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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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schwer, weil er weder einen Gedankengang, noch eine organisch sich entwickelnde
Leidenschaft ruhig und consequent zu durchdenken versteht. Er führt die un¬
wesentlichen, ganz gewöhnlichen Phrasen der Unterhaltung mit großer Breite aus,
während er diejenigen Momente, auf die es im Gespräch vorzugsweise ankommt,
blos leise andeutet. Er fällt seinen Personen alle Augenblicke ins Wort und
raisonnirt über sie. Bald läßt er sie, um charakteristisch zu sein, eine ganz un¬
gebildete Sprache reden, bald legt er den Grisetten oder Eckenstehern jungdeutsche
Wendungen in den Mund. -- Was dieses Buch aber vorzugsweise charakterisirt,
ist das Streben, den Goethe'scheu Geheimerathssthl aus seiner letzten Periode
nachzuahmen. Das zeigt sich unter Andern: in der Neigung, alle Ereignisse, auch
die unbedeutendsten, zu einer sententiösen Form abzurunden und eine allgemeine
Regel an sie zu knüpfen, die theils durch den verwickelten Ausdruck ihre Trivi¬
alität Überkleider, theils auch sich geradezu durch eine affectirte Einfachheit Gel¬
tung zu verschaffen sucht. Denn mau kann mit der Einfachheit eben so cv-
auettircn, wie mit dem Pathos, wenn man sie zur Schau trägt, wo es sonst keinem
Menschen einfallen würde, anders als einfach zw sein. Diese Vorstellung, als
tiefer denkender und empfindender Geist hoch über der Welt der Erscheinungen
zu schweben und sie aus der Vogelperspective zu betrachten, zeigt sich auch in
einzelnen Stylwendungen, welche deu stofflichen Zusammenhang vom höhern Ge¬
sichtspunkt aus limitiren sollen und die zuletzt in reine Manier ausarten. So
hat schon Ranke die Partikel "doch", um den Begebenheiten gegenüber seine
skeptische Freiheit anzudeuten/in so überreichen Maß angewendet, daß sie zuletzt
ein reines Flickwort geworden ist. Gutzkow macht es ihm nach und fügt ganz
in derselben Manier noch eine Reihe vou Partikeln hinzu, z. B. fast, nur, ja,
etwa, nun, oft, kaum, mehr u. f. w., nicht in der gewöhnlichen Bedeutung, Sün¬
dern um den höheren Standtpunkt des Dichters abzugrenzen. -- Neben dieser Ziererei
kommen dann aber Augenblicke, wo sich der Dichter gehen läßt und ganz Clauren
oder Kotzebue wird. -- Wir müssen "us hiermit begnügen, obgleich noch viel zu
sagen wäre, und fügen nur hinzu, daß sich einzelne schöne Stellen vorfinde",
die leider in dem unangenehmen Eindruck des Ganzen verloren gehen, die aber
zeigen, daß Gutzkow wenigstens in diesem Punkte etwas Besseres leisten könnte,
wenn er in seinen Arbeiten gewissenhafter wäre und nicht blos auf den Effect
ausginge.

Wir schließen mit der moralischen Tendenz des Romans. Daß Gutzkow
ein Portrait der Zeit, wie seine Verehrer behaupten, darin nicht geliefert hat,
wird'der Unbefangene wol von selbst erkennen. Die Zeit ist besser, als ihr Ruf.
Gutzkow versteht darum seine Zeit nicht, weil er sein ganzes Leben hindurch nur
ans die auf der Oberfläche schwimmenden Erscheinungen geachtet hat, die zwar
ans der allgemeinen Bewegung des Geistes hervorgehen,, aber ihr keinen Aus¬
druck verschaffen. Die Individualitäten, welche von jeder einzelnen Regung des


schwer, weil er weder einen Gedankengang, noch eine organisch sich entwickelnde
Leidenschaft ruhig und consequent zu durchdenken versteht. Er führt die un¬
wesentlichen, ganz gewöhnlichen Phrasen der Unterhaltung mit großer Breite aus,
während er diejenigen Momente, auf die es im Gespräch vorzugsweise ankommt,
blos leise andeutet. Er fällt seinen Personen alle Augenblicke ins Wort und
raisonnirt über sie. Bald läßt er sie, um charakteristisch zu sein, eine ganz un¬
gebildete Sprache reden, bald legt er den Grisetten oder Eckenstehern jungdeutsche
Wendungen in den Mund. — Was dieses Buch aber vorzugsweise charakterisirt,
ist das Streben, den Goethe'scheu Geheimerathssthl aus seiner letzten Periode
nachzuahmen. Das zeigt sich unter Andern: in der Neigung, alle Ereignisse, auch
die unbedeutendsten, zu einer sententiösen Form abzurunden und eine allgemeine
Regel an sie zu knüpfen, die theils durch den verwickelten Ausdruck ihre Trivi¬
alität Überkleider, theils auch sich geradezu durch eine affectirte Einfachheit Gel¬
tung zu verschaffen sucht. Denn mau kann mit der Einfachheit eben so cv-
auettircn, wie mit dem Pathos, wenn man sie zur Schau trägt, wo es sonst keinem
Menschen einfallen würde, anders als einfach zw sein. Diese Vorstellung, als
tiefer denkender und empfindender Geist hoch über der Welt der Erscheinungen
zu schweben und sie aus der Vogelperspective zu betrachten, zeigt sich auch in
einzelnen Stylwendungen, welche deu stofflichen Zusammenhang vom höhern Ge¬
sichtspunkt aus limitiren sollen und die zuletzt in reine Manier ausarten. So
hat schon Ranke die Partikel „doch", um den Begebenheiten gegenüber seine
skeptische Freiheit anzudeuten/in so überreichen Maß angewendet, daß sie zuletzt
ein reines Flickwort geworden ist. Gutzkow macht es ihm nach und fügt ganz
in derselben Manier noch eine Reihe vou Partikeln hinzu, z. B. fast, nur, ja,
etwa, nun, oft, kaum, mehr u. f. w., nicht in der gewöhnlichen Bedeutung, Sün¬
dern um den höheren Standtpunkt des Dichters abzugrenzen. — Neben dieser Ziererei
kommen dann aber Augenblicke, wo sich der Dichter gehen läßt und ganz Clauren
oder Kotzebue wird. — Wir müssen »us hiermit begnügen, obgleich noch viel zu
sagen wäre, und fügen nur hinzu, daß sich einzelne schöne Stellen vorfinde»,
die leider in dem unangenehmen Eindruck des Ganzen verloren gehen, die aber
zeigen, daß Gutzkow wenigstens in diesem Punkte etwas Besseres leisten könnte,
wenn er in seinen Arbeiten gewissenhafter wäre und nicht blos auf den Effect
ausginge.

Wir schließen mit der moralischen Tendenz des Romans. Daß Gutzkow
ein Portrait der Zeit, wie seine Verehrer behaupten, darin nicht geliefert hat,
wird'der Unbefangene wol von selbst erkennen. Die Zeit ist besser, als ihr Ruf.
Gutzkow versteht darum seine Zeit nicht, weil er sein ganzes Leben hindurch nur
ans die auf der Oberfläche schwimmenden Erscheinungen geachtet hat, die zwar
ans der allgemeinen Bewegung des Geistes hervorgehen,, aber ihr keinen Aus¬
druck verschaffen. Die Individualitäten, welche von jeder einzelnen Regung des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/71>, abgerufen am 24.07.2024.