Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.dings ist der Unverstand in den meisten dieser Theaterrecensionen haarsträubend, Daß eine bestimmte Technik in der Kunst der Darstellung eben so nöthig ist 12*
dings ist der Unverstand in den meisten dieser Theaterrecensionen haarsträubend, Daß eine bestimmte Technik in der Kunst der Darstellung eben so nöthig ist 12*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0103" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/94544"/> <p xml:id="ID_254" prev="#ID_253"> dings ist der Unverstand in den meisten dieser Theaterrecensionen haarsträubend,<lb/> allein er ist doch lange noch nicht so arg, als z. B. in der musikalischen Kritik;<lb/> aber bei der letztern kommt dem ausübenden Künstler das Bewußtsein einer<lb/> sichern Technik und Schule zu Hilfe. Der unverständige Kritiker, der nach Gut¬<lb/> dünken über Dinge spricht, von denen er Nichts versteht, wird ihm lächerlich, da<lb/> er im Augenblick überschaut, worin die Verkehrtheit des Urtheils besteht. Der<lb/> Schauspieler ist schlimmer daran. Er kann dem Gefühl seines Recensenten in<lb/> der Regel, nur ein anderes Gefühl entgegensetzen, nicht ein besseres Wissen, und<lb/> das Gefühl ist eine unsichere Stütze. Die Empfindung dieser Unsicherheit bringt<lb/> bei den besseren Künstlern Verstimmung, bei. den schlechteren die Neigung hervor,<lb/> auf das Gefühl des Kritikers auf eine audere als auf eine künstlerische Weise zu<lb/> wirken. . '</p><lb/> <p xml:id="ID_255" next="#ID_256"> Daß eine bestimmte Technik in der Kunst der Darstellung eben so nöthig ist<lb/> wie in jeder andern Kunst,, wird in unsrer Zeit jedem Verständigen um so mehr<lb/> einleuchten, da sie von unseren heutigen Bühnen fast ganz verschwunden ist. Der<lb/> Schauspieler hat die Aufgabe, durch Worte, Haltung, Gang und Geberde die<lb/> Intentionen des Dichters in Beziehung auf Handlung und Charakteristik aus¬<lb/> zuführen. Um das zu können, muß er zunächst im Stande sein, über seine<lb/> Stimme, seine Miene und seinen Körper mit vollkommener Freiheit zu verfügen.<lb/> Darin zeigt sich der Unterschied des wirklichen Künstlers von dem gebildeten Laien.<lb/> Der Letztere, wozu auch der Dichter gehört, fühlt in jedem Augenblick sehr leb¬<lb/> haft, welche Modulationen der Stimme, welche Bewegung, welche Geberde in<lb/> jeder bestimmten Situation nöthig sind, aber er kann sie nicht machen, weil er<lb/> nicht dnrch Schule und Uebung Herr über seinen Körper geworden ist. So¬<lb/> genannte Liebhabertheater können also nur uuter den Umständen etwas leisten,<lb/> wo die Gesellschaft sich selber spielt. Aus demselben Grunde werden in der<lb/> Regel Schauspielerinnen besser, oder wenigstens erträglicher sein, als das männ¬<lb/> liche Personal, weil in den meisten Frauenrollen nur das dargestellt werden soll,<lb/> was einigermaßen glückliche Naturen durch sich selber besitzen, ohne weitere Schule,<lb/> oder was sie sich wenigstens sehr leicht durch ihren angebornen Nachahmungstrieb<lb/> aneignen: gesellschaftliche Tournüre und liebenswürdige Coquetterie. Bei den<lb/> meisten Männern dagegen ist es ein bejammernswürdiger Anblick, wie sie niemals<lb/> wissen, wo sie Hände und Füße lassen, wie sie stehen, gehen und sich setzen<lb/> sollen, wie sie die Rohheiten ihrer Stimme überwinden und wie sie ihr Organ<lb/> in der Leidenschaft modulircn sollen. Emil Devrient, der jetzt in London so<lb/> großes Aufsehn gemacht hat, erfreut sich noch vieler anderer künstlerischer Vorzüge,<lb/> aber was ihn vor Allem vor den meisten Schauspielern ausgezeichnet, ist die<lb/> vollständige Herrschaft über seine Organe, und der schöne Styl, den er deshalb<lb/> stets beobachten kann, ohne die Wahrheit zu verletzen. Daß dazu neben einem<lb/> glücklichen Naturell auch eine strenge Technik gehört, wird unzweifelhaft sein, und<lb/> ''</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 12* </fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0103]
dings ist der Unverstand in den meisten dieser Theaterrecensionen haarsträubend,
allein er ist doch lange noch nicht so arg, als z. B. in der musikalischen Kritik;
aber bei der letztern kommt dem ausübenden Künstler das Bewußtsein einer
sichern Technik und Schule zu Hilfe. Der unverständige Kritiker, der nach Gut¬
dünken über Dinge spricht, von denen er Nichts versteht, wird ihm lächerlich, da
er im Augenblick überschaut, worin die Verkehrtheit des Urtheils besteht. Der
Schauspieler ist schlimmer daran. Er kann dem Gefühl seines Recensenten in
der Regel, nur ein anderes Gefühl entgegensetzen, nicht ein besseres Wissen, und
das Gefühl ist eine unsichere Stütze. Die Empfindung dieser Unsicherheit bringt
bei den besseren Künstlern Verstimmung, bei. den schlechteren die Neigung hervor,
auf das Gefühl des Kritikers auf eine audere als auf eine künstlerische Weise zu
wirken. . '
Daß eine bestimmte Technik in der Kunst der Darstellung eben so nöthig ist
wie in jeder andern Kunst,, wird in unsrer Zeit jedem Verständigen um so mehr
einleuchten, da sie von unseren heutigen Bühnen fast ganz verschwunden ist. Der
Schauspieler hat die Aufgabe, durch Worte, Haltung, Gang und Geberde die
Intentionen des Dichters in Beziehung auf Handlung und Charakteristik aus¬
zuführen. Um das zu können, muß er zunächst im Stande sein, über seine
Stimme, seine Miene und seinen Körper mit vollkommener Freiheit zu verfügen.
Darin zeigt sich der Unterschied des wirklichen Künstlers von dem gebildeten Laien.
Der Letztere, wozu auch der Dichter gehört, fühlt in jedem Augenblick sehr leb¬
haft, welche Modulationen der Stimme, welche Bewegung, welche Geberde in
jeder bestimmten Situation nöthig sind, aber er kann sie nicht machen, weil er
nicht dnrch Schule und Uebung Herr über seinen Körper geworden ist. So¬
genannte Liebhabertheater können also nur uuter den Umständen etwas leisten,
wo die Gesellschaft sich selber spielt. Aus demselben Grunde werden in der
Regel Schauspielerinnen besser, oder wenigstens erträglicher sein, als das männ¬
liche Personal, weil in den meisten Frauenrollen nur das dargestellt werden soll,
was einigermaßen glückliche Naturen durch sich selber besitzen, ohne weitere Schule,
oder was sie sich wenigstens sehr leicht durch ihren angebornen Nachahmungstrieb
aneignen: gesellschaftliche Tournüre und liebenswürdige Coquetterie. Bei den
meisten Männern dagegen ist es ein bejammernswürdiger Anblick, wie sie niemals
wissen, wo sie Hände und Füße lassen, wie sie stehen, gehen und sich setzen
sollen, wie sie die Rohheiten ihrer Stimme überwinden und wie sie ihr Organ
in der Leidenschaft modulircn sollen. Emil Devrient, der jetzt in London so
großes Aufsehn gemacht hat, erfreut sich noch vieler anderer künstlerischer Vorzüge,
aber was ihn vor Allem vor den meisten Schauspielern ausgezeichnet, ist die
vollständige Herrschaft über seine Organe, und der schöne Styl, den er deshalb
stets beobachten kann, ohne die Wahrheit zu verletzen. Daß dazu neben einem
glücklichen Naturell auch eine strenge Technik gehört, wird unzweifelhaft sein, und
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