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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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künstlichen Ursprung erinnerndes Kerzenlicht, in dein uus dieser alte schreckliche
Mythus von dem den Göttern verhaßten Pelvpideugcschlecht' vorgestellt wird.

Grillparzer hat sich nicht mit den alten dramatischen Stoffen begnügt, son¬
dern anch die lyrischen in den Kreis seines Theaters gezogen. Von seinen
Stücken: Sappho (1819), das goldene Vließ (1822) und des Meeres
und der Liebe Wellen (18i0) gehört nur das zweite dem Kreise der grie-
chischen Dramatik an; bei den beiden anderen hat sich der Dichter aus einem
lyrischen Problem einen sittlichen Conflict abstrahirt, der trotz der Beibehaltung
des Costums wesentlich unsrem modernen Empfinden angehört.'

So ist es gleich mit der mythischen Geschichte von dem Tode Sapphos.
In der dramatischen Gestaltung derselben hat sich Grillparzer mit Recht nicht an
den einzelnen, gleichsam anekdotischen Fall gehalten, sondern allgemein mensch¬
liche Wahrheiten hinein zu verweben gesucht. Die große Dichterin, der Gegen¬
stand der Anbetung von ganz Griechenland, die Siegerin in den olympischen
Spielen, büßt diese Triumphe mit einem Verlust, der ihrem Herzen fühlbar wer¬
den muß, sobald es einmal in einer bestimmten Regung zu schlagen beginnt.'
Sie ist ans der Natur des Weibes herausgetreten und auf ihrer einsamen Höhe
alt geworden. Alle geistreichen Leute schwärmen für sie, aber die ehrbare Sittlich¬
keit nimmt an ihrem Wesen Anstoß, und dieser Anstoß wird sich erneuern, sobald die
bloße Schwärmerei in ein persönliches Verhältniß übergeht. Der junge Phaon,
seit frühster Kindheit von ihren Gedichten begeistert, steht sie als Siegerin in
den olympischen Spielen, und mißversteht seine Begeisterung, indem er Liebe darin
findet. Sie selber steht in ihm das verschönte Abbild ihrer eigenen Jugend und
läßt sich gleichfalls täuschen. Zwar überhäuft sie ihn mit den Beweisen einer
gewaltigen Liebe, aber diese hat etwas Gewaltthätiges und Despotisches, und
verkehrt das eigentliche Verhältniß zwischen Mann und Weib. Sie ist die Ge¬
bende, ihr Geliebter soll der Empfangende sei". Das erträgt keine kräftig an¬
gelegte Natur. Ihr poetisches Leben hat die Kräfte ihrer Seele concentrirt, aber
sie zugleich unfähig gemacht, jene kleinen schüchternen Beweise der Liebe zu nehmen
und zu verstehn, die allein das Glück eines solchen Verhältnisses ausmachen. So
hat sie für Phaon etwas Fremdes und Schreckliches, und das erste Zusammen¬
treffen mit einem guten natürlichen Wesen zeigt ihm die Unwahrheit seiner
frühern Empfindung. .Es erfolgen nun die natürlichen Scenen der Eisersucht,
und es ist sehr gut ausgeführt, wie Phaon's Neigung sich in Haß verwandelt,
und wie hart und unbarmherzig er mit dem stolzen Weibe umgeht, das sich ihm
mit voller Seele hingegeben hat. -- Der Plan und die Ausführung des Ein¬
zelnen, z. B. die verschiedene Detaillirung der Leidenschaft bei den drei bethei¬
ligten Personen, und die allmähliche Umkehrung ihrer Naturen, ist sehr sein
angelegt und mit künstlerischer Besonnenheit ausgeführt. Aber die Idee, die dem
Ganzen zu Grunde liegt, ist weder dem Alterthume noch der Anschauung der


Grcnzboteii. II. -I8S2. 53

künstlichen Ursprung erinnerndes Kerzenlicht, in dein uus dieser alte schreckliche
Mythus von dem den Göttern verhaßten Pelvpideugcschlecht' vorgestellt wird.

Grillparzer hat sich nicht mit den alten dramatischen Stoffen begnügt, son¬
dern anch die lyrischen in den Kreis seines Theaters gezogen. Von seinen
Stücken: Sappho (1819), das goldene Vließ (1822) und des Meeres
und der Liebe Wellen (18i0) gehört nur das zweite dem Kreise der grie-
chischen Dramatik an; bei den beiden anderen hat sich der Dichter aus einem
lyrischen Problem einen sittlichen Conflict abstrahirt, der trotz der Beibehaltung
des Costums wesentlich unsrem modernen Empfinden angehört.'

So ist es gleich mit der mythischen Geschichte von dem Tode Sapphos.
In der dramatischen Gestaltung derselben hat sich Grillparzer mit Recht nicht an
den einzelnen, gleichsam anekdotischen Fall gehalten, sondern allgemein mensch¬
liche Wahrheiten hinein zu verweben gesucht. Die große Dichterin, der Gegen¬
stand der Anbetung von ganz Griechenland, die Siegerin in den olympischen
Spielen, büßt diese Triumphe mit einem Verlust, der ihrem Herzen fühlbar wer¬
den muß, sobald es einmal in einer bestimmten Regung zu schlagen beginnt.'
Sie ist ans der Natur des Weibes herausgetreten und auf ihrer einsamen Höhe
alt geworden. Alle geistreichen Leute schwärmen für sie, aber die ehrbare Sittlich¬
keit nimmt an ihrem Wesen Anstoß, und dieser Anstoß wird sich erneuern, sobald die
bloße Schwärmerei in ein persönliches Verhältniß übergeht. Der junge Phaon,
seit frühster Kindheit von ihren Gedichten begeistert, steht sie als Siegerin in
den olympischen Spielen, und mißversteht seine Begeisterung, indem er Liebe darin
findet. Sie selber steht in ihm das verschönte Abbild ihrer eigenen Jugend und
läßt sich gleichfalls täuschen. Zwar überhäuft sie ihn mit den Beweisen einer
gewaltigen Liebe, aber diese hat etwas Gewaltthätiges und Despotisches, und
verkehrt das eigentliche Verhältniß zwischen Mann und Weib. Sie ist die Ge¬
bende, ihr Geliebter soll der Empfangende sei». Das erträgt keine kräftig an¬
gelegte Natur. Ihr poetisches Leben hat die Kräfte ihrer Seele concentrirt, aber
sie zugleich unfähig gemacht, jene kleinen schüchternen Beweise der Liebe zu nehmen
und zu verstehn, die allein das Glück eines solchen Verhältnisses ausmachen. So
hat sie für Phaon etwas Fremdes und Schreckliches, und das erste Zusammen¬
treffen mit einem guten natürlichen Wesen zeigt ihm die Unwahrheit seiner
frühern Empfindung. .Es erfolgen nun die natürlichen Scenen der Eisersucht,
und es ist sehr gut ausgeführt, wie Phaon's Neigung sich in Haß verwandelt,
und wie hart und unbarmherzig er mit dem stolzen Weibe umgeht, das sich ihm
mit voller Seele hingegeben hat. — Der Plan und die Ausführung des Ein¬
zelnen, z. B. die verschiedene Detaillirung der Leidenschaft bei den drei bethei¬
ligten Personen, und die allmähliche Umkehrung ihrer Naturen, ist sehr sein
angelegt und mit künstlerischer Besonnenheit ausgeführt. Aber die Idee, die dem
Ganzen zu Grunde liegt, ist weder dem Alterthume noch der Anschauung der


Grcnzboteii. II. -I8S2. 53
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[0349] künstlichen Ursprung erinnerndes Kerzenlicht, in dein uus dieser alte schreckliche Mythus von dem den Göttern verhaßten Pelvpideugcschlecht' vorgestellt wird. Grillparzer hat sich nicht mit den alten dramatischen Stoffen begnügt, son¬ dern anch die lyrischen in den Kreis seines Theaters gezogen. Von seinen Stücken: Sappho (1819), das goldene Vließ (1822) und des Meeres und der Liebe Wellen (18i0) gehört nur das zweite dem Kreise der grie- chischen Dramatik an; bei den beiden anderen hat sich der Dichter aus einem lyrischen Problem einen sittlichen Conflict abstrahirt, der trotz der Beibehaltung des Costums wesentlich unsrem modernen Empfinden angehört.' So ist es gleich mit der mythischen Geschichte von dem Tode Sapphos. In der dramatischen Gestaltung derselben hat sich Grillparzer mit Recht nicht an den einzelnen, gleichsam anekdotischen Fall gehalten, sondern allgemein mensch¬ liche Wahrheiten hinein zu verweben gesucht. Die große Dichterin, der Gegen¬ stand der Anbetung von ganz Griechenland, die Siegerin in den olympischen Spielen, büßt diese Triumphe mit einem Verlust, der ihrem Herzen fühlbar wer¬ den muß, sobald es einmal in einer bestimmten Regung zu schlagen beginnt.' Sie ist ans der Natur des Weibes herausgetreten und auf ihrer einsamen Höhe alt geworden. Alle geistreichen Leute schwärmen für sie, aber die ehrbare Sittlich¬ keit nimmt an ihrem Wesen Anstoß, und dieser Anstoß wird sich erneuern, sobald die bloße Schwärmerei in ein persönliches Verhältniß übergeht. Der junge Phaon, seit frühster Kindheit von ihren Gedichten begeistert, steht sie als Siegerin in den olympischen Spielen, und mißversteht seine Begeisterung, indem er Liebe darin findet. Sie selber steht in ihm das verschönte Abbild ihrer eigenen Jugend und läßt sich gleichfalls täuschen. Zwar überhäuft sie ihn mit den Beweisen einer gewaltigen Liebe, aber diese hat etwas Gewaltthätiges und Despotisches, und verkehrt das eigentliche Verhältniß zwischen Mann und Weib. Sie ist die Ge¬ bende, ihr Geliebter soll der Empfangende sei». Das erträgt keine kräftig an¬ gelegte Natur. Ihr poetisches Leben hat die Kräfte ihrer Seele concentrirt, aber sie zugleich unfähig gemacht, jene kleinen schüchternen Beweise der Liebe zu nehmen und zu verstehn, die allein das Glück eines solchen Verhältnisses ausmachen. So hat sie für Phaon etwas Fremdes und Schreckliches, und das erste Zusammen¬ treffen mit einem guten natürlichen Wesen zeigt ihm die Unwahrheit seiner frühern Empfindung. .Es erfolgen nun die natürlichen Scenen der Eisersucht, und es ist sehr gut ausgeführt, wie Phaon's Neigung sich in Haß verwandelt, und wie hart und unbarmherzig er mit dem stolzen Weibe umgeht, das sich ihm mit voller Seele hingegeben hat. — Der Plan und die Ausführung des Ein¬ zelnen, z. B. die verschiedene Detaillirung der Leidenschaft bei den drei bethei¬ ligten Personen, und die allmähliche Umkehrung ihrer Naturen, ist sehr sein angelegt und mit künstlerischer Besonnenheit ausgeführt. Aber die Idee, die dem Ganzen zu Grunde liegt, ist weder dem Alterthume noch der Anschauung der Grcnzboteii. II. -I8S2. 53

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/349>, abgerufen am 24.07.2024.