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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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Vorher hatte er sich noch durch zwei mehr als sonderbare Schriften: "Die
Japhetiden und ihre gemeinsame Heimat!) Armenien" l.-I84i) und
"die drei Grundwurzeln des keltischen Stammes in Gallien"
in einen verunglückten Versuch eingelassen, mit Benutzung der modernen poly¬
glottischen Phantasien die Crentzer'sche Symbolik im Einzelnen weiter auszuführen.
Die Logik und Wissenschaftlichkeit dieser Schriften geht noch weit über die "christ¬
liche Mystik" hinaus. In einer andern Schrift: "Die Wallfahrt nach Trier"
(18is), hat er ans Shakspeare nud Goethe Katholiken gemacht. Darin ist doch
neuerdings sein Glaub'ensbruder Eicheudors gewissenhafter zu Werke gegangen.

Görres' wirkliche Bedeutung entspricht nicht dem Ruf, den sein Name erlangt
hat. Seine Schriften sind allerdings in ihrer Zeit viel gelesen worden, und
haben verwirrte Kopfe noch verwirrter gemacht, sie sind aber bereits jetzt fast
ohne Ausnahme verschollen. Sie haben auch eigentlich nicht viel dazu beigetra¬
gen, die katholische Kirche gegen ihre Angreifer sicher zu stellen, oder ihr ein
neues Terrain zu erobern. Ueberhaupt muß man phantastische Charaktere, wie
Schlegel, Werner, Görres, Flvrencourt, die Gräfin Hahn n. 's. w. zwar
insofern- mit Aufmerksamkeit verfolgen, als sie deutliche Phänomene einer
halt- und glaubenlosen und daher für jeden Aberglauben empfänglichen Zeit
sind, man muß sich aber nicht einbilden, sie seien die Schöpfer dieser Zeit.
Die Macht der Kirche beruht uicht ans den Sophisten, die sie vertheidigen. Ad-
vocaten würde sie überall und zu jeder Zeit finden, und ob diese geistreich oder
geistlos sind, ist am Ende ziemlich gleichgiltig. Die Macht der alleinseligmachenden
Kirche beruht aus der Unvollkommenheit des Staats. Wo die bürgerliche Gesell¬
schaft, wo die Erziehung, die Verwaltung, die Gerichte zweckmäßig orgauistrt sind,
hat der Ultramontanismus keinen Boden; wo den Menschen ein festes Ziel des
Willens gesteckt ist, das sie mit Aufrechthaltung ihrer Persönlichkeit verfolgen
können, hat der Jesuitismus keinen Raum, denn wo der Mensch die Wahl hat,
ob er glauben soll mit Aufgebung oder mit Erhaltung seiner Persönlichkeit, wird
er gewiß das Letztere wählen. Freilich ist dieser Glaube, der mit der Freiheit .
Hand in Hand geht, uur in geordneten Zuständen möglich, nicht in träumerischen,
ans Illusionen beruhenden Verhältnissen; wo Illusionen mit einander kämpfen,
trägt die stärkste immer deu Sieg davon, und gerade darum ist bei den gegen¬
wärtigen Verhältnissen Enropa'ö der Ultramontanismus uoch immer eine sehr
gefährliche Macht.

Seit hundert Jahren eine unbekannte Erscheinung, durchziehen die Jesuiten
wieder deu preußischen Staat. In Breslau, in Danzig', wo man sich ihrer ans
der polnischen Zeit uoch wohl erinnert, halten sie ihre Predigten, zuerst liberal,
freundlich anlockend, viel humaner, als die düstern Frömmler des Protestantis¬
mus- Sie kommen wie Geier, die eine Fäulniß wittern.

Selbst im innersten Lager der Heiligen erregt diese neu-- Erscheinung Be-


Vorher hatte er sich noch durch zwei mehr als sonderbare Schriften: „Die
Japhetiden und ihre gemeinsame Heimat!) Armenien" l.-I84i) und
„die drei Grundwurzeln des keltischen Stammes in Gallien"
in einen verunglückten Versuch eingelassen, mit Benutzung der modernen poly¬
glottischen Phantasien die Crentzer'sche Symbolik im Einzelnen weiter auszuführen.
Die Logik und Wissenschaftlichkeit dieser Schriften geht noch weit über die „christ¬
liche Mystik" hinaus. In einer andern Schrift: „Die Wallfahrt nach Trier"
(18is), hat er ans Shakspeare nud Goethe Katholiken gemacht. Darin ist doch
neuerdings sein Glaub'ensbruder Eicheudors gewissenhafter zu Werke gegangen.

Görres' wirkliche Bedeutung entspricht nicht dem Ruf, den sein Name erlangt
hat. Seine Schriften sind allerdings in ihrer Zeit viel gelesen worden, und
haben verwirrte Kopfe noch verwirrter gemacht, sie sind aber bereits jetzt fast
ohne Ausnahme verschollen. Sie haben auch eigentlich nicht viel dazu beigetra¬
gen, die katholische Kirche gegen ihre Angreifer sicher zu stellen, oder ihr ein
neues Terrain zu erobern. Ueberhaupt muß man phantastische Charaktere, wie
Schlegel, Werner, Görres, Flvrencourt, die Gräfin Hahn n. 's. w. zwar
insofern- mit Aufmerksamkeit verfolgen, als sie deutliche Phänomene einer
halt- und glaubenlosen und daher für jeden Aberglauben empfänglichen Zeit
sind, man muß sich aber nicht einbilden, sie seien die Schöpfer dieser Zeit.
Die Macht der Kirche beruht uicht ans den Sophisten, die sie vertheidigen. Ad-
vocaten würde sie überall und zu jeder Zeit finden, und ob diese geistreich oder
geistlos sind, ist am Ende ziemlich gleichgiltig. Die Macht der alleinseligmachenden
Kirche beruht aus der Unvollkommenheit des Staats. Wo die bürgerliche Gesell¬
schaft, wo die Erziehung, die Verwaltung, die Gerichte zweckmäßig orgauistrt sind,
hat der Ultramontanismus keinen Boden; wo den Menschen ein festes Ziel des
Willens gesteckt ist, das sie mit Aufrechthaltung ihrer Persönlichkeit verfolgen
können, hat der Jesuitismus keinen Raum, denn wo der Mensch die Wahl hat,
ob er glauben soll mit Aufgebung oder mit Erhaltung seiner Persönlichkeit, wird
er gewiß das Letztere wählen. Freilich ist dieser Glaube, der mit der Freiheit .
Hand in Hand geht, uur in geordneten Zuständen möglich, nicht in träumerischen,
ans Illusionen beruhenden Verhältnissen; wo Illusionen mit einander kämpfen,
trägt die stärkste immer deu Sieg davon, und gerade darum ist bei den gegen¬
wärtigen Verhältnissen Enropa'ö der Ultramontanismus uoch immer eine sehr
gefährliche Macht.

Seit hundert Jahren eine unbekannte Erscheinung, durchziehen die Jesuiten
wieder deu preußischen Staat. In Breslau, in Danzig', wo man sich ihrer ans
der polnischen Zeit uoch wohl erinnert, halten sie ihre Predigten, zuerst liberal,
freundlich anlockend, viel humaner, als die düstern Frömmler des Protestantis¬
mus- Sie kommen wie Geier, die eine Fäulniß wittern.

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[0466] Vorher hatte er sich noch durch zwei mehr als sonderbare Schriften: „Die Japhetiden und ihre gemeinsame Heimat!) Armenien" l.-I84i) und „die drei Grundwurzeln des keltischen Stammes in Gallien" in einen verunglückten Versuch eingelassen, mit Benutzung der modernen poly¬ glottischen Phantasien die Crentzer'sche Symbolik im Einzelnen weiter auszuführen. Die Logik und Wissenschaftlichkeit dieser Schriften geht noch weit über die „christ¬ liche Mystik" hinaus. In einer andern Schrift: „Die Wallfahrt nach Trier" (18is), hat er ans Shakspeare nud Goethe Katholiken gemacht. Darin ist doch neuerdings sein Glaub'ensbruder Eicheudors gewissenhafter zu Werke gegangen. Görres' wirkliche Bedeutung entspricht nicht dem Ruf, den sein Name erlangt hat. Seine Schriften sind allerdings in ihrer Zeit viel gelesen worden, und haben verwirrte Kopfe noch verwirrter gemacht, sie sind aber bereits jetzt fast ohne Ausnahme verschollen. Sie haben auch eigentlich nicht viel dazu beigetra¬ gen, die katholische Kirche gegen ihre Angreifer sicher zu stellen, oder ihr ein neues Terrain zu erobern. Ueberhaupt muß man phantastische Charaktere, wie Schlegel, Werner, Görres, Flvrencourt, die Gräfin Hahn n. 's. w. zwar insofern- mit Aufmerksamkeit verfolgen, als sie deutliche Phänomene einer halt- und glaubenlosen und daher für jeden Aberglauben empfänglichen Zeit sind, man muß sich aber nicht einbilden, sie seien die Schöpfer dieser Zeit. Die Macht der Kirche beruht uicht ans den Sophisten, die sie vertheidigen. Ad- vocaten würde sie überall und zu jeder Zeit finden, und ob diese geistreich oder geistlos sind, ist am Ende ziemlich gleichgiltig. Die Macht der alleinseligmachenden Kirche beruht aus der Unvollkommenheit des Staats. Wo die bürgerliche Gesell¬ schaft, wo die Erziehung, die Verwaltung, die Gerichte zweckmäßig orgauistrt sind, hat der Ultramontanismus keinen Boden; wo den Menschen ein festes Ziel des Willens gesteckt ist, das sie mit Aufrechthaltung ihrer Persönlichkeit verfolgen können, hat der Jesuitismus keinen Raum, denn wo der Mensch die Wahl hat, ob er glauben soll mit Aufgebung oder mit Erhaltung seiner Persönlichkeit, wird er gewiß das Letztere wählen. Freilich ist dieser Glaube, der mit der Freiheit . Hand in Hand geht, uur in geordneten Zuständen möglich, nicht in träumerischen, ans Illusionen beruhenden Verhältnissen; wo Illusionen mit einander kämpfen, trägt die stärkste immer deu Sieg davon, und gerade darum ist bei den gegen¬ wärtigen Verhältnissen Enropa'ö der Ultramontanismus uoch immer eine sehr gefährliche Macht. Seit hundert Jahren eine unbekannte Erscheinung, durchziehen die Jesuiten wieder deu preußischen Staat. In Breslau, in Danzig', wo man sich ihrer ans der polnischen Zeit uoch wohl erinnert, halten sie ihre Predigten, zuerst liberal, freundlich anlockend, viel humaner, als die düstern Frömmler des Protestantis¬ mus- Sie kommen wie Geier, die eine Fäulniß wittern. Selbst im innersten Lager der Heiligen erregt diese neu-- Erscheinung Be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/466>, abgerufen am 24.07.2024.