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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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dem angeblichen Heroismus jener That Altäre zu errichten. "Hier ist mehr, als
Lucretia!" sagt Theodor Munde, ihr Biograph. "Hier sollt Ihr nicht bewun¬
dern, nnr in heiliger Scheu ein herrliches Menschenleben anschauen, das an der
süßen Qual, zu sein und zu liebe", sich das Herz abgedrückt hat, und dem die
christliche Gesinnung selbst die Stärke gab, sich in den Tod zu stürzen, von
dem sie Erlösung für unendliche und unübersehbare Verwirrungen der Existenz
"erhoffte." -- Eine Frivolität, die heute dem Verfasser wol selber unbegreiflich
vorkommen wird.

LZei näherer Untersuchung würden wir zwar finden, daß jene heroische Vor¬
stellung, sich zu opfern, erst in zweiter Reihe steht, daß eigentlich das quälende
Gefühl, dem Manne, den man gern hätte anbeten mögen, nur die unwürdige
Theilnahme des Mitleids zuwenden zu können, in der starken und stolzen Seele
dieser Frau eine Axt von stiller Verzweiflung hervorrief, die sich zuletzt mit dem
Gedanken des Opfers phantastisch ausschmückte, allein dadurch wird doch die Thatsache
uicht aufgehoben, daß in dem herrschenden Ideenkreise der Poesie eine Empfin¬
dung vorkam, die in ihrer Art eben so schlimm war, als der religiöse Fanatismus
der Stigmatisation und der Selbstkreuzigung. Es war im Wesentlichen der
Drang der weiblichen Seele, nicht mehr blos durch die dem Weibe bestimmte
Thätigkeit und Aufopferung jedes Tages, soudern durch eine concentrirte, den
Augen der Welk sichtbare That ihre Stellung im Reiche des Geistes zu erobern.
Es ist dies ein Drang, der zwar zu den seltsamsten Extravaganzen geführt und
dadurch einen lächerlichen Anstrich angenommen hat, den man aber mit der tri¬
vialen Populairphilosophie nicht beseitigt, und der von Zeit'zu Zeit, und zwar
immer in solchen Perioden wieder hervortritt, die durch ihre allgemeine Krank¬
haftigkeit den sonst zur Seite gedrängten psychischen Motiven einen freiern Spiel¬
raum verstatten. Daher kommt es, daß fast bei allen Frauen, die in der Ge¬
schichte ans eine ungewöhnliche Weise hervortreten, sich ein geheimer Schmerz, ein
Gefühl mangelnder Befriedigung durch ihr Leben zieht, das uns unheimlich
berührt,, während bei ausgezeichneten Männern im Gegentheil das Leben die
Werke verklärt. Auch der Mann muß fortwährend gegen Schranken ankämpfen,
auch er wird ohne Haß und ohne Zorn das Große nicht schaffen'können, aber
das ist nur eine nothwendige und darum schöne Entwickelung seiner Natur. Wir
bedauern ihn nicht, sondern wir freuen uns über die Kraft, die er in diesem
Kampfe entwickelt, während uns die weibliche Kraftentwickelung verstimmt.

Nimmt man hinzu, daß die Geschichte der Charlotte Stieglitz nicht vereinzelt
dastand, daß das gleichzeitige Erscheinen der Lelia von G. Sand (1833), der
Wally von Gutzkow (1833) einen tiefern Sitz des Uebels vermuthen läßt, so
wird man zugeben, daß die Periode, in welcher jener Briefwechsel erschien, nicht
etwas Gleichgiltiges war.

Manche Kritiker sind so weit gegangen, denselben geradezu für ein Pro-


61 *

dem angeblichen Heroismus jener That Altäre zu errichten. „Hier ist mehr, als
Lucretia!" sagt Theodor Munde, ihr Biograph. „Hier sollt Ihr nicht bewun¬
dern, nnr in heiliger Scheu ein herrliches Menschenleben anschauen, das an der
süßen Qual, zu sein und zu liebe», sich das Herz abgedrückt hat, und dem die
christliche Gesinnung selbst die Stärke gab, sich in den Tod zu stürzen, von
dem sie Erlösung für unendliche und unübersehbare Verwirrungen der Existenz
»erhoffte." — Eine Frivolität, die heute dem Verfasser wol selber unbegreiflich
vorkommen wird.

LZei näherer Untersuchung würden wir zwar finden, daß jene heroische Vor¬
stellung, sich zu opfern, erst in zweiter Reihe steht, daß eigentlich das quälende
Gefühl, dem Manne, den man gern hätte anbeten mögen, nur die unwürdige
Theilnahme des Mitleids zuwenden zu können, in der starken und stolzen Seele
dieser Frau eine Axt von stiller Verzweiflung hervorrief, die sich zuletzt mit dem
Gedanken des Opfers phantastisch ausschmückte, allein dadurch wird doch die Thatsache
uicht aufgehoben, daß in dem herrschenden Ideenkreise der Poesie eine Empfin¬
dung vorkam, die in ihrer Art eben so schlimm war, als der religiöse Fanatismus
der Stigmatisation und der Selbstkreuzigung. Es war im Wesentlichen der
Drang der weiblichen Seele, nicht mehr blos durch die dem Weibe bestimmte
Thätigkeit und Aufopferung jedes Tages, soudern durch eine concentrirte, den
Augen der Welk sichtbare That ihre Stellung im Reiche des Geistes zu erobern.
Es ist dies ein Drang, der zwar zu den seltsamsten Extravaganzen geführt und
dadurch einen lächerlichen Anstrich angenommen hat, den man aber mit der tri¬
vialen Populairphilosophie nicht beseitigt, und der von Zeit'zu Zeit, und zwar
immer in solchen Perioden wieder hervortritt, die durch ihre allgemeine Krank¬
haftigkeit den sonst zur Seite gedrängten psychischen Motiven einen freiern Spiel¬
raum verstatten. Daher kommt es, daß fast bei allen Frauen, die in der Ge¬
schichte ans eine ungewöhnliche Weise hervortreten, sich ein geheimer Schmerz, ein
Gefühl mangelnder Befriedigung durch ihr Leben zieht, das uns unheimlich
berührt,, während bei ausgezeichneten Männern im Gegentheil das Leben die
Werke verklärt. Auch der Mann muß fortwährend gegen Schranken ankämpfen,
auch er wird ohne Haß und ohne Zorn das Große nicht schaffen'können, aber
das ist nur eine nothwendige und darum schöne Entwickelung seiner Natur. Wir
bedauern ihn nicht, sondern wir freuen uns über die Kraft, die er in diesem
Kampfe entwickelt, während uns die weibliche Kraftentwickelung verstimmt.

Nimmt man hinzu, daß die Geschichte der Charlotte Stieglitz nicht vereinzelt
dastand, daß das gleichzeitige Erscheinen der Lelia von G. Sand (1833), der
Wally von Gutzkow (1833) einen tiefern Sitz des Uebels vermuthen läßt, so
wird man zugeben, daß die Periode, in welcher jener Briefwechsel erschien, nicht
etwas Gleichgiltiges war.

Manche Kritiker sind so weit gegangen, denselben geradezu für ein Pro-


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[0495] dem angeblichen Heroismus jener That Altäre zu errichten. „Hier ist mehr, als Lucretia!" sagt Theodor Munde, ihr Biograph. „Hier sollt Ihr nicht bewun¬ dern, nnr in heiliger Scheu ein herrliches Menschenleben anschauen, das an der süßen Qual, zu sein und zu liebe», sich das Herz abgedrückt hat, und dem die christliche Gesinnung selbst die Stärke gab, sich in den Tod zu stürzen, von dem sie Erlösung für unendliche und unübersehbare Verwirrungen der Existenz »erhoffte." — Eine Frivolität, die heute dem Verfasser wol selber unbegreiflich vorkommen wird. LZei näherer Untersuchung würden wir zwar finden, daß jene heroische Vor¬ stellung, sich zu opfern, erst in zweiter Reihe steht, daß eigentlich das quälende Gefühl, dem Manne, den man gern hätte anbeten mögen, nur die unwürdige Theilnahme des Mitleids zuwenden zu können, in der starken und stolzen Seele dieser Frau eine Axt von stiller Verzweiflung hervorrief, die sich zuletzt mit dem Gedanken des Opfers phantastisch ausschmückte, allein dadurch wird doch die Thatsache uicht aufgehoben, daß in dem herrschenden Ideenkreise der Poesie eine Empfin¬ dung vorkam, die in ihrer Art eben so schlimm war, als der religiöse Fanatismus der Stigmatisation und der Selbstkreuzigung. Es war im Wesentlichen der Drang der weiblichen Seele, nicht mehr blos durch die dem Weibe bestimmte Thätigkeit und Aufopferung jedes Tages, soudern durch eine concentrirte, den Augen der Welk sichtbare That ihre Stellung im Reiche des Geistes zu erobern. Es ist dies ein Drang, der zwar zu den seltsamsten Extravaganzen geführt und dadurch einen lächerlichen Anstrich angenommen hat, den man aber mit der tri¬ vialen Populairphilosophie nicht beseitigt, und der von Zeit'zu Zeit, und zwar immer in solchen Perioden wieder hervortritt, die durch ihre allgemeine Krank¬ haftigkeit den sonst zur Seite gedrängten psychischen Motiven einen freiern Spiel¬ raum verstatten. Daher kommt es, daß fast bei allen Frauen, die in der Ge¬ schichte ans eine ungewöhnliche Weise hervortreten, sich ein geheimer Schmerz, ein Gefühl mangelnder Befriedigung durch ihr Leben zieht, das uns unheimlich berührt,, während bei ausgezeichneten Männern im Gegentheil das Leben die Werke verklärt. Auch der Mann muß fortwährend gegen Schranken ankämpfen, auch er wird ohne Haß und ohne Zorn das Große nicht schaffen'können, aber das ist nur eine nothwendige und darum schöne Entwickelung seiner Natur. Wir bedauern ihn nicht, sondern wir freuen uns über die Kraft, die er in diesem Kampfe entwickelt, während uns die weibliche Kraftentwickelung verstimmt. Nimmt man hinzu, daß die Geschichte der Charlotte Stieglitz nicht vereinzelt dastand, daß das gleichzeitige Erscheinen der Lelia von G. Sand (1833), der Wally von Gutzkow (1833) einen tiefern Sitz des Uebels vermuthen läßt, so wird man zugeben, daß die Periode, in welcher jener Briefwechsel erschien, nicht etwas Gleichgiltiges war. Manche Kritiker sind so weit gegangen, denselben geradezu für ein Pro- 61 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/495>, abgerufen am 24.07.2024.