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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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der Welt betitelt, denn die eigentliche, nämlich die civilisirte alte und neue Welt,
ist ihm tributpflichtig. Schließt er heute seiue gnadeuspendende Hand, so müs¬
sen morgen die Völker des Ostens und Westens flehend zu ihm rufen, oder mit
vereinter Waffengewalt zerstörend eindringen in das Reich der Mitte, um die
unermeßlichen Flächen zu erobern, wo ans hohen, schmalen Dämmen die sorg¬
sam gepflegten Theepflanzungen üppige Felder umwachsen, gleichzeitig Schirm,
Zier und Nutzen der gröbern Ackercultur, gleichsam Lorbeerkränze ihrer glänzend¬
sten Eroberungen. -- Nur in die Machtgrenzen des Großherrn aller Gläubigen
drang der Thee noch uicht; oder wenigstens summten nur hier und da vereinsamte
Theemaschinen im Zimmer des fränkischen Giaur Triumphlieder einer schonen Zu-
kunstshoffnuug. Aber wir wissen's ja längst von gelehrten Forschern, daß der
türkische Menschheitsstamm im Verwelken begriffen ist. Und wo etwa ein Glied
seiner Verwandtschaft noch lebenskräftige Blüthen treibt, da war's der Thee, wel¬
cher das langsam entnervende Kaffeegift aus seiner alleinigen Herrschaft verdrängte.

Im neunten Jahrhunderte erwähnten arabische Lehrer der Menschheit zuerst
des chinesischen Getränkes und der Pflanze Schah oder Sah andeutend, nach
etwa sechshundert Jahren (1633) fand Olearius den Theegenuß bereits heimisch
in der hohen Aristokratie Persiens. Und hente werben die theetrinkenden Herrscher¬
mächte des Festlandes und des Weltmeeres, werben Rußland und England wett-
kämpfend um die theegenährte Kraft Persiens, wie um die kaffeevergiftete
Schwäche osmanischer Herrschaft. -- Wo aber die rohe Naturkraft der Völker
höhere Cultur noch entbehrt, da schreitet sie ihr theegenießcnd an Rußlands
segenbringender Hand entgegen. Kennt ihr die Völker und Stämme mit fliegen¬
dem Nomadenzelte, welche in breitem Saume deu Ostumfang Rußlands um-
fluthen, und deren ungezählte Horden bald dem chinesischen Herrn der Welt, bald
dem weißen Czaren als Vasallen huldigen? Kirgisen, Kalmüken, Baschkiren :c.
sind nur vereinzelte Namen, unklare Collectivbegriffe, auftauchend aus Steppen¬
gras und Wüstensand wie ihre Zelte, flüchtige Punkte einer nebelhaften Fern¬
sicht, wie ihre Herden. Gemeinsam ist ihnen trotzdem der Thee. Aber freilich
der Thee ihres Culturzustandes; kein Getränk, sondern ein Nahrungsmittel, nicht
seingerollte, duftige Blätter, sondern scheinbare Steine, den Lohkuchen vergleich¬
bar nach Aussehen und Farbe, den Bauziegeln an Härte und Form, zusammen¬
gesetzt aus Stielen, Stängeln und Blattrippen des Theestrauches. Mit Steppen-
und Wüstenwasser gekocht, mit Thierblut gemischt, mit Ochsen- oder Hammeltalg
gewürzt, so wird der nrznständliche "Ziegelthee" als dicke Suppe oder dünner
Brei aus Löffeln vom Volke gegessen, während die Häuptlinge bereits durch
russische, chinesische oder englische Freunde den wahren Thee kennen und schätzen
lernten. Die Ahnung einer verfeinerten Zukunft spricht sich in den Spitzen der
Völker aus -- ihre Erfüllung wird folgen. --Doch noch wundersamer, wie eine
unverstandene Offenbarung, erscheint der Genuß eines theeartigen Getränkes auf


der Welt betitelt, denn die eigentliche, nämlich die civilisirte alte und neue Welt,
ist ihm tributpflichtig. Schließt er heute seiue gnadeuspendende Hand, so müs¬
sen morgen die Völker des Ostens und Westens flehend zu ihm rufen, oder mit
vereinter Waffengewalt zerstörend eindringen in das Reich der Mitte, um die
unermeßlichen Flächen zu erobern, wo ans hohen, schmalen Dämmen die sorg¬
sam gepflegten Theepflanzungen üppige Felder umwachsen, gleichzeitig Schirm,
Zier und Nutzen der gröbern Ackercultur, gleichsam Lorbeerkränze ihrer glänzend¬
sten Eroberungen. — Nur in die Machtgrenzen des Großherrn aller Gläubigen
drang der Thee noch uicht; oder wenigstens summten nur hier und da vereinsamte
Theemaschinen im Zimmer des fränkischen Giaur Triumphlieder einer schonen Zu-
kunstshoffnuug. Aber wir wissen's ja längst von gelehrten Forschern, daß der
türkische Menschheitsstamm im Verwelken begriffen ist. Und wo etwa ein Glied
seiner Verwandtschaft noch lebenskräftige Blüthen treibt, da war's der Thee, wel¬
cher das langsam entnervende Kaffeegift aus seiner alleinigen Herrschaft verdrängte.

Im neunten Jahrhunderte erwähnten arabische Lehrer der Menschheit zuerst
des chinesischen Getränkes und der Pflanze Schah oder Sah andeutend, nach
etwa sechshundert Jahren (1633) fand Olearius den Theegenuß bereits heimisch
in der hohen Aristokratie Persiens. Und hente werben die theetrinkenden Herrscher¬
mächte des Festlandes und des Weltmeeres, werben Rußland und England wett-
kämpfend um die theegenährte Kraft Persiens, wie um die kaffeevergiftete
Schwäche osmanischer Herrschaft. — Wo aber die rohe Naturkraft der Völker
höhere Cultur noch entbehrt, da schreitet sie ihr theegenießcnd an Rußlands
segenbringender Hand entgegen. Kennt ihr die Völker und Stämme mit fliegen¬
dem Nomadenzelte, welche in breitem Saume deu Ostumfang Rußlands um-
fluthen, und deren ungezählte Horden bald dem chinesischen Herrn der Welt, bald
dem weißen Czaren als Vasallen huldigen? Kirgisen, Kalmüken, Baschkiren :c.
sind nur vereinzelte Namen, unklare Collectivbegriffe, auftauchend aus Steppen¬
gras und Wüstensand wie ihre Zelte, flüchtige Punkte einer nebelhaften Fern¬
sicht, wie ihre Herden. Gemeinsam ist ihnen trotzdem der Thee. Aber freilich
der Thee ihres Culturzustandes; kein Getränk, sondern ein Nahrungsmittel, nicht
seingerollte, duftige Blätter, sondern scheinbare Steine, den Lohkuchen vergleich¬
bar nach Aussehen und Farbe, den Bauziegeln an Härte und Form, zusammen¬
gesetzt aus Stielen, Stängeln und Blattrippen des Theestrauches. Mit Steppen-
und Wüstenwasser gekocht, mit Thierblut gemischt, mit Ochsen- oder Hammeltalg
gewürzt, so wird der nrznständliche „Ziegelthee" als dicke Suppe oder dünner
Brei aus Löffeln vom Volke gegessen, während die Häuptlinge bereits durch
russische, chinesische oder englische Freunde den wahren Thee kennen und schätzen
lernten. Die Ahnung einer verfeinerten Zukunft spricht sich in den Spitzen der
Völker aus — ihre Erfüllung wird folgen. —Doch noch wundersamer, wie eine
unverstandene Offenbarung, erscheint der Genuß eines theeartigen Getränkes auf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/334>, abgerufen am 04.07.2024.