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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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ertragen müssen, die deinem Fehltritt entsprechen; mit Schmerzen wirst du jedes
Wesen bezahlen, das aus dir geboren wird, mit Mühen und- Sorgen
jedes wachsende Leben; du wirst Kälte finden, wo du dich hiugiebst, Verrath,
wo du dich aufopferst, Schwäche in deinem eigenen Herzen, Gewalt von einem
stärkern Geschlecht, aber der Kuß des Kindes, das du mit Schmerzen uährst,
wird dich froh machen, der Kranke, den du pflegst, dich stärke", jedes Gefühl,
welches du ausströmst, dich bereichern. Das ist die Krone, die ich anf dein
Haupt setze."

Das Alles ist sehr sinnig empfunden und zart ausgedrückt, und man fühlt
durch, daß es nicht das allgemeine Paradies der Menschheit ist, welches jene
Geisterstimmen der Erinnerung zurückrufen, sondern das individuelle Paradies
der jugendlichen Ideale, das bei einem gefühlvollen Weibe bestimmter und ab¬
geschlossener ist, als bei dem Mann, dem die beständige Thätigkeit es vergönnt,
den Verlust vieler Illusionen leichter zu überwinden.

Es finden sich in diesen Gedichten noch viele Anschauungen, die durch ihre
Wärme, ihre Sinnigkeit und ihre sanstklagende Melodie uns ansprechen. Wir
führen noch ein kleines an: "die Natur und der Mensch". "An einem Sommer¬
tage betrachtete ein Mensch traurig die'Erde und sagte: Ihr Purpurwolken, die
ihr ein faltenreiches Gewand um die Berge schlingt, ihr schön geformten Berge,
aus denen sich der Weg in die Thäler herabschlängelt, ihr Thäler, von frischen
Bächen durchfurcht, ihr Bäche, von schattigen Bäumen umkränzt, ihr Bäume,
voll von Vögeln und Blüthen, ihr Baumblüthen, die ihr den duftigen Thau auf
eure Schwestern, die Wiesenblumen, schüttelt, ihr Pflanzen, die ihr mit euren
Kränzen die Erde schmückt, du fröhliche Erde, die der lustige Ocean umspielt,
mit den flatternden Locken um seine Titanenstirn, warum bin ich der Einzige, der
finster bleiben kann in diesem Glanz der Sonne? -- Aber als die Sommertage
vorüber waren, da betrachtete er den Himmel und antwortete sich selbst: O ihr
Wolken, die ihr wie ein Schweißtuch aus dem Gipfel der Berge lastet, ihr Berge,
die ihr euch sterbend und verfinstert auf die Thäler senkt, ihr Thäler, in denen
die Gießbäche seufzen, ihr beschmuzten Gießbäche, die ihr zerbrochene Zweige mit
euch führt, ihr blätterlosen Bäume, die ihr das Haupt schüttelt wie im Jammer
über eure zertrümmerten Zweige, die mit den zertretenen Wiesenblumen zerstreut
auf der Erde liegen, und du Erde, die du aufschreiest vor Schmerz unter dem
eisernen Hammer, mit dem der Ocean dich schlägt: -- ich bin auch der Einzige,
der vor Freude strahlen kann ohne den Glanz der Sonne."

Diese innigen Empfindungen gestalten steh zuweilen zu ausgeführten Bildern,
meistens aber nehmen sie die Form kleiner zerstückelter Balladen mit einem sinni¬
gen und melodischen Refrain an. Je mehr die Dichterin ans der bestimmten,
unmittelbaren Empfindung heraustritt, je unklarer und trüber werden ihre Vor¬
stellungen.


ertragen müssen, die deinem Fehltritt entsprechen; mit Schmerzen wirst du jedes
Wesen bezahlen, das aus dir geboren wird, mit Mühen und- Sorgen
jedes wachsende Leben; du wirst Kälte finden, wo du dich hiugiebst, Verrath,
wo du dich aufopferst, Schwäche in deinem eigenen Herzen, Gewalt von einem
stärkern Geschlecht, aber der Kuß des Kindes, das du mit Schmerzen uährst,
wird dich froh machen, der Kranke, den du pflegst, dich stärke», jedes Gefühl,
welches du ausströmst, dich bereichern. Das ist die Krone, die ich anf dein
Haupt setze."

Das Alles ist sehr sinnig empfunden und zart ausgedrückt, und man fühlt
durch, daß es nicht das allgemeine Paradies der Menschheit ist, welches jene
Geisterstimmen der Erinnerung zurückrufen, sondern das individuelle Paradies
der jugendlichen Ideale, das bei einem gefühlvollen Weibe bestimmter und ab¬
geschlossener ist, als bei dem Mann, dem die beständige Thätigkeit es vergönnt,
den Verlust vieler Illusionen leichter zu überwinden.

Es finden sich in diesen Gedichten noch viele Anschauungen, die durch ihre
Wärme, ihre Sinnigkeit und ihre sanstklagende Melodie uns ansprechen. Wir
führen noch ein kleines an: „die Natur und der Mensch". „An einem Sommer¬
tage betrachtete ein Mensch traurig die'Erde und sagte: Ihr Purpurwolken, die
ihr ein faltenreiches Gewand um die Berge schlingt, ihr schön geformten Berge,
aus denen sich der Weg in die Thäler herabschlängelt, ihr Thäler, von frischen
Bächen durchfurcht, ihr Bäche, von schattigen Bäumen umkränzt, ihr Bäume,
voll von Vögeln und Blüthen, ihr Baumblüthen, die ihr den duftigen Thau auf
eure Schwestern, die Wiesenblumen, schüttelt, ihr Pflanzen, die ihr mit euren
Kränzen die Erde schmückt, du fröhliche Erde, die der lustige Ocean umspielt,
mit den flatternden Locken um seine Titanenstirn, warum bin ich der Einzige, der
finster bleiben kann in diesem Glanz der Sonne? — Aber als die Sommertage
vorüber waren, da betrachtete er den Himmel und antwortete sich selbst: O ihr
Wolken, die ihr wie ein Schweißtuch aus dem Gipfel der Berge lastet, ihr Berge,
die ihr euch sterbend und verfinstert auf die Thäler senkt, ihr Thäler, in denen
die Gießbäche seufzen, ihr beschmuzten Gießbäche, die ihr zerbrochene Zweige mit
euch führt, ihr blätterlosen Bäume, die ihr das Haupt schüttelt wie im Jammer
über eure zertrümmerten Zweige, die mit den zertretenen Wiesenblumen zerstreut
auf der Erde liegen, und du Erde, die du aufschreiest vor Schmerz unter dem
eisernen Hammer, mit dem der Ocean dich schlägt: — ich bin auch der Einzige,
der vor Freude strahlen kann ohne den Glanz der Sonne."

Diese innigen Empfindungen gestalten steh zuweilen zu ausgeführten Bildern,
meistens aber nehmen sie die Form kleiner zerstückelter Balladen mit einem sinni¬
gen und melodischen Refrain an. Je mehr die Dichterin ans der bestimmten,
unmittelbaren Empfindung heraustritt, je unklarer und trüber werden ihre Vor¬
stellungen.


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[0396] ertragen müssen, die deinem Fehltritt entsprechen; mit Schmerzen wirst du jedes Wesen bezahlen, das aus dir geboren wird, mit Mühen und- Sorgen jedes wachsende Leben; du wirst Kälte finden, wo du dich hiugiebst, Verrath, wo du dich aufopferst, Schwäche in deinem eigenen Herzen, Gewalt von einem stärkern Geschlecht, aber der Kuß des Kindes, das du mit Schmerzen uährst, wird dich froh machen, der Kranke, den du pflegst, dich stärke», jedes Gefühl, welches du ausströmst, dich bereichern. Das ist die Krone, die ich anf dein Haupt setze." Das Alles ist sehr sinnig empfunden und zart ausgedrückt, und man fühlt durch, daß es nicht das allgemeine Paradies der Menschheit ist, welches jene Geisterstimmen der Erinnerung zurückrufen, sondern das individuelle Paradies der jugendlichen Ideale, das bei einem gefühlvollen Weibe bestimmter und ab¬ geschlossener ist, als bei dem Mann, dem die beständige Thätigkeit es vergönnt, den Verlust vieler Illusionen leichter zu überwinden. Es finden sich in diesen Gedichten noch viele Anschauungen, die durch ihre Wärme, ihre Sinnigkeit und ihre sanstklagende Melodie uns ansprechen. Wir führen noch ein kleines an: „die Natur und der Mensch". „An einem Sommer¬ tage betrachtete ein Mensch traurig die'Erde und sagte: Ihr Purpurwolken, die ihr ein faltenreiches Gewand um die Berge schlingt, ihr schön geformten Berge, aus denen sich der Weg in die Thäler herabschlängelt, ihr Thäler, von frischen Bächen durchfurcht, ihr Bäche, von schattigen Bäumen umkränzt, ihr Bäume, voll von Vögeln und Blüthen, ihr Baumblüthen, die ihr den duftigen Thau auf eure Schwestern, die Wiesenblumen, schüttelt, ihr Pflanzen, die ihr mit euren Kränzen die Erde schmückt, du fröhliche Erde, die der lustige Ocean umspielt, mit den flatternden Locken um seine Titanenstirn, warum bin ich der Einzige, der finster bleiben kann in diesem Glanz der Sonne? — Aber als die Sommertage vorüber waren, da betrachtete er den Himmel und antwortete sich selbst: O ihr Wolken, die ihr wie ein Schweißtuch aus dem Gipfel der Berge lastet, ihr Berge, die ihr euch sterbend und verfinstert auf die Thäler senkt, ihr Thäler, in denen die Gießbäche seufzen, ihr beschmuzten Gießbäche, die ihr zerbrochene Zweige mit euch führt, ihr blätterlosen Bäume, die ihr das Haupt schüttelt wie im Jammer über eure zertrümmerten Zweige, die mit den zertretenen Wiesenblumen zerstreut auf der Erde liegen, und du Erde, die du aufschreiest vor Schmerz unter dem eisernen Hammer, mit dem der Ocean dich schlägt: — ich bin auch der Einzige, der vor Freude strahlen kann ohne den Glanz der Sonne." Diese innigen Empfindungen gestalten steh zuweilen zu ausgeführten Bildern, meistens aber nehmen sie die Form kleiner zerstückelter Balladen mit einem sinni¬ gen und melodischen Refrain an. Je mehr die Dichterin ans der bestimmten, unmittelbaren Empfindung heraustritt, je unklarer und trüber werden ihre Vor¬ stellungen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/396>, abgerufen am 24.07.2024.