Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.Pulver in einen Winkel geschoben, eine oder die andere der Kisten, welche Lust Einer solchen Verwüstung zu steuern reichten wenige Menschenhände nicht Pulver in einen Winkel geschoben, eine oder die andere der Kisten, welche Lust Einer solchen Verwüstung zu steuern reichten wenige Menschenhände nicht <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0383" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/94284"/> <p xml:id="ID_1077" prev="#ID_1076"> Pulver in einen Winkel geschoben, eine oder die andere der Kisten, welche Lust<lb/> gezeigt hatten, eine Wanderung anzutreten, ebenfalls mit Nägeln und Bindfaden<lb/> an der Wand befestigt, Und die Eßgeschirre von den Kisten auf den Fußboden<lb/> herabplacirt, damit sie wenigstens vor dem Fallen geschützt waren. Ermüdet und,<lb/> ich kann wol sagen etwas ärgerlich, streckte ich mich ans mein Lager nieder;<lb/> aber auch hier sollte ich keine Ruhe finden: bald glaubte ich auf dem Kopfe zu<lb/> stehen, bald auf den Füßen, bald wieder rechts und links.aus der Koje heraus-<lb/> zurolleu; bald rückte hier ein Koffer, bald dort ein Faß, Alles jagte mich ans,<lb/> und wenn ich dann gefunden hatte, daß Nichts von Bedeutung vorgefallen war,<lb/> kroch ich wieder hinein in meine dunkle Höhle. Plötzlich erbebte das Schiff wie<lb/> von einem heftigen Stoße, jetzt schwankte es rechts Und dann links, und zugleich<lb/> ließ sich ein Gepolter wie von fallenden, rückender und zusammenstoßenden<lb/> Körpern hören, dazwischen das ängstliche Aufschreien der Kranken,, und zugleich<lb/> dicht neben mir ein Plätschern, als ob Wasser zu einer Oeffnung hereinströmte.<lb/> Hören und Aufspringen war Eins: aber welche Verwüstung! Zwei Passagiere<lb/> des Zwischendecks, welche sich auf ihren Kisten niedergestreckt hatten, fuhren mit<lb/> denselben hin und her und konnten ihre Schlitten erst nach langen Bemühen<lb/> zum Stillstehen bringen; alle Fässer und alle Koffer waren in Bewegung, und<lb/> was uicht festgebunden war, stürzte von der Höhe in die Tiefe. Zu meinem<lb/> größten Schrecken sah ich, wie ein Fäßchen, welches ich in Gemeinschaft mit<lb/> mehreren Reisegefährten in Bremen gekauft hatte, umgestürzt war, und wie der<lb/> Wein in einem starken Strome ans demselben hervorströmte. Einer meiner<lb/> Kameraden hatte sich vorher aus demselben einen Labetrunk geholt, und war durch<lb/> einen plötzlichen Anfall der Seekrankheit verhindert gewesen, das Spundloch<lb/> wieder zu verschließen; und da mischte sich der edle Rebensaft mit dem salzigen<lb/> Seewasser, welches sich bei demselben Stoße der Wellen durch die Luken des Stern's<lb/> — ein seltener Fall in der Geschichte der Schifffahrt — in unser Zwischendeck ergossen<lb/> hatte. Aus einem andern Fasse waren die eingepökelten Heringe entwischt, und<lb/> schwammen jetzt in ihrem Elemente, in Gemeinschaft mit sauren Gurten, Stücken<lb/> von Schweizerkäse, Mützen, Hüten, Schuhen und Stiefeln, während andere ein<lb/> Schlammbad von Pflaumenmus nahmen, das in derselben Katastrophe ans dem<lb/> umgestürzten Topfe in einen seidenen Damenhut quoll.</p><lb/> <p xml:id="ID_1078" next="#ID_1079"> Einer solchen Verwüstung zu steuern reichten wenige Menschenhände nicht<lb/> hin; auch die wankenden und stöhnenden Kranken mußten ihre Lager den Kisten,<lb/> Kleidern und Säcken einräumen, um diese vor dem eingedrungenen Wasser zu<lb/> schützen; Einige mußten schöpfen und auswischen, Andere banden die Kasten sest,<lb/> Andere suchten ihre Stiefeln und reinigten sich von der Heringslake und dem<lb/> Muse — kurz, das ganze Zwischendeck war in Auslegung und Bewegung; Keiner<lb/> aber klagte über den erlittenen Verlust; die Seekrankheit hatte ihnen ja alle Lust<lb/> und alle Liebe zu ihrer Habe benommen. In wenigen Stunden war Alles wieder</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0383]
Pulver in einen Winkel geschoben, eine oder die andere der Kisten, welche Lust
gezeigt hatten, eine Wanderung anzutreten, ebenfalls mit Nägeln und Bindfaden
an der Wand befestigt, Und die Eßgeschirre von den Kisten auf den Fußboden
herabplacirt, damit sie wenigstens vor dem Fallen geschützt waren. Ermüdet und,
ich kann wol sagen etwas ärgerlich, streckte ich mich ans mein Lager nieder;
aber auch hier sollte ich keine Ruhe finden: bald glaubte ich auf dem Kopfe zu
stehen, bald auf den Füßen, bald wieder rechts und links.aus der Koje heraus-
zurolleu; bald rückte hier ein Koffer, bald dort ein Faß, Alles jagte mich ans,
und wenn ich dann gefunden hatte, daß Nichts von Bedeutung vorgefallen war,
kroch ich wieder hinein in meine dunkle Höhle. Plötzlich erbebte das Schiff wie
von einem heftigen Stoße, jetzt schwankte es rechts Und dann links, und zugleich
ließ sich ein Gepolter wie von fallenden, rückender und zusammenstoßenden
Körpern hören, dazwischen das ängstliche Aufschreien der Kranken,, und zugleich
dicht neben mir ein Plätschern, als ob Wasser zu einer Oeffnung hereinströmte.
Hören und Aufspringen war Eins: aber welche Verwüstung! Zwei Passagiere
des Zwischendecks, welche sich auf ihren Kisten niedergestreckt hatten, fuhren mit
denselben hin und her und konnten ihre Schlitten erst nach langen Bemühen
zum Stillstehen bringen; alle Fässer und alle Koffer waren in Bewegung, und
was uicht festgebunden war, stürzte von der Höhe in die Tiefe. Zu meinem
größten Schrecken sah ich, wie ein Fäßchen, welches ich in Gemeinschaft mit
mehreren Reisegefährten in Bremen gekauft hatte, umgestürzt war, und wie der
Wein in einem starken Strome ans demselben hervorströmte. Einer meiner
Kameraden hatte sich vorher aus demselben einen Labetrunk geholt, und war durch
einen plötzlichen Anfall der Seekrankheit verhindert gewesen, das Spundloch
wieder zu verschließen; und da mischte sich der edle Rebensaft mit dem salzigen
Seewasser, welches sich bei demselben Stoße der Wellen durch die Luken des Stern's
— ein seltener Fall in der Geschichte der Schifffahrt — in unser Zwischendeck ergossen
hatte. Aus einem andern Fasse waren die eingepökelten Heringe entwischt, und
schwammen jetzt in ihrem Elemente, in Gemeinschaft mit sauren Gurten, Stücken
von Schweizerkäse, Mützen, Hüten, Schuhen und Stiefeln, während andere ein
Schlammbad von Pflaumenmus nahmen, das in derselben Katastrophe ans dem
umgestürzten Topfe in einen seidenen Damenhut quoll.
Einer solchen Verwüstung zu steuern reichten wenige Menschenhände nicht
hin; auch die wankenden und stöhnenden Kranken mußten ihre Lager den Kisten,
Kleidern und Säcken einräumen, um diese vor dem eingedrungenen Wasser zu
schützen; Einige mußten schöpfen und auswischen, Andere banden die Kasten sest,
Andere suchten ihre Stiefeln und reinigten sich von der Heringslake und dem
Muse — kurz, das ganze Zwischendeck war in Auslegung und Bewegung; Keiner
aber klagte über den erlittenen Verlust; die Seekrankheit hatte ihnen ja alle Lust
und alle Liebe zu ihrer Habe benommen. In wenigen Stunden war Alles wieder
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