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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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exclusiver als seine übrigen Stammesbrüder; er hat zu viel Nationalität- und
Religionsbewußtsein, als daß er sich anßer seinem Elemente wohl befinden konnte.
Im vorliegenden Falle war aber der Bruch mit dem NeligionSbcwußtscin zugleich
eine Lossagung von der Nationalität und allen damit zusammenhängenden Ver¬
hältnissen; hier war jeder Halt verloren, und da die Verschmelzung mit dem
Osmanenthnm unmöglich war, mußte man wenigstens die innigste Annäherung
an dasselbe suchen.

Diese konnte aber nur durch den Islam vermittelt werden. Das türkische
Religionswesen, leer und unpoetisch wie es ist, vermag das Gemüth durch¬
aus nicht zu fesseln; den Phantastereien des Koran ließ sich eben so wenig
Geschmack abgewinnen, weil sie mit der ursprünglichen Richtung der serbischen
Phantasie in keinen Einklang gebracht werden können. Diese Religion konnte das
Wesen des Serben nicht durchdringen; da er sich aber doch den Schein geben
mußte, als ob es ihm mit dem neuen Glauben ernst sei, da er um jeden Preis
ein so guter Mosulmcm sein oder doch scheinen wollte, als nur der Osmane,
ergab er sich der vollkommensten Heuchelei, und trug anstatt des Glaubens einen
wohleinstudirten wilden Fanatismus zur Schan, welcher sich der Naja gegenüber
nicht nur geltend machen konnte, sondern der angenommenen Rolle wegen geltend,
machen mußte. So kommt es nun, daß der böhmische Türke für einen exempla¬
rischer Anhänger des Propheten gilt; eine Annahme, welche er meisterlich auszu¬
beuten versteht. Der Koran wird zum Deckschilde aller Gelüste und Wünsche,
das Recht ist ja jederzeit auf der Seite des Glaubens. Wenn es sich um die
Befriedigung solcher Gelüste handelt, wenn der Türke Weib oder Tochter, Hans
und Gut des Christen begehrt, mag er sich's ungestraft aneignen, denn sobald
der Türke daraus einen Anspruch erhebt, hat der Christ kein Recht mehr darauf.
Diese Rechtlosigkeit einerseits und andererseits die fluchwürdige Lehre, daß die'
Arbeit eine Verdammniß sei, von welcher der Prophet seine Anhänger befreit
habe, haben die unbändigste Zügellosigkeit der Leidenschaften und den ekelhaftesten
Müßiggang sammt dessen Gefolge von Lastern zur Folge gehabt, und eine ma߬
lose Demoralisation hat alle Lebenssphären eingenommen und vergiftet.

So führt deun der Muhamedaner ein unbeschreiblich elendes Dasein. Bis er ins
Mannesalter getreten ist, hat schon das ganze Leben alle Reize für ihn verloren;
er lebt dann ohne jeden hohem Wunsch Tag für Tag fort, und verfällt stufen¬
weise in die Apathie, welche kaum noch Leben genannt werden kann. Erst war
das ernste, in sich gekehrte, schweigsame Wesen des Orientalen für die böhmischen
Türken ein Gegenstand des Studiums, sie suchten sich's anzueignen und copirten
es so gut es eben gehen mochte: jetzt ist es ihnen zur Natur geworden, sie leb¬
ten sich in den, ihrer gesammten Organisation grnndwidrigen Zustand der Lüge
und Täuschung so ein, daß man in dieser Beziehung keinen Unterschied zwischen
ihnen und den Osmanen gewahr wird.


Gvenzbotcn, II. -I8W, 9

exclusiver als seine übrigen Stammesbrüder; er hat zu viel Nationalität- und
Religionsbewußtsein, als daß er sich anßer seinem Elemente wohl befinden konnte.
Im vorliegenden Falle war aber der Bruch mit dem NeligionSbcwußtscin zugleich
eine Lossagung von der Nationalität und allen damit zusammenhängenden Ver¬
hältnissen; hier war jeder Halt verloren, und da die Verschmelzung mit dem
Osmanenthnm unmöglich war, mußte man wenigstens die innigste Annäherung
an dasselbe suchen.

Diese konnte aber nur durch den Islam vermittelt werden. Das türkische
Religionswesen, leer und unpoetisch wie es ist, vermag das Gemüth durch¬
aus nicht zu fesseln; den Phantastereien des Koran ließ sich eben so wenig
Geschmack abgewinnen, weil sie mit der ursprünglichen Richtung der serbischen
Phantasie in keinen Einklang gebracht werden können. Diese Religion konnte das
Wesen des Serben nicht durchdringen; da er sich aber doch den Schein geben
mußte, als ob es ihm mit dem neuen Glauben ernst sei, da er um jeden Preis
ein so guter Mosulmcm sein oder doch scheinen wollte, als nur der Osmane,
ergab er sich der vollkommensten Heuchelei, und trug anstatt des Glaubens einen
wohleinstudirten wilden Fanatismus zur Schan, welcher sich der Naja gegenüber
nicht nur geltend machen konnte, sondern der angenommenen Rolle wegen geltend,
machen mußte. So kommt es nun, daß der böhmische Türke für einen exempla¬
rischer Anhänger des Propheten gilt; eine Annahme, welche er meisterlich auszu¬
beuten versteht. Der Koran wird zum Deckschilde aller Gelüste und Wünsche,
das Recht ist ja jederzeit auf der Seite des Glaubens. Wenn es sich um die
Befriedigung solcher Gelüste handelt, wenn der Türke Weib oder Tochter, Hans
und Gut des Christen begehrt, mag er sich's ungestraft aneignen, denn sobald
der Türke daraus einen Anspruch erhebt, hat der Christ kein Recht mehr darauf.
Diese Rechtlosigkeit einerseits und andererseits die fluchwürdige Lehre, daß die'
Arbeit eine Verdammniß sei, von welcher der Prophet seine Anhänger befreit
habe, haben die unbändigste Zügellosigkeit der Leidenschaften und den ekelhaftesten
Müßiggang sammt dessen Gefolge von Lastern zur Folge gehabt, und eine ma߬
lose Demoralisation hat alle Lebenssphären eingenommen und vergiftet.

So führt deun der Muhamedaner ein unbeschreiblich elendes Dasein. Bis er ins
Mannesalter getreten ist, hat schon das ganze Leben alle Reize für ihn verloren;
er lebt dann ohne jeden hohem Wunsch Tag für Tag fort, und verfällt stufen¬
weise in die Apathie, welche kaum noch Leben genannt werden kann. Erst war
das ernste, in sich gekehrte, schweigsame Wesen des Orientalen für die böhmischen
Türken ein Gegenstand des Studiums, sie suchten sich's anzueignen und copirten
es so gut es eben gehen mochte: jetzt ist es ihnen zur Natur geworden, sie leb¬
ten sich in den, ihrer gesammten Organisation grnndwidrigen Zustand der Lüge
und Täuschung so ein, daß man in dieser Beziehung keinen Unterschied zwischen
ihnen und den Osmanen gewahr wird.


Gvenzbotcn, II. -I8W, 9
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[0075] exclusiver als seine übrigen Stammesbrüder; er hat zu viel Nationalität- und Religionsbewußtsein, als daß er sich anßer seinem Elemente wohl befinden konnte. Im vorliegenden Falle war aber der Bruch mit dem NeligionSbcwußtscin zugleich eine Lossagung von der Nationalität und allen damit zusammenhängenden Ver¬ hältnissen; hier war jeder Halt verloren, und da die Verschmelzung mit dem Osmanenthnm unmöglich war, mußte man wenigstens die innigste Annäherung an dasselbe suchen. Diese konnte aber nur durch den Islam vermittelt werden. Das türkische Religionswesen, leer und unpoetisch wie es ist, vermag das Gemüth durch¬ aus nicht zu fesseln; den Phantastereien des Koran ließ sich eben so wenig Geschmack abgewinnen, weil sie mit der ursprünglichen Richtung der serbischen Phantasie in keinen Einklang gebracht werden können. Diese Religion konnte das Wesen des Serben nicht durchdringen; da er sich aber doch den Schein geben mußte, als ob es ihm mit dem neuen Glauben ernst sei, da er um jeden Preis ein so guter Mosulmcm sein oder doch scheinen wollte, als nur der Osmane, ergab er sich der vollkommensten Heuchelei, und trug anstatt des Glaubens einen wohleinstudirten wilden Fanatismus zur Schan, welcher sich der Naja gegenüber nicht nur geltend machen konnte, sondern der angenommenen Rolle wegen geltend, machen mußte. So kommt es nun, daß der böhmische Türke für einen exempla¬ rischer Anhänger des Propheten gilt; eine Annahme, welche er meisterlich auszu¬ beuten versteht. Der Koran wird zum Deckschilde aller Gelüste und Wünsche, das Recht ist ja jederzeit auf der Seite des Glaubens. Wenn es sich um die Befriedigung solcher Gelüste handelt, wenn der Türke Weib oder Tochter, Hans und Gut des Christen begehrt, mag er sich's ungestraft aneignen, denn sobald der Türke daraus einen Anspruch erhebt, hat der Christ kein Recht mehr darauf. Diese Rechtlosigkeit einerseits und andererseits die fluchwürdige Lehre, daß die' Arbeit eine Verdammniß sei, von welcher der Prophet seine Anhänger befreit habe, haben die unbändigste Zügellosigkeit der Leidenschaften und den ekelhaftesten Müßiggang sammt dessen Gefolge von Lastern zur Folge gehabt, und eine ma߬ lose Demoralisation hat alle Lebenssphären eingenommen und vergiftet. So führt deun der Muhamedaner ein unbeschreiblich elendes Dasein. Bis er ins Mannesalter getreten ist, hat schon das ganze Leben alle Reize für ihn verloren; er lebt dann ohne jeden hohem Wunsch Tag für Tag fort, und verfällt stufen¬ weise in die Apathie, welche kaum noch Leben genannt werden kann. Erst war das ernste, in sich gekehrte, schweigsame Wesen des Orientalen für die böhmischen Türken ein Gegenstand des Studiums, sie suchten sich's anzueignen und copirten es so gut es eben gehen mochte: jetzt ist es ihnen zur Natur geworden, sie leb¬ ten sich in den, ihrer gesammten Organisation grnndwidrigen Zustand der Lüge und Täuschung so ein, daß man in dieser Beziehung keinen Unterschied zwischen ihnen und den Osmanen gewahr wird. Gvenzbotcn, II. -I8W, 9

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/75>, abgerufen am 24.07.2024.