinungen, die uns beschäftigen, sind
nicht Erzeugnisse der Nothwendigkeit, sondern zufällige Producte der Mode. Mau
läßt sich nicht durch den Drang seiner Seele zwingen, sondern man fragt: was
geht? und danach richtet man seine Thätigkeit ein. — Wir wollen auf einzelne
dieser Modeartikel eingehen, weil zur Charakteristik der Zeit auch die Mode we¬
sentlich ist. — Zunächst die lyrischen Gedichte in kleiner zierlicher Taschenaus-
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