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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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Während sie sich selbst in ihren Gedanken die kühnsten Extravaganzen erlaubt
(z. B. "Im Feenmärchen ist die heiligste Politik; ich wollte der größte Staats¬
mann werden, und die ganze Welt unter meine Füße bringen"), weiß sie die
Tollheiten Anderer sehr gut zu kritisiren. Wenn ihre Günderode sich einmal erlaubt,
im Styl der Freundin zu weissagen, so wird sie sehr scharf und mit viel Geist
und Verstand zurecht gewiesen; aber sich selbst kritisch zu betrachten, ist Bettine
nie im Stande gewesen, sie ist zu sehr in sich verliebt.

Das Buch ist den Studenten gewidmet, für die sie immer eine besondere
Vorliebe gezeigt hat. Eigentlich wollte sie wol die strebsame Jugend darunter
verstehen, welche noch nicht mit sich fertig ist, und deren feuriger Idealismus
sich noch mit einer gewissen Unschuld paart; aber sie hatte in der That das wirk¬
liche Studententhum vor Augen, jene bunte Maskerade, in der man das Leben
in einen Traum verwandelt und sich selber und Anderen Etwas weis macht,
wo die Unendlichkeit des Gemüths nur ein Aushängeschild ist für den Mangel an
allem wirklichen Inhalt.

Im Jahre 1843 erschien: "Dies Buch gehört dem Könige", Betrach¬
tungen über den Pauperismus, den Staat und alle übrigen wissenswürdigen
Dinge des Menschenlebens, in dialogischer Form. Die Hauptrolle spielt die
Frau Rath, "die merkwürdigste Frau ihres Jahrhunderts," angeblich Goethe's
Mutter, in der That aber sie selbst. Ihre jungen Freunde hatten dazu im Ber¬
liner Voigtland Studien machen müssen. Seltsamer Weise gehörte damals zu
ihrem nähern Umgang auch Bruno Bauer, der souveraine Kritiker, der Mann des
voraussetzungslosen Verstandes, der allen Glauben und alle Wünsche über Bord
geworfen hatte, um rein und interesselos zu denke", also dem Anschein nach das
vollkommene Gegentheil Bettineus, in der That aber eine verwandte Natur, denn
auch er war eigentlich trotz seiner Frivolität und seines kritischen Dogmatismus eine
schöne Seele, die sich lediglich auf sich selbst bezog. -- In jenen Orakelsprüchen
der Frau Rath über die Uebelstände des Zeitalters und deren Abhilfe herrscht
eine Ungenirtheit der Phantasie, die um so mehr auffällt, da sie sich dem'Anschein
nach mit concreten, wirklichen Verhältnissen beschäftigt. Das Buch haben wol
nur noch Wenige gelesen, denn an politischen Propheten fehlte es damals nicht,
und die Anderen machten einem die Sache wenigstens bequemer, man konnte sie
begreifen, ohne sich erst ein neues Idiom anzueignen.

Weit mehr ihrer Natur angemessen war ein neuer Briefwechsel, den sie 1847
herausgab: "Jlius Pamphilius und die Ambrosia." Jlius Pamphilius
heißt' eigentlich Nathusius, ein junger strebsamer Mann, den der "Briefwechsel
eines Kindes" so anregte, daß er der Verfasserin einen feurigen Verehrungsbrief
schrieb, in Folge dessen sich zuerst eine lebhafte Correspondenz, dann ein per¬
sönliches Verhältniß herausstellte, das sehr bald,eine leidenschaftliche Natur an¬
nahm. Der Briefwechsel enthält unter allen Schriften Bettinas die meiste Natur,


Während sie sich selbst in ihren Gedanken die kühnsten Extravaganzen erlaubt
(z. B. „Im Feenmärchen ist die heiligste Politik; ich wollte der größte Staats¬
mann werden, und die ganze Welt unter meine Füße bringen"), weiß sie die
Tollheiten Anderer sehr gut zu kritisiren. Wenn ihre Günderode sich einmal erlaubt,
im Styl der Freundin zu weissagen, so wird sie sehr scharf und mit viel Geist
und Verstand zurecht gewiesen; aber sich selbst kritisch zu betrachten, ist Bettine
nie im Stande gewesen, sie ist zu sehr in sich verliebt.

Das Buch ist den Studenten gewidmet, für die sie immer eine besondere
Vorliebe gezeigt hat. Eigentlich wollte sie wol die strebsame Jugend darunter
verstehen, welche noch nicht mit sich fertig ist, und deren feuriger Idealismus
sich noch mit einer gewissen Unschuld paart; aber sie hatte in der That das wirk¬
liche Studententhum vor Augen, jene bunte Maskerade, in der man das Leben
in einen Traum verwandelt und sich selber und Anderen Etwas weis macht,
wo die Unendlichkeit des Gemüths nur ein Aushängeschild ist für den Mangel an
allem wirklichen Inhalt.

Im Jahre 1843 erschien: „Dies Buch gehört dem Könige", Betrach¬
tungen über den Pauperismus, den Staat und alle übrigen wissenswürdigen
Dinge des Menschenlebens, in dialogischer Form. Die Hauptrolle spielt die
Frau Rath, „die merkwürdigste Frau ihres Jahrhunderts," angeblich Goethe's
Mutter, in der That aber sie selbst. Ihre jungen Freunde hatten dazu im Ber¬
liner Voigtland Studien machen müssen. Seltsamer Weise gehörte damals zu
ihrem nähern Umgang auch Bruno Bauer, der souveraine Kritiker, der Mann des
voraussetzungslosen Verstandes, der allen Glauben und alle Wünsche über Bord
geworfen hatte, um rein und interesselos zu denke», also dem Anschein nach das
vollkommene Gegentheil Bettineus, in der That aber eine verwandte Natur, denn
auch er war eigentlich trotz seiner Frivolität und seines kritischen Dogmatismus eine
schöne Seele, die sich lediglich auf sich selbst bezog. — In jenen Orakelsprüchen
der Frau Rath über die Uebelstände des Zeitalters und deren Abhilfe herrscht
eine Ungenirtheit der Phantasie, die um so mehr auffällt, da sie sich dem'Anschein
nach mit concreten, wirklichen Verhältnissen beschäftigt. Das Buch haben wol
nur noch Wenige gelesen, denn an politischen Propheten fehlte es damals nicht,
und die Anderen machten einem die Sache wenigstens bequemer, man konnte sie
begreifen, ohne sich erst ein neues Idiom anzueignen.

Weit mehr ihrer Natur angemessen war ein neuer Briefwechsel, den sie 1847
herausgab: „Jlius Pamphilius und die Ambrosia." Jlius Pamphilius
heißt' eigentlich Nathusius, ein junger strebsamer Mann, den der „Briefwechsel
eines Kindes" so anregte, daß er der Verfasserin einen feurigen Verehrungsbrief
schrieb, in Folge dessen sich zuerst eine lebhafte Correspondenz, dann ein per¬
sönliches Verhältniß herausstellte, das sehr bald,eine leidenschaftliche Natur an¬
nahm. Der Briefwechsel enthält unter allen Schriften Bettinas die meiste Natur,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/500>, abgerufen am 24.07.2024.