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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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das in Bezug auf die Fürsten mit Recht in Mißcredit gekommen, behält hier seine
volle Geltung. Der oldcnburger Landmann regiert aus seinem Hose, der eine
kleine Welt für sich ist, mit Festigkeit, ohne der Strenge zu bedürfen; denn Frau,
Kinder, Gesinde und Heuerleute wissen recht wohl, daß useÖlst (unser Nettester),
wie er genannt wird, der Herr ist. Up sin Mestfahl het de Hahn dat
groteske Recht. (Auf seinem Düngerhaufen hat der Hahn das größte Recht.)
Uebrigens hat die Frau ein bestimmtes Revier, wozu auch die Kindererziehung
gehört, in das der Mann nicht eingreift. * Sie ist unumschränkter Minister der
inneren, Angelegenheiten; in allen übrigen Dingen nimmt sie die Befehle des
Mannes entgegen. Mannshand daven! (Mannshand oben!) sagt das Sprich¬
wort kräftig/ oder: War 'n Bäckse is, da gelt lin Werke (Wo eine Hose
ist, da gilt kein Weiberrock). Aushänsige, vergnügungssüchtige Weiber wird man
selten finden.

Zwischen den Kindern des Hauses und den Dienstboten wird meist gar kein
Unterschied gemacht. De beeilt is so good as de der lohnt (der dient ist
so gut als der, welcher lohnt) ist ein Sprichwort, das dem Oldenburger Ehre
macht. Auch dauert häufig das freundschaftliche Verhältniß, welches zwischen
Herrschaft und Dienstboten bestanden hat, über die Dienstzeit hinaus, und die
Hausfrau stattet die sich verheirathende Magd freigebig aus. Häuslicher Un¬
friede, Zank zwischen den Eheleuten, auffällige Widerspenstigkeit der Kinder sind
selten. So oft ich auch in oldenburger Bauernhäuser getreten bin, niemals habe
ich die Bewohner derselben in Streit betroffen. Jahre lang besuchte ich sast all¬
wöchentlich ein Bauernhaus in der Nähe der Stadt Oldenburg, das, nach dortiger
Sitte, zugleich Kaffeeschänke war. Der Mann war dem Dämon des Branntwein¬
trinkens verfallen, und saß meist stumm und stier blickend auf der Hausflur, indeß
die wackere Frau die Wirthschaft besorgte. Niemals habe ich diese Frau mit ihrem
Manne, der sie ruinirte, schelten, niemals ihm nur ein hartes Wort geben hören.
Selbst Stiefmutter leben sich leicht in die Familie ein; ihre schwierige Stellung
wird durch das Sprichwort: Stefmoer her 'n langen Steert; all dree är
up (Stiefmutter hat einen langen Schweif; Alles tritt ihr darauf) sehr anschau¬
lich gemacht.

Der Oldenburger liebt keine frühen Heirathen; it is noch Nümms to late
kamen (es ist noch Niemand zu spät gekommen) ist sein Trostwort. Da sich die
Menschen gut conserviren, was namentlich auch von der arbeitenden Klasse gilt,
die bei geringerer Arbeit und besserer Nahrung weniger Lebenskraft verzehrt: so'
ist ein -Mädchen von einigen dreißig Jahren noch lange keine alte Jungfer.
Selten bleibt ein Mädchen sitzen, wenn es nicht geradezu mißgeschaffen ist. Sagt
doch ein gutmüthiges Sprichwort: 'N bäten scheef het Gott.teco (Ein
Bißchen schief hat Gott lieb.) Auf Schönheit wird von dem Landmann wenig
gesehen; denn "man kann von der Moigkeit nich satt weeren" (man


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das in Bezug auf die Fürsten mit Recht in Mißcredit gekommen, behält hier seine
volle Geltung. Der oldcnburger Landmann regiert aus seinem Hose, der eine
kleine Welt für sich ist, mit Festigkeit, ohne der Strenge zu bedürfen; denn Frau,
Kinder, Gesinde und Heuerleute wissen recht wohl, daß useÖlst (unser Nettester),
wie er genannt wird, der Herr ist. Up sin Mestfahl het de Hahn dat
groteske Recht. (Auf seinem Düngerhaufen hat der Hahn das größte Recht.)
Uebrigens hat die Frau ein bestimmtes Revier, wozu auch die Kindererziehung
gehört, in das der Mann nicht eingreift. * Sie ist unumschränkter Minister der
inneren, Angelegenheiten; in allen übrigen Dingen nimmt sie die Befehle des
Mannes entgegen. Mannshand daven! (Mannshand oben!) sagt das Sprich¬
wort kräftig/ oder: War 'n Bäckse is, da gelt lin Werke (Wo eine Hose
ist, da gilt kein Weiberrock). Aushänsige, vergnügungssüchtige Weiber wird man
selten finden.

Zwischen den Kindern des Hauses und den Dienstboten wird meist gar kein
Unterschied gemacht. De beeilt is so good as de der lohnt (der dient ist
so gut als der, welcher lohnt) ist ein Sprichwort, das dem Oldenburger Ehre
macht. Auch dauert häufig das freundschaftliche Verhältniß, welches zwischen
Herrschaft und Dienstboten bestanden hat, über die Dienstzeit hinaus, und die
Hausfrau stattet die sich verheirathende Magd freigebig aus. Häuslicher Un¬
friede, Zank zwischen den Eheleuten, auffällige Widerspenstigkeit der Kinder sind
selten. So oft ich auch in oldenburger Bauernhäuser getreten bin, niemals habe
ich die Bewohner derselben in Streit betroffen. Jahre lang besuchte ich sast all¬
wöchentlich ein Bauernhaus in der Nähe der Stadt Oldenburg, das, nach dortiger
Sitte, zugleich Kaffeeschänke war. Der Mann war dem Dämon des Branntwein¬
trinkens verfallen, und saß meist stumm und stier blickend auf der Hausflur, indeß
die wackere Frau die Wirthschaft besorgte. Niemals habe ich diese Frau mit ihrem
Manne, der sie ruinirte, schelten, niemals ihm nur ein hartes Wort geben hören.
Selbst Stiefmutter leben sich leicht in die Familie ein; ihre schwierige Stellung
wird durch das Sprichwort: Stefmoer her 'n langen Steert; all dree är
up (Stiefmutter hat einen langen Schweif; Alles tritt ihr darauf) sehr anschau¬
lich gemacht.

Der Oldenburger liebt keine frühen Heirathen; it is noch Nümms to late
kamen (es ist noch Niemand zu spät gekommen) ist sein Trostwort. Da sich die
Menschen gut conserviren, was namentlich auch von der arbeitenden Klasse gilt,
die bei geringerer Arbeit und besserer Nahrung weniger Lebenskraft verzehrt: so'
ist ein -Mädchen von einigen dreißig Jahren noch lange keine alte Jungfer.
Selten bleibt ein Mädchen sitzen, wenn es nicht geradezu mißgeschaffen ist. Sagt
doch ein gutmüthiges Sprichwort: 'N bäten scheef het Gott.teco (Ein
Bißchen schief hat Gott lieb.) Auf Schönheit wird von dem Landmann wenig
gesehen; denn „man kann von der Moigkeit nich satt weeren" (man


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[0423] das in Bezug auf die Fürsten mit Recht in Mißcredit gekommen, behält hier seine volle Geltung. Der oldcnburger Landmann regiert aus seinem Hose, der eine kleine Welt für sich ist, mit Festigkeit, ohne der Strenge zu bedürfen; denn Frau, Kinder, Gesinde und Heuerleute wissen recht wohl, daß useÖlst (unser Nettester), wie er genannt wird, der Herr ist. Up sin Mestfahl het de Hahn dat groteske Recht. (Auf seinem Düngerhaufen hat der Hahn das größte Recht.) Uebrigens hat die Frau ein bestimmtes Revier, wozu auch die Kindererziehung gehört, in das der Mann nicht eingreift. * Sie ist unumschränkter Minister der inneren, Angelegenheiten; in allen übrigen Dingen nimmt sie die Befehle des Mannes entgegen. Mannshand daven! (Mannshand oben!) sagt das Sprich¬ wort kräftig/ oder: War 'n Bäckse is, da gelt lin Werke (Wo eine Hose ist, da gilt kein Weiberrock). Aushänsige, vergnügungssüchtige Weiber wird man selten finden. Zwischen den Kindern des Hauses und den Dienstboten wird meist gar kein Unterschied gemacht. De beeilt is so good as de der lohnt (der dient ist so gut als der, welcher lohnt) ist ein Sprichwort, das dem Oldenburger Ehre macht. Auch dauert häufig das freundschaftliche Verhältniß, welches zwischen Herrschaft und Dienstboten bestanden hat, über die Dienstzeit hinaus, und die Hausfrau stattet die sich verheirathende Magd freigebig aus. Häuslicher Un¬ friede, Zank zwischen den Eheleuten, auffällige Widerspenstigkeit der Kinder sind selten. So oft ich auch in oldenburger Bauernhäuser getreten bin, niemals habe ich die Bewohner derselben in Streit betroffen. Jahre lang besuchte ich sast all¬ wöchentlich ein Bauernhaus in der Nähe der Stadt Oldenburg, das, nach dortiger Sitte, zugleich Kaffeeschänke war. Der Mann war dem Dämon des Branntwein¬ trinkens verfallen, und saß meist stumm und stier blickend auf der Hausflur, indeß die wackere Frau die Wirthschaft besorgte. Niemals habe ich diese Frau mit ihrem Manne, der sie ruinirte, schelten, niemals ihm nur ein hartes Wort geben hören. Selbst Stiefmutter leben sich leicht in die Familie ein; ihre schwierige Stellung wird durch das Sprichwort: Stefmoer her 'n langen Steert; all dree är up (Stiefmutter hat einen langen Schweif; Alles tritt ihr darauf) sehr anschau¬ lich gemacht. Der Oldenburger liebt keine frühen Heirathen; it is noch Nümms to late kamen (es ist noch Niemand zu spät gekommen) ist sein Trostwort. Da sich die Menschen gut conserviren, was namentlich auch von der arbeitenden Klasse gilt, die bei geringerer Arbeit und besserer Nahrung weniger Lebenskraft verzehrt: so' ist ein -Mädchen von einigen dreißig Jahren noch lange keine alte Jungfer. Selten bleibt ein Mädchen sitzen, wenn es nicht geradezu mißgeschaffen ist. Sagt doch ein gutmüthiges Sprichwort: 'N bäten scheef het Gott.teco (Ein Bißchen schief hat Gott lieb.) Auf Schönheit wird von dem Landmann wenig gesehen; denn „man kann von der Moigkeit nich satt weeren" (man 52*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/423>, abgerufen am 24.07.2024.