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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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dividuums an Thee statistisch rechtfertigen zu können. Trotzdem ist jene Wahr¬
heit nicht zu'läugnen, daß Rußland den feinsten Thee genießt. Aber wir Wissen's
ja, daß dort höchste Verfeinerung unvermittelt an roheste Barbarei grenzt -- und
dies ist wieder "deutscher Trost". Er muß uns eben so lange aushelfen, bis
Oestreichs ungeheuere Plane vollendet und durch einen deutschen Landweg nach
China gekrönt sind. Wer aber dieser unmittelbaren Zukunft keinen Glauben
schenkt, der schaffe sich theeverständige Freunde in Rußlands Innerem, in Moskau
oder Nischnei-Nowgorod, damit sie ihm Thee einkaufen, und durch abermalige
Befreundete zukommen lassen.- Der Zoll beträgt für das Pfund an der Zoll¬
vereinsgrenze blos 3 Neugroschen. Wenn aber die Bamberger und Darmstädter
Conferenzbeschlüsse siegen, dann könnte leicht zu Gunsten süddeutscher Industrie
in Theeblättern ein wirklicher Schutzzoll aufgestellt werden, wie für Cichorienkaffee
und Runkelrübenzucker.




Oestreichische Theaterdichter.
Franz Grillparzer.

Im nördlichen Deutschland ist Grillparzer wenig bekannt; wenn man seinen Na¬
men hört, so denkt man gewöhnlich nur an den Dichter der "Ahnfrau"; seine späteren,
viel reiferen Werke sind mit der Periode, als deren vorzüglichsten Ausdruck wir sie be¬
trachten können, in Vergessenheit gerathen. Oestreich dagegen ist stolz auf seinen Dich¬
ter, und hat ein Recht dazu. Denn wenn auch das Princip seines Schaffens zu sehr
der Goethe'schen Kunstperiode angehört, wo man die Kunst als eine Welt für sich
betrachtete, die mit dem wirklichen Leben Nichts zu thun habe, und daher zu sehr
von den Interessen, die heute und zu jeder Zeit die Herzen der Menschen bewegen,
sich entfernt hielt, so verdient doch die Reinheit seiner Formen und das Metho¬
dische in seiner Composttion, das von unsrer jüngern norddeutschen Literatur nur
gar, zu sehr vernachlässigt worden ist, die vollste Anerkennung. Es ist überhaupt
ein wunderlicher Gegensatz zwischen der östreichischen Lyrik und dem östreichischen
Theater. Die Lyriker, die wenigstens eine Zeit lang weit über ihre nördlichen
Stammvettern hinaustraten, geben uns in der Regel zerstreute Bilder, Reflexio¬
nen, Empfindungen, Stimmungen, im Einzelnen artig und geistreich erfunden,
aber ohne Form und Komposition. Die vorzüglichsten Theaterdichter dagegen
zeichnen sich, auch wo ihr Inhalt dürstig ist, und wenig zur Bereicherung des


dividuums an Thee statistisch rechtfertigen zu können. Trotzdem ist jene Wahr¬
heit nicht zu'läugnen, daß Rußland den feinsten Thee genießt. Aber wir Wissen's
ja, daß dort höchste Verfeinerung unvermittelt an roheste Barbarei grenzt — und
dies ist wieder „deutscher Trost". Er muß uns eben so lange aushelfen, bis
Oestreichs ungeheuere Plane vollendet und durch einen deutschen Landweg nach
China gekrönt sind. Wer aber dieser unmittelbaren Zukunft keinen Glauben
schenkt, der schaffe sich theeverständige Freunde in Rußlands Innerem, in Moskau
oder Nischnei-Nowgorod, damit sie ihm Thee einkaufen, und durch abermalige
Befreundete zukommen lassen.- Der Zoll beträgt für das Pfund an der Zoll¬
vereinsgrenze blos 3 Neugroschen. Wenn aber die Bamberger und Darmstädter
Conferenzbeschlüsse siegen, dann könnte leicht zu Gunsten süddeutscher Industrie
in Theeblättern ein wirklicher Schutzzoll aufgestellt werden, wie für Cichorienkaffee
und Runkelrübenzucker.




Oestreichische Theaterdichter.
Franz Grillparzer.

Im nördlichen Deutschland ist Grillparzer wenig bekannt; wenn man seinen Na¬
men hört, so denkt man gewöhnlich nur an den Dichter der „Ahnfrau"; seine späteren,
viel reiferen Werke sind mit der Periode, als deren vorzüglichsten Ausdruck wir sie be¬
trachten können, in Vergessenheit gerathen. Oestreich dagegen ist stolz auf seinen Dich¬
ter, und hat ein Recht dazu. Denn wenn auch das Princip seines Schaffens zu sehr
der Goethe'schen Kunstperiode angehört, wo man die Kunst als eine Welt für sich
betrachtete, die mit dem wirklichen Leben Nichts zu thun habe, und daher zu sehr
von den Interessen, die heute und zu jeder Zeit die Herzen der Menschen bewegen,
sich entfernt hielt, so verdient doch die Reinheit seiner Formen und das Metho¬
dische in seiner Composttion, das von unsrer jüngern norddeutschen Literatur nur
gar, zu sehr vernachlässigt worden ist, die vollste Anerkennung. Es ist überhaupt
ein wunderlicher Gegensatz zwischen der östreichischen Lyrik und dem östreichischen
Theater. Die Lyriker, die wenigstens eine Zeit lang weit über ihre nördlichen
Stammvettern hinaustraten, geben uns in der Regel zerstreute Bilder, Reflexio¬
nen, Empfindungen, Stimmungen, im Einzelnen artig und geistreich erfunden,
aber ohne Form und Komposition. Die vorzüglichsten Theaterdichter dagegen
zeichnen sich, auch wo ihr Inhalt dürstig ist, und wenig zur Bereicherung des


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[0347] dividuums an Thee statistisch rechtfertigen zu können. Trotzdem ist jene Wahr¬ heit nicht zu'läugnen, daß Rußland den feinsten Thee genießt. Aber wir Wissen's ja, daß dort höchste Verfeinerung unvermittelt an roheste Barbarei grenzt — und dies ist wieder „deutscher Trost". Er muß uns eben so lange aushelfen, bis Oestreichs ungeheuere Plane vollendet und durch einen deutschen Landweg nach China gekrönt sind. Wer aber dieser unmittelbaren Zukunft keinen Glauben schenkt, der schaffe sich theeverständige Freunde in Rußlands Innerem, in Moskau oder Nischnei-Nowgorod, damit sie ihm Thee einkaufen, und durch abermalige Befreundete zukommen lassen.- Der Zoll beträgt für das Pfund an der Zoll¬ vereinsgrenze blos 3 Neugroschen. Wenn aber die Bamberger und Darmstädter Conferenzbeschlüsse siegen, dann könnte leicht zu Gunsten süddeutscher Industrie in Theeblättern ein wirklicher Schutzzoll aufgestellt werden, wie für Cichorienkaffee und Runkelrübenzucker. Oestreichische Theaterdichter. Franz Grillparzer. Im nördlichen Deutschland ist Grillparzer wenig bekannt; wenn man seinen Na¬ men hört, so denkt man gewöhnlich nur an den Dichter der „Ahnfrau"; seine späteren, viel reiferen Werke sind mit der Periode, als deren vorzüglichsten Ausdruck wir sie be¬ trachten können, in Vergessenheit gerathen. Oestreich dagegen ist stolz auf seinen Dich¬ ter, und hat ein Recht dazu. Denn wenn auch das Princip seines Schaffens zu sehr der Goethe'schen Kunstperiode angehört, wo man die Kunst als eine Welt für sich betrachtete, die mit dem wirklichen Leben Nichts zu thun habe, und daher zu sehr von den Interessen, die heute und zu jeder Zeit die Herzen der Menschen bewegen, sich entfernt hielt, so verdient doch die Reinheit seiner Formen und das Metho¬ dische in seiner Composttion, das von unsrer jüngern norddeutschen Literatur nur gar, zu sehr vernachlässigt worden ist, die vollste Anerkennung. Es ist überhaupt ein wunderlicher Gegensatz zwischen der östreichischen Lyrik und dem östreichischen Theater. Die Lyriker, die wenigstens eine Zeit lang weit über ihre nördlichen Stammvettern hinaustraten, geben uns in der Regel zerstreute Bilder, Reflexio¬ nen, Empfindungen, Stimmungen, im Einzelnen artig und geistreich erfunden, aber ohne Form und Komposition. Die vorzüglichsten Theaterdichter dagegen zeichnen sich, auch wo ihr Inhalt dürstig ist, und wenig zur Bereicherung des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/347>, abgerufen am 24.07.2024.