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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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arme Deutschland verhängt sein möge, sicher wird der wachsende Verkehr die
deutschen Länder immer näher zusammenrücken; die Volksstämme aus Nord und
Süd werden immer mehr nicht blos die Waaren, sondern anch die geistigen Gü-'
ter mit einander tauschen und glücklich auf einander einwirken. Dann' wird
sich auch der Oldenburger als ein sehr tüchtiges Glied der großen deutschen Völker-
familie erweisen.




Wochenb erlebt.
Evangelisch oder paritätisch?

-- Man ist daran gewöhnt, gerade
von conservativer Seite die Ansicht' vertreten zu sehen, der europäische Staat, also
auch der preußische sei ein specifisch christlicher, während der Liberalismus vom Staat
eine gewisse Neutralität in religiösen Sachen verlangt und das eigentliche Staatsleben
vom kirchlichen Leben zu sondern strebt. Es sind in dieser Frage in der letzten Zeit
neue Gesichtspunkte ausgestellt worden, die eine Uneinigkeit in der conservativen Partei
hervorgerufen haben. Der Rundschauer der Kreuzzeitung hat ans Preußen einen evan¬
gelischen Staat gemacht, dagegen erhebt sich in derselben Zeitung eine konservativ katho¬
lische Stimme, welche aufs Lebhafteste gegen diese Bezcichung protestirt, und für Preu¬
ßen die vollständige Parität der beiden Confessionen in Anspruch nimmt. Wollte man
das nur im Sinn des westphälischen Friedens verstehen, so ließe sich dagegen Nichts
einwenden. Die katholische Kirche hat in Preußen bestimmte Rechte und Privilegien,
an sreiex Religionsübung steht sie der evangelischen vollkommen gleich, der Staat hat
sich wenigstens bis zu einem gewissen Grade zu ihrem Schutz gegen feindselige Angriffe
verpflichtet, -- welchen Schutz er freilich nicht weiter ausdehnen kann, als den Schutz,
den er seiner eigenen Kirche zu Theil werden' läßt; und aus die politischen Rechte hat
es keinen Einfluß, ob man sich zur katholischen oder evangelischen Konfession bekennt.

Allein der Anspruch auf Parität scheint sich weiter ausdehnen zu wollen. Wenn
wir auch von der schwerlich ernst gemeinten Forderung absehen,' daß die Besetzung der
Staatsämter aus beiden Confessionen gleichmäßig, oder wenigstens im Verhältniß zur
Bevölkerungszahl erfolgen soll, so bleiben doch noch so manche Punkte übrig, die wir
nicht stillschweigend hinnehmen können, wenn sie auch vorläufig nur ideeller Natur
sein sollten.

Zunächst ist der Umstand in Betracht zu ziehen, daß die evangelische Kirche kei"
neswegs eine so unabhängige Basis hat, als die katholische. Sie ist abhängig vom
Landesherrn, und da dieser doch nicht als eine isolirte Person, sondern als innig ver¬
wachsen mit dem gesammten Staatsleben betrachtet werden muß, abhängig vom Staat.
Wäre also im Staatsleben eine factische Parität festgestellt, so würde dadurch die
evangelische Kirche in eine viel schlimmere Lage versetzt, als die katholische. Dem konnte
freilich dadurch abgeholfen werden, daß der Staat der evangelischen Kirche eine Ver¬
fassung octroyirte, die sie unabhängig machte. Es find auch mehrfache Versuche nach
dieser Richtung hin angestellt worden, sie haben aber bis jetzt keinen Erfolg gehabt,
und es ist anch wenigstens für die nächste Zeit kein Erfolg abzusehen.


arme Deutschland verhängt sein möge, sicher wird der wachsende Verkehr die
deutschen Länder immer näher zusammenrücken; die Volksstämme aus Nord und
Süd werden immer mehr nicht blos die Waaren, sondern anch die geistigen Gü-'
ter mit einander tauschen und glücklich auf einander einwirken. Dann' wird
sich auch der Oldenburger als ein sehr tüchtiges Glied der großen deutschen Völker-
familie erweisen.




Wochenb erlebt.
Evangelisch oder paritätisch?

— Man ist daran gewöhnt, gerade
von conservativer Seite die Ansicht' vertreten zu sehen, der europäische Staat, also
auch der preußische sei ein specifisch christlicher, während der Liberalismus vom Staat
eine gewisse Neutralität in religiösen Sachen verlangt und das eigentliche Staatsleben
vom kirchlichen Leben zu sondern strebt. Es sind in dieser Frage in der letzten Zeit
neue Gesichtspunkte ausgestellt worden, die eine Uneinigkeit in der conservativen Partei
hervorgerufen haben. Der Rundschauer der Kreuzzeitung hat ans Preußen einen evan¬
gelischen Staat gemacht, dagegen erhebt sich in derselben Zeitung eine konservativ katho¬
lische Stimme, welche aufs Lebhafteste gegen diese Bezcichung protestirt, und für Preu¬
ßen die vollständige Parität der beiden Confessionen in Anspruch nimmt. Wollte man
das nur im Sinn des westphälischen Friedens verstehen, so ließe sich dagegen Nichts
einwenden. Die katholische Kirche hat in Preußen bestimmte Rechte und Privilegien,
an sreiex Religionsübung steht sie der evangelischen vollkommen gleich, der Staat hat
sich wenigstens bis zu einem gewissen Grade zu ihrem Schutz gegen feindselige Angriffe
verpflichtet, — welchen Schutz er freilich nicht weiter ausdehnen kann, als den Schutz,
den er seiner eigenen Kirche zu Theil werden' läßt; und aus die politischen Rechte hat
es keinen Einfluß, ob man sich zur katholischen oder evangelischen Konfession bekennt.

Allein der Anspruch auf Parität scheint sich weiter ausdehnen zu wollen. Wenn
wir auch von der schwerlich ernst gemeinten Forderung absehen,' daß die Besetzung der
Staatsämter aus beiden Confessionen gleichmäßig, oder wenigstens im Verhältniß zur
Bevölkerungszahl erfolgen soll, so bleiben doch noch so manche Punkte übrig, die wir
nicht stillschweigend hinnehmen können, wenn sie auch vorläufig nur ideeller Natur
sein sollten.

Zunächst ist der Umstand in Betracht zu ziehen, daß die evangelische Kirche kei»
neswegs eine so unabhängige Basis hat, als die katholische. Sie ist abhängig vom
Landesherrn, und da dieser doch nicht als eine isolirte Person, sondern als innig ver¬
wachsen mit dem gesammten Staatsleben betrachtet werden muß, abhängig vom Staat.
Wäre also im Staatsleben eine factische Parität festgestellt, so würde dadurch die
evangelische Kirche in eine viel schlimmere Lage versetzt, als die katholische. Dem konnte
freilich dadurch abgeholfen werden, daß der Staat der evangelischen Kirche eine Ver¬
fassung octroyirte, die sie unabhängig machte. Es find auch mehrfache Versuche nach
dieser Richtung hin angestellt worden, sie haben aber bis jetzt keinen Erfolg gehabt,
und es ist anch wenigstens für die nächste Zeit kein Erfolg abzusehen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/515>, abgerufen am 04.07.2024.