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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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Reiches mit der Schlacht am Kossowo Bolje (1389) beschleusten den Verfall
des jeder organischen Gliederung in sich selbst entbehrenden Staates, welcher end¬
lich durch die eigene Aristokratie der Türkcnherrschast überliefert wurde. Damit
bildeten sich nun neue Zustände ans, jedoch war die Basis dieselbe geblieben;
die Aristokratie hatte ihren Grundbesitz und ihre Feudalrcchte durch Annahme
deö Islam gerettet, und blieb auch unter dem neuen Regime der herrschende
Stand. Die alten Lehen erhielten neue Namen ; die Paschalüks, Beglnks,
Spahilüks waren nichts Anderes als die alten Comitate, Barvnate und Domi¬
nien -- die imskl'-i ecmtridueng plebs blieb dieselbe unter dem Namen Raja,
welcher eben "Unterthan" bedeutet. Nur der Wesir wurde vom Sultan bestellt;
seine Macht war jedoch durch die Adelscorporation so beschränkt, daß es in sei¬
nem Interesse liegen mußte, dieselbe in Allem und Jedem gewähren zu lassen : der
Großherr war jederzeit der Betrogene: Diese Zustände haben sich seit vierhun¬
dert Jahren in keiner Weise verändert, und die letzte böhmische Jnsurrection war
eben das Werk der "Beratlije", des Erbadels, welche ihre Privilegien durch's
Tansimat bedroht sahen.

Das Volk war bei der Occupation der Nationalkirche getren geblieben, und
fiel deshalb dem traurigsten Verhängnisse anheim. Die Sectircr schlösse" sich
dem Adel an und gingen zum Islam über, wodurch die Anzahl der mohamme¬
danischen Serben auf 300,000 stieg.

Die neuen Mohammedaner, gleich allen Konvertiten, ließen sich den neuen
Glauben sehr angelegen sein; von ihrem Volke getrennt, ohne Nationalität und
deren Corollarien, blieb ihnen Nichts übrig, als die Verschmelzung mit den Os--
mauen zu suchen. Aber dies war keine leichte Sache; die Neophyten hatten
überwiegende materielle Vortheile in Händen, und würden deshalb von den Os¬
manen, diese aber, weil sie von der Pforte in jeder möglichen Weise begünstigt
wurden, von den böhmischen Türken aufs Grimmigste gehaßt. Da indessen beide
Theile Ursache hatten, vor der Raja den gegenseitigen Haß zu verbergen, so
entstand ein ganz eigenthümliches Verhältniß zwischen den Glaubensgenossen ser¬
bischen und osmanischen Stammes. Man lernte sich gegenseitig ertragen; dabei
fehlte es jedoch nicht an. ernsten Reibungen. Die böhmische Aristokratie hielt con-
sequent große Stücke auf ihren illustren Ursprung, und verachtete die eingewan-
derten Osmanen als plebejische Aventuriers; die Osmanen aber ihrerseits be¬
wahrten den orientalischen Racenhochmuth/ und dünkten sich schon deshalb vor¬
nehmer als die böhmischen Türken, welche ja überdies Moslims von gestern waren.
Eine Verschmelzung beider Racen war unter solchen Umständen nicht zu erzielen,
und so blieben sich dieselben fremd wie vom ersten Anfange her.

Der Slave hat überhaupt ein großes Nachahmungstalent; er kann sich an
fremde Verhältnisse äußerlich aufs Innigste anschließen, ohne dabei sein inneres
Wesen zu verändern, sein nationales Ich zu opfern. Der Serbe ist jedoch viel


Reiches mit der Schlacht am Kossowo Bolje (1389) beschleusten den Verfall
des jeder organischen Gliederung in sich selbst entbehrenden Staates, welcher end¬
lich durch die eigene Aristokratie der Türkcnherrschast überliefert wurde. Damit
bildeten sich nun neue Zustände ans, jedoch war die Basis dieselbe geblieben;
die Aristokratie hatte ihren Grundbesitz und ihre Feudalrcchte durch Annahme
deö Islam gerettet, und blieb auch unter dem neuen Regime der herrschende
Stand. Die alten Lehen erhielten neue Namen ; die Paschalüks, Beglnks,
Spahilüks waren nichts Anderes als die alten Comitate, Barvnate und Domi¬
nien — die imskl'-i ecmtridueng plebs blieb dieselbe unter dem Namen Raja,
welcher eben „Unterthan" bedeutet. Nur der Wesir wurde vom Sultan bestellt;
seine Macht war jedoch durch die Adelscorporation so beschränkt, daß es in sei¬
nem Interesse liegen mußte, dieselbe in Allem und Jedem gewähren zu lassen : der
Großherr war jederzeit der Betrogene: Diese Zustände haben sich seit vierhun¬
dert Jahren in keiner Weise verändert, und die letzte böhmische Jnsurrection war
eben das Werk der „Beratlije", des Erbadels, welche ihre Privilegien durch's
Tansimat bedroht sahen.

Das Volk war bei der Occupation der Nationalkirche getren geblieben, und
fiel deshalb dem traurigsten Verhängnisse anheim. Die Sectircr schlösse» sich
dem Adel an und gingen zum Islam über, wodurch die Anzahl der mohamme¬
danischen Serben auf 300,000 stieg.

Die neuen Mohammedaner, gleich allen Konvertiten, ließen sich den neuen
Glauben sehr angelegen sein; von ihrem Volke getrennt, ohne Nationalität und
deren Corollarien, blieb ihnen Nichts übrig, als die Verschmelzung mit den Os--
mauen zu suchen. Aber dies war keine leichte Sache; die Neophyten hatten
überwiegende materielle Vortheile in Händen, und würden deshalb von den Os¬
manen, diese aber, weil sie von der Pforte in jeder möglichen Weise begünstigt
wurden, von den böhmischen Türken aufs Grimmigste gehaßt. Da indessen beide
Theile Ursache hatten, vor der Raja den gegenseitigen Haß zu verbergen, so
entstand ein ganz eigenthümliches Verhältniß zwischen den Glaubensgenossen ser¬
bischen und osmanischen Stammes. Man lernte sich gegenseitig ertragen; dabei
fehlte es jedoch nicht an. ernsten Reibungen. Die böhmische Aristokratie hielt con-
sequent große Stücke auf ihren illustren Ursprung, und verachtete die eingewan-
derten Osmanen als plebejische Aventuriers; die Osmanen aber ihrerseits be¬
wahrten den orientalischen Racenhochmuth/ und dünkten sich schon deshalb vor¬
nehmer als die böhmischen Türken, welche ja überdies Moslims von gestern waren.
Eine Verschmelzung beider Racen war unter solchen Umständen nicht zu erzielen,
und so blieben sich dieselben fremd wie vom ersten Anfange her.

Der Slave hat überhaupt ein großes Nachahmungstalent; er kann sich an
fremde Verhältnisse äußerlich aufs Innigste anschließen, ohne dabei sein inneres
Wesen zu verändern, sein nationales Ich zu opfern. Der Serbe ist jedoch viel


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[0074] Reiches mit der Schlacht am Kossowo Bolje (1389) beschleusten den Verfall des jeder organischen Gliederung in sich selbst entbehrenden Staates, welcher end¬ lich durch die eigene Aristokratie der Türkcnherrschast überliefert wurde. Damit bildeten sich nun neue Zustände ans, jedoch war die Basis dieselbe geblieben; die Aristokratie hatte ihren Grundbesitz und ihre Feudalrcchte durch Annahme deö Islam gerettet, und blieb auch unter dem neuen Regime der herrschende Stand. Die alten Lehen erhielten neue Namen ; die Paschalüks, Beglnks, Spahilüks waren nichts Anderes als die alten Comitate, Barvnate und Domi¬ nien — die imskl'-i ecmtridueng plebs blieb dieselbe unter dem Namen Raja, welcher eben „Unterthan" bedeutet. Nur der Wesir wurde vom Sultan bestellt; seine Macht war jedoch durch die Adelscorporation so beschränkt, daß es in sei¬ nem Interesse liegen mußte, dieselbe in Allem und Jedem gewähren zu lassen : der Großherr war jederzeit der Betrogene: Diese Zustände haben sich seit vierhun¬ dert Jahren in keiner Weise verändert, und die letzte böhmische Jnsurrection war eben das Werk der „Beratlije", des Erbadels, welche ihre Privilegien durch's Tansimat bedroht sahen. Das Volk war bei der Occupation der Nationalkirche getren geblieben, und fiel deshalb dem traurigsten Verhängnisse anheim. Die Sectircr schlösse» sich dem Adel an und gingen zum Islam über, wodurch die Anzahl der mohamme¬ danischen Serben auf 300,000 stieg. Die neuen Mohammedaner, gleich allen Konvertiten, ließen sich den neuen Glauben sehr angelegen sein; von ihrem Volke getrennt, ohne Nationalität und deren Corollarien, blieb ihnen Nichts übrig, als die Verschmelzung mit den Os-- mauen zu suchen. Aber dies war keine leichte Sache; die Neophyten hatten überwiegende materielle Vortheile in Händen, und würden deshalb von den Os¬ manen, diese aber, weil sie von der Pforte in jeder möglichen Weise begünstigt wurden, von den böhmischen Türken aufs Grimmigste gehaßt. Da indessen beide Theile Ursache hatten, vor der Raja den gegenseitigen Haß zu verbergen, so entstand ein ganz eigenthümliches Verhältniß zwischen den Glaubensgenossen ser¬ bischen und osmanischen Stammes. Man lernte sich gegenseitig ertragen; dabei fehlte es jedoch nicht an. ernsten Reibungen. Die böhmische Aristokratie hielt con- sequent große Stücke auf ihren illustren Ursprung, und verachtete die eingewan- derten Osmanen als plebejische Aventuriers; die Osmanen aber ihrerseits be¬ wahrten den orientalischen Racenhochmuth/ und dünkten sich schon deshalb vor¬ nehmer als die böhmischen Türken, welche ja überdies Moslims von gestern waren. Eine Verschmelzung beider Racen war unter solchen Umständen nicht zu erzielen, und so blieben sich dieselben fremd wie vom ersten Anfange her. Der Slave hat überhaupt ein großes Nachahmungstalent; er kann sich an fremde Verhältnisse äußerlich aufs Innigste anschließen, ohne dabei sein inneres Wesen zu verändern, sein nationales Ich zu opfern. Der Serbe ist jedoch viel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/74>, abgerufen am 24.07.2024.