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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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Und Gutzkow ist dabei keineswegs ohne Talent für die Satyre. Er hat,
und das ist vielleicht das Hauptverdienst dieses Buches, ein sehr scharfes Auge
für die kleinen Niederträchtigkeiten, in die hohle Charaktere leicht verfallen, wenn
sie auf einen unangemessenen Standpunkt gestellt werden. So sind einzelne Be¬
merkungen über den Reubund, die innere Mission, die kleinen geistreichen Cirkel
bei Hofe :c. ganz vortrefflich, aber es bleibt auch bei diesen einzelnen Einfällen;
dem Schlechten auf den Grund zu gehen und es in seiner Wurzel aufzuzeigen,
hat Gutzkow zu wenig Energie und zu wenig Aufrichtigkeit gegen sich selbst.
Daher widerfährt es ihm alle Augenblicke, daß er mit seiner Satyre gegen
Windmühlen ankämpft, daß er Zustände angreift, die nirgend anders existiren,
als in seinem eigenen Kopfe.

Ein eclatantes Beispiel, wie unklar er über die sittlichen Voraussetzungen
der Gesellschaft ist, die er in ihrer Totalität darzustellen unternimmt, möchte fol¬
gender Zug sein, der einen der Knotenpunkte seiner Intrigue bildet. Ein gewisser
Hackert, ein Schreiber, ist in das Fräulein Melanie, die Tochter des Justiz¬
raths S chlurk, verliebt, mit der er zusammen erzogen ist. Man hat das Ver¬
hältniß für unpassend gefunden und ihn ans dem Hanse entfernt. Eines Mor¬
gens bemerkt ihn Melanie, die eben in Gesellschaft des Stallmeisters Lasally
ausreitet, im Garten. "Da ist schon wieder dieser häßliche Mensch," ruft sie ihm
zu. Augenblicklich springt Lasally aus ihn los, läßt ihn von seinen Knechten zu
Boden werfen, von den Hunden zerfleischen, stößt ihm mit seinen Spornen in den
Nacken und läßt ihn so lange blutig peitschen, bis er leblos liegen bleibt. Nach
unsren gewöhnlichen Vorstellungen würde das ein Criminalfall sein und der Herr
Lasally auf einige Jahre ins Zuchthaus kommen; aber das fällt weder Lasally,
noch Melanie, noch Hackert, noch dem Dichter selbst ein. Melanie ist es zwar
unangenehm, daß ihr alter Jugendfreund so gemißhandelt wird, und Hackert sucht
sich auf eine merkwürdige Weise zu rächen, indem er dem Stallmeister ein Paar
Pferde verdirbt, aber als dieser ihn wegen dieser Unthat den Gerichten über¬
liefern will, kriecht er demüthig zu Kreuz. Was sind das alles für unsinnige
Voraussetzungen! Und diese sittlichen Voraussetzungen sind doch wesentlich, um
darnach die Handlung zu beurtheilen. Eine Gesellschaft, in der von einem solchen
Verbrechen Nichts weiter gesagt würde, als: "Dieser Lasally ist doch ein recht
roher Mensch," widerspricht allen demokratischen und ästhetischen Finessen, die
bei der spätern Handlung zum Vorschein kommen.

Wenn die materiellen Voraussetzungen falsch sind, so kann es mit den Re¬
flexionen darüber auch nicht viel besser bestellt sein. Gutzkow hat für seiue poli-
litischen Raisonnements, die etwa ein Drittel des Werks ausmachen, die Form
gewählt, die. durch Radowitz in seinen "Unterredungen über Staat und Kirche"
der feinen Welt zugänglich gemacht ist. Es sind Disputationen, in denen die
verschiedenartigsten politischen Standpunkte sich gegen einander aussprechen, ohne


Und Gutzkow ist dabei keineswegs ohne Talent für die Satyre. Er hat,
und das ist vielleicht das Hauptverdienst dieses Buches, ein sehr scharfes Auge
für die kleinen Niederträchtigkeiten, in die hohle Charaktere leicht verfallen, wenn
sie auf einen unangemessenen Standpunkt gestellt werden. So sind einzelne Be¬
merkungen über den Reubund, die innere Mission, die kleinen geistreichen Cirkel
bei Hofe :c. ganz vortrefflich, aber es bleibt auch bei diesen einzelnen Einfällen;
dem Schlechten auf den Grund zu gehen und es in seiner Wurzel aufzuzeigen,
hat Gutzkow zu wenig Energie und zu wenig Aufrichtigkeit gegen sich selbst.
Daher widerfährt es ihm alle Augenblicke, daß er mit seiner Satyre gegen
Windmühlen ankämpft, daß er Zustände angreift, die nirgend anders existiren,
als in seinem eigenen Kopfe.

Ein eclatantes Beispiel, wie unklar er über die sittlichen Voraussetzungen
der Gesellschaft ist, die er in ihrer Totalität darzustellen unternimmt, möchte fol¬
gender Zug sein, der einen der Knotenpunkte seiner Intrigue bildet. Ein gewisser
Hackert, ein Schreiber, ist in das Fräulein Melanie, die Tochter des Justiz¬
raths S chlurk, verliebt, mit der er zusammen erzogen ist. Man hat das Ver¬
hältniß für unpassend gefunden und ihn ans dem Hanse entfernt. Eines Mor¬
gens bemerkt ihn Melanie, die eben in Gesellschaft des Stallmeisters Lasally
ausreitet, im Garten. „Da ist schon wieder dieser häßliche Mensch," ruft sie ihm
zu. Augenblicklich springt Lasally aus ihn los, läßt ihn von seinen Knechten zu
Boden werfen, von den Hunden zerfleischen, stößt ihm mit seinen Spornen in den
Nacken und läßt ihn so lange blutig peitschen, bis er leblos liegen bleibt. Nach
unsren gewöhnlichen Vorstellungen würde das ein Criminalfall sein und der Herr
Lasally auf einige Jahre ins Zuchthaus kommen; aber das fällt weder Lasally,
noch Melanie, noch Hackert, noch dem Dichter selbst ein. Melanie ist es zwar
unangenehm, daß ihr alter Jugendfreund so gemißhandelt wird, und Hackert sucht
sich auf eine merkwürdige Weise zu rächen, indem er dem Stallmeister ein Paar
Pferde verdirbt, aber als dieser ihn wegen dieser Unthat den Gerichten über¬
liefern will, kriecht er demüthig zu Kreuz. Was sind das alles für unsinnige
Voraussetzungen! Und diese sittlichen Voraussetzungen sind doch wesentlich, um
darnach die Handlung zu beurtheilen. Eine Gesellschaft, in der von einem solchen
Verbrechen Nichts weiter gesagt würde, als: „Dieser Lasally ist doch ein recht
roher Mensch," widerspricht allen demokratischen und ästhetischen Finessen, die
bei der spätern Handlung zum Vorschein kommen.

Wenn die materiellen Voraussetzungen falsch sind, so kann es mit den Re¬
flexionen darüber auch nicht viel besser bestellt sein. Gutzkow hat für seiue poli-
litischen Raisonnements, die etwa ein Drittel des Werks ausmachen, die Form
gewählt, die. durch Radowitz in seinen „Unterredungen über Staat und Kirche"
der feinen Welt zugänglich gemacht ist. Es sind Disputationen, in denen die
verschiedenartigsten politischen Standpunkte sich gegen einander aussprechen, ohne


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/57>, abgerufen am 24.07.2024.