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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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Aufklärung über diese Mischung vou Barbarei "ud Sentimentalität. Zwar sind
die Prüfungen, die Percival seiner Gemahlin auferlegt, nicht ernst gemeint, aber
um solche Voraussetzungen auch nur einigermaßen für möglich anzunehmen, müs¬
sen sie doch ungefähr mit den Sitten der Zeit übereinstimmen. Percival redet
der Griscldis ein, der König sei über die Heirath seines Paris mit einer Kvhlers-
tochter so ungehalten, daß er das Kind wolle hinrichten lassen. Er redet ihr
serner ein, seine eigene Lehnstrene sei so groß, daß er sich den schändlichsten
Demüthigungen lieber unterwerfen wolle, als den Zorn des Königs zu ertragen.
Daß nach diesem Bilde von seinem Charakter, welches er selber entwirft, Gri-
seldis noch dieselbe demüthige Hingebung bewahren kann, ,die sie erst dann ver-
läugnet, als sie erfährt, er habe mit ihr ein frevelhaftes Spiel getrieben, das
ist eben so unschön als unwahr. In einer barbarischen Zeit, in welcher dergleichen
Voraussetzungen möglich sind, findet die Empfindsamkeit keinen Ort. Der Aus¬
gang der Geschichte muß sein wie in der Ballade vom Grasen Walter: das
rechtlose Weib muß überglücklich sein, daß sie nur zum Spaß gequält worden
ist, und muß ihrem gnädigen Herrn mit um so größerer Treue anhängen.
Ueberdies hat Griseldis schou früher im vollen Ernst' der Rohheit ihres Ge¬
mahls so große Opfer gebracht, daß in der fortgesetzten Quälerei kein wesent¬
licher Fortschritt mehr liegt. Dieser Maugel einer bestimmten sittlichen Grund¬
lage macht sich auch in der Form fühlbar. Die einfache Köhlerstochter, die.
gerade durch ihre Naturkraft imponiren sollte, spricht wie eine sentimentale Dame,
die sich an der Lectüre lyrischer Gedichte gebildet, und der wilde, despotische
Percival läßt sich durch idyllische Scenen imponiren, und philosophirt über die
Natur der Liebe. Die einzelnen Scenen der Naivetät, die für sich betrachtet
ganz artig erfunden sind, contrastiren seltsam mit dem Schiller'schen Pathos der
Grundstimmung, und gewinnen durch diesen Contrast den Anschein des Affectirten.

Mit der Charakteristik dieses Stücks ist eigentlich die ganze Poesie Friedrich
Halm's erschöpft. Ueberall arbeitet er wie ein gewitzter Schachspieler mit unfehl¬
barer Technik auf den Wendepunkt hin, der die Katastrophe bestimmt, aber es
bleiben Operationen des Verstandes, die wir mit Interesse verfolgen, für die
wir aber nicht warm werden können, weil wir überall den Künstler wahrnehmen,
der mit kluger Auswahl das Angemessene zusammenführt, nicht die aller Regeln
spottende Natur, die sich Bahn bricht trotz aller Hindernisse. Der echte Dich¬
ter läßt sich von dein Stoff erregen und bestimme", und idealisirt ihn durch seiue
höhere sittliche Auffassung. Halm dagegen ersinnt sich zuerst seiue Probleme, und
dann erfindet oder benutzt er dazu einen realen Stoff.

Das werthvollste unter seinen übrigen Stücken ist "Der Sohn der Wild-
niß" (1837). Auch hier ist der entscheidende Moment, in dem die gebildete
Griechin von ihrem Plan, den Barbaren zu erziehen, abläßt, da sie erkennt,
daß sein natürliches Gefühl höher steht, als die Cvnveuieu^ der verfeinerten


Aufklärung über diese Mischung vou Barbarei »ud Sentimentalität. Zwar sind
die Prüfungen, die Percival seiner Gemahlin auferlegt, nicht ernst gemeint, aber
um solche Voraussetzungen auch nur einigermaßen für möglich anzunehmen, müs¬
sen sie doch ungefähr mit den Sitten der Zeit übereinstimmen. Percival redet
der Griscldis ein, der König sei über die Heirath seines Paris mit einer Kvhlers-
tochter so ungehalten, daß er das Kind wolle hinrichten lassen. Er redet ihr
serner ein, seine eigene Lehnstrene sei so groß, daß er sich den schändlichsten
Demüthigungen lieber unterwerfen wolle, als den Zorn des Königs zu ertragen.
Daß nach diesem Bilde von seinem Charakter, welches er selber entwirft, Gri-
seldis noch dieselbe demüthige Hingebung bewahren kann, ,die sie erst dann ver-
läugnet, als sie erfährt, er habe mit ihr ein frevelhaftes Spiel getrieben, das
ist eben so unschön als unwahr. In einer barbarischen Zeit, in welcher dergleichen
Voraussetzungen möglich sind, findet die Empfindsamkeit keinen Ort. Der Aus¬
gang der Geschichte muß sein wie in der Ballade vom Grasen Walter: das
rechtlose Weib muß überglücklich sein, daß sie nur zum Spaß gequält worden
ist, und muß ihrem gnädigen Herrn mit um so größerer Treue anhängen.
Ueberdies hat Griseldis schou früher im vollen Ernst' der Rohheit ihres Ge¬
mahls so große Opfer gebracht, daß in der fortgesetzten Quälerei kein wesent¬
licher Fortschritt mehr liegt. Dieser Maugel einer bestimmten sittlichen Grund¬
lage macht sich auch in der Form fühlbar. Die einfache Köhlerstochter, die.
gerade durch ihre Naturkraft imponiren sollte, spricht wie eine sentimentale Dame,
die sich an der Lectüre lyrischer Gedichte gebildet, und der wilde, despotische
Percival läßt sich durch idyllische Scenen imponiren, und philosophirt über die
Natur der Liebe. Die einzelnen Scenen der Naivetät, die für sich betrachtet
ganz artig erfunden sind, contrastiren seltsam mit dem Schiller'schen Pathos der
Grundstimmung, und gewinnen durch diesen Contrast den Anschein des Affectirten.

Mit der Charakteristik dieses Stücks ist eigentlich die ganze Poesie Friedrich
Halm's erschöpft. Ueberall arbeitet er wie ein gewitzter Schachspieler mit unfehl¬
barer Technik auf den Wendepunkt hin, der die Katastrophe bestimmt, aber es
bleiben Operationen des Verstandes, die wir mit Interesse verfolgen, für die
wir aber nicht warm werden können, weil wir überall den Künstler wahrnehmen,
der mit kluger Auswahl das Angemessene zusammenführt, nicht die aller Regeln
spottende Natur, die sich Bahn bricht trotz aller Hindernisse. Der echte Dich¬
ter läßt sich von dein Stoff erregen und bestimme», und idealisirt ihn durch seiue
höhere sittliche Auffassung. Halm dagegen ersinnt sich zuerst seiue Probleme, und
dann erfindet oder benutzt er dazu einen realen Stoff.

Das werthvollste unter seinen übrigen Stücken ist „Der Sohn der Wild-
niß" (1837). Auch hier ist der entscheidende Moment, in dem die gebildete
Griechin von ihrem Plan, den Barbaren zu erziehen, abläßt, da sie erkennt,
daß sein natürliches Gefühl höher steht, als die Cvnveuieu^ der verfeinerten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/356>, abgerufen am 24.07.2024.