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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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auseinandergehen lassen, dann, was es haben wollte, provisorisch .octroyirt, und
so seine eigenen Freunde in die Lage gesetzt, ganz abgesehen von dem materiellen
Inhalte dieser neuen organischen Gesetze, gegen die formale Rechtsbegründung
derselben Bedenken zu äußern. Und wenn man nachher dnrch Rücksichten politi¬
scher Convenienz diese Bedenken überwindet, so wird dadurch der Credit des
Instituts nicht gerade gehoben. Dasselbe thut die Regierung jetzt wieder mit
dem organischen Wahlgesetze für die erste Kammer, wo sie doch bei den jetzt be¬
stehenden Kammern gegen die Ausführung des in der Verfassung begründeten
Wahlmodus nicht die geringsten Einwendungen zu befürchten hätte. Auch diesmal
ist wol der Grund dieser Rücksichtslosigkeit, daß sie selber noch nicht recht weiß,
was sie wollen wird.

Nachdem wir diese Uebelstände angedeutet, wollen wir uns nach den Grün¬
den derselben umsehen; sie sind folgende.

Erstens. Die am 7. .August 1849 zum ersten Male zusammenberufenen
Kammern waren der Ausdruck der conservativen Partei, die, um der drohenden
Demokratie zu entgehen, einen Act des Ministeriums sanctionirten, der außer¬
halb de.r rechtlichen Formen lag. Das Dreiklasseusystem war eine Verletzung der
Verfassung, die wenigstens als provisorisch giltig von allen Nuancen der conser¬
vativen Partei anerkannt war. Eine solche Sanction kann Juan vor sich selber
nur durch die Dringlichkeit des Zwecks rechtfertigen, den man erreichen will.
Während also ans der einen Seite die Kammern der Basis nach, aus der sie
hervorgegangen waren, so conservativ als möglich sein mußten, was sich bei den
späteren Mitgliedern der linken Seite, z. B. bei Auerswald und Schwerin, in
ziemlich ungewöhnlichen Aeußerungen geltend machte, so hatten sie ans der andern
Seite die Veranlassung, das Ministerium sorgfältig zu überwachen, ob es auch
den Zweck, um dessen willen sie ihm nachgegeben, wirklich festhielt. So wurde
dieser Zweck, 'die" deutsche Frage, , mit einer Leidenschaftlichkeit ins Auge gefaßt,
die unter anderen Umständen vielleicht nicht stattgefunden hätte.

Ein ähnlicher Zwiespalt war im Ministerium selbst. Es hatte durch seine
Antecedentien gewisse Verpflichtungen gegen den Liberalismus in der äußern "
und der innern Politik übernommen, deren es sich zwar endlich entschlug, aber
doch nicht ohne einiges Sträuben. Das Gefühl, dieser Verpflichtungen lastete
schwer ans ihm, und machte es geneigt, wie es in ähnlichen Fällen immer zu
geschehen pflegt, den lästigen Verbündeten so stark als möglich seine Verstimmung
fühlen zu lassen. Man mag von dem Ministerpräsidenten halten, was man will,
so viel wird man zugeben, daß er Tage, wie die von Olmütz, eben so lebhaft
gefühlt haben wird, wie seine Gegner. Daß er nachher seinen Groll .an denen
ausließ, die ihm dieses Gefühl versinnlichten, liegt wieder in. der menschlichen
Natur. Man zerschlägt ja zuweilen den Spiegel, wenn man in ihm steht, daß
das Gesicht durch eine Narbe entstellt ist. -- Es kam ein zweiter Umstand hinzu.


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auseinandergehen lassen, dann, was es haben wollte, provisorisch .octroyirt, und
so seine eigenen Freunde in die Lage gesetzt, ganz abgesehen von dem materiellen
Inhalte dieser neuen organischen Gesetze, gegen die formale Rechtsbegründung
derselben Bedenken zu äußern. Und wenn man nachher dnrch Rücksichten politi¬
scher Convenienz diese Bedenken überwindet, so wird dadurch der Credit des
Instituts nicht gerade gehoben. Dasselbe thut die Regierung jetzt wieder mit
dem organischen Wahlgesetze für die erste Kammer, wo sie doch bei den jetzt be¬
stehenden Kammern gegen die Ausführung des in der Verfassung begründeten
Wahlmodus nicht die geringsten Einwendungen zu befürchten hätte. Auch diesmal
ist wol der Grund dieser Rücksichtslosigkeit, daß sie selber noch nicht recht weiß,
was sie wollen wird.

Nachdem wir diese Uebelstände angedeutet, wollen wir uns nach den Grün¬
den derselben umsehen; sie sind folgende.

Erstens. Die am 7. .August 1849 zum ersten Male zusammenberufenen
Kammern waren der Ausdruck der conservativen Partei, die, um der drohenden
Demokratie zu entgehen, einen Act des Ministeriums sanctionirten, der außer¬
halb de.r rechtlichen Formen lag. Das Dreiklasseusystem war eine Verletzung der
Verfassung, die wenigstens als provisorisch giltig von allen Nuancen der conser¬
vativen Partei anerkannt war. Eine solche Sanction kann Juan vor sich selber
nur durch die Dringlichkeit des Zwecks rechtfertigen, den man erreichen will.
Während also ans der einen Seite die Kammern der Basis nach, aus der sie
hervorgegangen waren, so conservativ als möglich sein mußten, was sich bei den
späteren Mitgliedern der linken Seite, z. B. bei Auerswald und Schwerin, in
ziemlich ungewöhnlichen Aeußerungen geltend machte, so hatten sie ans der andern
Seite die Veranlassung, das Ministerium sorgfältig zu überwachen, ob es auch
den Zweck, um dessen willen sie ihm nachgegeben, wirklich festhielt. So wurde
dieser Zweck, 'die" deutsche Frage, , mit einer Leidenschaftlichkeit ins Auge gefaßt,
die unter anderen Umständen vielleicht nicht stattgefunden hätte.

Ein ähnlicher Zwiespalt war im Ministerium selbst. Es hatte durch seine
Antecedentien gewisse Verpflichtungen gegen den Liberalismus in der äußern "
und der innern Politik übernommen, deren es sich zwar endlich entschlug, aber
doch nicht ohne einiges Sträuben. Das Gefühl, dieser Verpflichtungen lastete
schwer ans ihm, und machte es geneigt, wie es in ähnlichen Fällen immer zu
geschehen pflegt, den lästigen Verbündeten so stark als möglich seine Verstimmung
fühlen zu lassen. Man mag von dem Ministerpräsidenten halten, was man will,
so viel wird man zugeben, daß er Tage, wie die von Olmütz, eben so lebhaft
gefühlt haben wird, wie seine Gegner. Daß er nachher seinen Groll .an denen
ausließ, die ihm dieses Gefühl versinnlichten, liegt wieder in. der menschlichen
Natur. Man zerschlägt ja zuweilen den Spiegel, wenn man in ihm steht, daß
das Gesicht durch eine Narbe entstellt ist. — Es kam ein zweiter Umstand hinzu.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/415>, abgerufen am 24.07.2024.