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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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her sprang. Endlich packte ihn Petrus mit Daumen und Zeigefinger oben
am Rückgrat und warf ihn zu den anderen, indem er sprach: Du bist ein
Schelmfisch. Seitdem haben die Schclfiscke das Mal oben am Rücken. Aus
Helgoland erzählt man übereinstimmend: Der schmale schwarze Streifen,
welcher über den Rücken des Schelfisches läuft, wird von den Fischern
für eine Narbe vom Griff des h. Petrus gehalten*). Durch die Ver¬
wandlung des Gottes Thorr in den h. Petrus, der ihn in vielen Fällen ersetzt,
fiel natürlicher Weise das Motiv des Fischfangs weg, aber die Sage vom Fisch¬
zug selbst erhielt sich.

Nicht so leicht konnten sich Mythen erhalten, in welchen einestheils die
Handlung complicirter ist, und die anderntheils in Kreisen und Verhältnissen sich
bewegen, welche im Laufe der Jahrhunderte wesentliche Umgestaltungen erlitten.
Das Volk steht in all' seinen Anschauungen ans dem Boden der Gegenwart;
auf ihn versetzt es die fernste Vergangenheit, nur auf ihm kann es sich eine Zu¬
kunft denken. Daraus erklären sich bereits jene Uebertragungen der Mythen der
alten Götter auf christliche Heilige oder gar auf geliebte Könige und Helden,
wie die Kaiser Karl der Große, Friedrich Barbarossa, Otto I., Karl V. (ja in
Belgien selbst auf Maria Theresia, im Harz auf Friedrich den Großen), die einer
nach dem andern den verlassenen Götterstuhl einnahmen. Blieben die Personen der
Mythen wenigstens noch Könige oder Helden, dann würden die durch diese Verwand¬
lung nothwendig gewordenen Modificationen nicht allzu groß sein, aber die Götter
stiegen häufig noch tiefer herab, ihre Hülle wurde zuweilen viel bescheidener und
ärmlicher, das Volk zog sie ganz und gar in seine Kreise, und machte Kaufleute,
Bauersöhne, Handwerker, Soldaten u. A. aus ihnen. Diese weitere Umgestal¬
tung konnte natürlich nicht ohne bedeutende Folgen sür die Märchen bleiben,
denn die Verhältnisse, in welchen die Götter standen, mußten dem neuen Cha¬
rakter angepaßt werden, ihr Wirken wurde ein ganz anderes. Wir lesen in
viele" Märchen vom Stuhl des Herrn, von dem herab man die ganze Welt
überschaut; 'dieser Stuhl ist der alte Sitz des Götterkönigs Wuotan. In der
nordischen Mythe wird sein Besteigen für Andere verhängnisvoll; der Asengott,
Fro, besteigt diesen Stuhl, und erblickt von ihm herab die Riesentochter, deren
Schönheit so wunderbar ist, daß Alles, was sie umgiebt, wie golden dadurch
erstrahlt; und in unsrem Volksmärchen besteigt ihn ein Schneiderlein, das er¬
bost über den Diebstahl einiger Waschweiber, dem er zuschaut, ein Bein von dem
Stuhle reißt, und es unter die Diebinnen schleudert. In anderen Märchen ist
an die Stelle dieses Stuhles eine verbotene Thür getreten, deren Oeffnung
Unheil bringt u. s. w. Aber die Erinnerung des Volkes an die Mythen ist so groß,
daß es bei aller Willkürlichkeit, die es bezüglich dieser Dinge zeigt, den innern



S. I. W. Wolf, Beiträge zur deutschen Mythologie, S. tlo.

her sprang. Endlich packte ihn Petrus mit Daumen und Zeigefinger oben
am Rückgrat und warf ihn zu den anderen, indem er sprach: Du bist ein
Schelmfisch. Seitdem haben die Schclfiscke das Mal oben am Rücken. Aus
Helgoland erzählt man übereinstimmend: Der schmale schwarze Streifen,
welcher über den Rücken des Schelfisches läuft, wird von den Fischern
für eine Narbe vom Griff des h. Petrus gehalten*). Durch die Ver¬
wandlung des Gottes Thorr in den h. Petrus, der ihn in vielen Fällen ersetzt,
fiel natürlicher Weise das Motiv des Fischfangs weg, aber die Sage vom Fisch¬
zug selbst erhielt sich.

Nicht so leicht konnten sich Mythen erhalten, in welchen einestheils die
Handlung complicirter ist, und die anderntheils in Kreisen und Verhältnissen sich
bewegen, welche im Laufe der Jahrhunderte wesentliche Umgestaltungen erlitten.
Das Volk steht in all' seinen Anschauungen ans dem Boden der Gegenwart;
auf ihn versetzt es die fernste Vergangenheit, nur auf ihm kann es sich eine Zu¬
kunft denken. Daraus erklären sich bereits jene Uebertragungen der Mythen der
alten Götter auf christliche Heilige oder gar auf geliebte Könige und Helden,
wie die Kaiser Karl der Große, Friedrich Barbarossa, Otto I., Karl V. (ja in
Belgien selbst auf Maria Theresia, im Harz auf Friedrich den Großen), die einer
nach dem andern den verlassenen Götterstuhl einnahmen. Blieben die Personen der
Mythen wenigstens noch Könige oder Helden, dann würden die durch diese Verwand¬
lung nothwendig gewordenen Modificationen nicht allzu groß sein, aber die Götter
stiegen häufig noch tiefer herab, ihre Hülle wurde zuweilen viel bescheidener und
ärmlicher, das Volk zog sie ganz und gar in seine Kreise, und machte Kaufleute,
Bauersöhne, Handwerker, Soldaten u. A. aus ihnen. Diese weitere Umgestal¬
tung konnte natürlich nicht ohne bedeutende Folgen sür die Märchen bleiben,
denn die Verhältnisse, in welchen die Götter standen, mußten dem neuen Cha¬
rakter angepaßt werden, ihr Wirken wurde ein ganz anderes. Wir lesen in
viele» Märchen vom Stuhl des Herrn, von dem herab man die ganze Welt
überschaut; 'dieser Stuhl ist der alte Sitz des Götterkönigs Wuotan. In der
nordischen Mythe wird sein Besteigen für Andere verhängnisvoll; der Asengott,
Fro, besteigt diesen Stuhl, und erblickt von ihm herab die Riesentochter, deren
Schönheit so wunderbar ist, daß Alles, was sie umgiebt, wie golden dadurch
erstrahlt; und in unsrem Volksmärchen besteigt ihn ein Schneiderlein, das er¬
bost über den Diebstahl einiger Waschweiber, dem er zuschaut, ein Bein von dem
Stuhle reißt, und es unter die Diebinnen schleudert. In anderen Märchen ist
an die Stelle dieses Stuhles eine verbotene Thür getreten, deren Oeffnung
Unheil bringt u. s. w. Aber die Erinnerung des Volkes an die Mythen ist so groß,
daß es bei aller Willkürlichkeit, die es bezüglich dieser Dinge zeigt, den innern



S. I. W. Wolf, Beiträge zur deutschen Mythologie, S. tlo.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/96>, abgerufen am 24.07.2024.