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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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treter zurückgelassen hat, Bancbanns wird von der übermüthigen Königin, dem
Bruder derselben und den Höflingen auf jede erdenkliche Weise gemißhandelt.
DaS geht so weit, daß die Königin seine junge Gemahlin in ein Zimmer lockt,
wo ihr Bruder ihr Gewalt anzuthun versucht. Nur durch Selbstmord entgeht
sie der Schande. Trotzdem bewahrt der getreue Bancbcmus seine Loyalität gegen
das königliche Haus, und rettet dasselbe in einem Aufstand, der von seinen eigenen
Anhängern angestiftet ist. Das ist eine Loyalität, die in ihrer Erscheinung nahe
an das Hündische streift, und die sich wenigstens vor den Augen der Menschen
nimmer zu einer schönen Gestaltung abrunden kann. Der alte Bancbanns ist zu
unterhänig und zu altklug, als daß wir ihm unser Interesse schenken konnten, und
die Reue, die später deu srevlerischen Prinzen erfaßt und ihn zum halben Wahn¬
sinn treibt, zu unklar und mystisch, als daß sie uus überzeugen und versöhnen
könnte. Auch auf die Sprache hat die Sentimentalität dieser Anlage einen nach-
theiligen Einfluß ausgeübt.

Das schwächste von Grillparzer's Stücken ist das dramatische Märchen:
"Der Traum ein Leben". Nustan, ein ehrgeiziger Jüngling, der die stillen Freu¬
den des Herzens, die ihm in der Nähe geboten.werden, verkennt, wird durch
einen Zauberer eingeschläfert, und erlebt im Traume das Leben eines Ehrgeizigen,
das mit den schrecklichsten Greuelthaten verknüpft ist und zu einem ehrlosen Falle
führt. Durch diesen Traum wird er von seinem Ehrgeiz geheilt und lernt be¬
greifen, daß der Friede des Herzens über alles Glück geht. Das ist also eine
Disposition, die an Tieck's "Abdallah" und an Klinger's "Giaffar" erinnert.
Aber auf dem Theater ist die Schilderung eines Traumes ein unzweckmäßiger
Vorwurf; wir können nicht glauben, daß Alles blos ein Traum sei, was wir
vor unsren Augen stattfinden sehen. Wenn man den Witz zu sehr zuspitzt, so
bricht er ab. In Calderyn's "Leben ein Traum" wird doch nur der Held
getäuscht, das Publicum läßt sich eine solche Täuschung nicht gefallen, und alle
Operneffecte, die der Dichter anwendet, um das Gemüth in die angemessene
Stimmung zu versetzen, die fortwährenden Harfenklänge, Transparente, Sonnen¬
aufgange :c., selbst Reminiscenzen ans der Zauberflöte, reichen nicht aus, um
dieses Majestätsverbrechen an der Allwissenheit des Publicums wieder gut zu
machen. Die Sprache, die sich diesmal Calderon zum Vorbild genommen hat,
verfällt in alle die Fehler, die sich bei Werner, Houwald und Müllner finden;
sie ist schwülstig, eintönig und nicht selten incorrect. Ein Bild wie folgendes:.
"Wie der Verwandten Wünsche gleich entzügelt wilden Pferden an dem Leichnam
unsres Friedens raschgespornt zerfleischend reißen" -- gehören wol in den Kling¬
klang der Schicksalstragödie, aber nicht in das Werk eines Dichters, der es sonst
ernst mit seiner Kunst nimmt.

Außerdem hat Grillparzer noch eine romantische Oper geschrieben: "Melustne"
(1836), und ein Lustspiel: "Weh dem,, der lügt" (1840); beide sind uns unde-


treter zurückgelassen hat, Bancbanns wird von der übermüthigen Königin, dem
Bruder derselben und den Höflingen auf jede erdenkliche Weise gemißhandelt.
DaS geht so weit, daß die Königin seine junge Gemahlin in ein Zimmer lockt,
wo ihr Bruder ihr Gewalt anzuthun versucht. Nur durch Selbstmord entgeht
sie der Schande. Trotzdem bewahrt der getreue Bancbcmus seine Loyalität gegen
das königliche Haus, und rettet dasselbe in einem Aufstand, der von seinen eigenen
Anhängern angestiftet ist. Das ist eine Loyalität, die in ihrer Erscheinung nahe
an das Hündische streift, und die sich wenigstens vor den Augen der Menschen
nimmer zu einer schönen Gestaltung abrunden kann. Der alte Bancbanns ist zu
unterhänig und zu altklug, als daß wir ihm unser Interesse schenken konnten, und
die Reue, die später deu srevlerischen Prinzen erfaßt und ihn zum halben Wahn¬
sinn treibt, zu unklar und mystisch, als daß sie uus überzeugen und versöhnen
könnte. Auch auf die Sprache hat die Sentimentalität dieser Anlage einen nach-
theiligen Einfluß ausgeübt.

Das schwächste von Grillparzer's Stücken ist das dramatische Märchen:
„Der Traum ein Leben". Nustan, ein ehrgeiziger Jüngling, der die stillen Freu¬
den des Herzens, die ihm in der Nähe geboten.werden, verkennt, wird durch
einen Zauberer eingeschläfert, und erlebt im Traume das Leben eines Ehrgeizigen,
das mit den schrecklichsten Greuelthaten verknüpft ist und zu einem ehrlosen Falle
führt. Durch diesen Traum wird er von seinem Ehrgeiz geheilt und lernt be¬
greifen, daß der Friede des Herzens über alles Glück geht. Das ist also eine
Disposition, die an Tieck's „Abdallah" und an Klinger's „Giaffar" erinnert.
Aber auf dem Theater ist die Schilderung eines Traumes ein unzweckmäßiger
Vorwurf; wir können nicht glauben, daß Alles blos ein Traum sei, was wir
vor unsren Augen stattfinden sehen. Wenn man den Witz zu sehr zuspitzt, so
bricht er ab. In Calderyn's „Leben ein Traum" wird doch nur der Held
getäuscht, das Publicum läßt sich eine solche Täuschung nicht gefallen, und alle
Operneffecte, die der Dichter anwendet, um das Gemüth in die angemessene
Stimmung zu versetzen, die fortwährenden Harfenklänge, Transparente, Sonnen¬
aufgange :c., selbst Reminiscenzen ans der Zauberflöte, reichen nicht aus, um
dieses Majestätsverbrechen an der Allwissenheit des Publicums wieder gut zu
machen. Die Sprache, die sich diesmal Calderon zum Vorbild genommen hat,
verfällt in alle die Fehler, die sich bei Werner, Houwald und Müllner finden;
sie ist schwülstig, eintönig und nicht selten incorrect. Ein Bild wie folgendes:.
„Wie der Verwandten Wünsche gleich entzügelt wilden Pferden an dem Leichnam
unsres Friedens raschgespornt zerfleischend reißen" — gehören wol in den Kling¬
klang der Schicksalstragödie, aber nicht in das Werk eines Dichters, der es sonst
ernst mit seiner Kunst nimmt.

Außerdem hat Grillparzer noch eine romantische Oper geschrieben: „Melustne"
(1836), und ein Lustspiel: „Weh dem,, der lügt" (1840); beide sind uns unde-


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[0354] treter zurückgelassen hat, Bancbanns wird von der übermüthigen Königin, dem Bruder derselben und den Höflingen auf jede erdenkliche Weise gemißhandelt. DaS geht so weit, daß die Königin seine junge Gemahlin in ein Zimmer lockt, wo ihr Bruder ihr Gewalt anzuthun versucht. Nur durch Selbstmord entgeht sie der Schande. Trotzdem bewahrt der getreue Bancbcmus seine Loyalität gegen das königliche Haus, und rettet dasselbe in einem Aufstand, der von seinen eigenen Anhängern angestiftet ist. Das ist eine Loyalität, die in ihrer Erscheinung nahe an das Hündische streift, und die sich wenigstens vor den Augen der Menschen nimmer zu einer schönen Gestaltung abrunden kann. Der alte Bancbanns ist zu unterhänig und zu altklug, als daß wir ihm unser Interesse schenken konnten, und die Reue, die später deu srevlerischen Prinzen erfaßt und ihn zum halben Wahn¬ sinn treibt, zu unklar und mystisch, als daß sie uus überzeugen und versöhnen könnte. Auch auf die Sprache hat die Sentimentalität dieser Anlage einen nach- theiligen Einfluß ausgeübt. Das schwächste von Grillparzer's Stücken ist das dramatische Märchen: „Der Traum ein Leben". Nustan, ein ehrgeiziger Jüngling, der die stillen Freu¬ den des Herzens, die ihm in der Nähe geboten.werden, verkennt, wird durch einen Zauberer eingeschläfert, und erlebt im Traume das Leben eines Ehrgeizigen, das mit den schrecklichsten Greuelthaten verknüpft ist und zu einem ehrlosen Falle führt. Durch diesen Traum wird er von seinem Ehrgeiz geheilt und lernt be¬ greifen, daß der Friede des Herzens über alles Glück geht. Das ist also eine Disposition, die an Tieck's „Abdallah" und an Klinger's „Giaffar" erinnert. Aber auf dem Theater ist die Schilderung eines Traumes ein unzweckmäßiger Vorwurf; wir können nicht glauben, daß Alles blos ein Traum sei, was wir vor unsren Augen stattfinden sehen. Wenn man den Witz zu sehr zuspitzt, so bricht er ab. In Calderyn's „Leben ein Traum" wird doch nur der Held getäuscht, das Publicum läßt sich eine solche Täuschung nicht gefallen, und alle Operneffecte, die der Dichter anwendet, um das Gemüth in die angemessene Stimmung zu versetzen, die fortwährenden Harfenklänge, Transparente, Sonnen¬ aufgange :c., selbst Reminiscenzen ans der Zauberflöte, reichen nicht aus, um dieses Majestätsverbrechen an der Allwissenheit des Publicums wieder gut zu machen. Die Sprache, die sich diesmal Calderon zum Vorbild genommen hat, verfällt in alle die Fehler, die sich bei Werner, Houwald und Müllner finden; sie ist schwülstig, eintönig und nicht selten incorrect. Ein Bild wie folgendes:. „Wie der Verwandten Wünsche gleich entzügelt wilden Pferden an dem Leichnam unsres Friedens raschgespornt zerfleischend reißen" — gehören wol in den Kling¬ klang der Schicksalstragödie, aber nicht in das Werk eines Dichters, der es sonst ernst mit seiner Kunst nimmt. Außerdem hat Grillparzer noch eine romantische Oper geschrieben: „Melustne" (1836), und ein Lustspiel: „Weh dem,, der lügt" (1840); beide sind uns unde-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/354>, abgerufen am 24.07.2024.