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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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eigen haben. Die Musik dazu ist ganz gleichgültig; es kann immer dieselbe bleiben.
Die ersten zehn Male hört ohnehin kein Mensch auf Halvvy oder Meyerbeer.
Bei Letzterem ist es ohnehin schon Mode geworden, ihn blos zum achten Male
zu verstehen, und um sich die Geschichte leichter zu machen, ist es natürlich, wenn
die Leute erst beim achten Male anfangen zuzuhören. Halvvy scheint seinerseits
Aehnliches gefürchtet zu haben, denn er hat einen solchen Spectakel contrapunk-
tirt, daß selbst der arme Beethoven bedauert haben würde, nicht genug taub zu
sein. Fast möchte ich der Meinung sein, man werfe dem Juden nicht ohne Un¬
recht vor, zu viel Lärm zu machen. Von Halvvy's ewigem Juden und Sax'
ewigen JudenpvsauneU gilt das jedenfalls. Der hört auf Mustk -- fast hätte
ich gesagt musikalisch -- zu sein. Das Orchester rast, die Choristen schreien --
Sax schmettert -- aber nur selten wird gesungen. Wenn man uns schon kein
musikalisches Drama, keine musikalische Tragödie giebt, so laßt uns doch wenig¬
stens unsere guten, unschuldigen Italiener, die unsren Ohren den Hof machen,
wie ein galanter Troubadour seiner Geliebten. Aber keine Melodie und keine dra¬
matische Intention, blos babylonischer Spectakel, um den Decorationen als
Staffage zu dienen, das scheint mir denn doch nicht die Ausgabe der Musik sein
zu sollen. Wenn das so fort geht, sehe ich gar nicht ein, warum die Maschi¬
nisten nicht vor Allem ihren Namen auf den Zettel setzen lassen, und warum sie
nicht von den Compositeuren verlangen sollten, daß diese sich auf die ohnehin im¬
mer länger werdenden Zwischenacte beschränken. Halvvy hat ohnehin so wenig
als möglich Melodien gemacht, und wenn wir auch manche Arie aufzuzählen
hätten, melodische Nummern enthält die neue Oper nur wenige. Mir that es
nur leid um die Debütantin Emmy La Grua, die blos in einer einzigen Scene
(dem erwähnten Liebesduo) so recht musikalisch zu Worte kommen kann. Sie hat
aber auch diese Gelegenheit, ihre reizende Stimme und ihr seltnes dramatisches
Talent zu zeigen, reichlich benutzt, und trotz ihrer undankbaren Partie doch allgemein
angesprochen. Fräulein La Grua wurde gerufen, so wie die meisten der Haupt-
vvrstellcr,- welche auch in der That das Mögliche leisteten. Der Präsident der
Republik scheint in diese Oper verliebt zu sein, wenigstens besuchte er sie die
beiden ersten Male. Man glaubt diese Vorliebe dem Umstände zuschreiben zu
dürfen, daß dieser Tvnanfwand seinem schwerzugänglichen Trommelfelle angemessen
sei; -- Andere aber meinen, daß das Ballet der Bienen, die. bekanntlich kaiser¬
liche Thiere sind, der Hauptgrund seines Wohlgefallens an Halvvy's Musik sei.
Louis Bonaparte steht sich nicht durch die reizende und musikalisch originelle Be¬
gleitung angezogen, ihn reizen die Begleiterinnen. Er hat anch recht warm ap-
Plandirt, und die kleinen Bienenköniginnen verneigten sich vor der Loge des Staats¬
oberhauptes so anmuthig, mit so heransfordender Coquetterie, als ob wir schon
über die Krönung hinaus und die Bienen bereits als die officiellen Hausthiere
Frankreichs zu betrachten wären. .-^ xropos, die Polizei will die Verbreiter fal-


eigen haben. Die Musik dazu ist ganz gleichgültig; es kann immer dieselbe bleiben.
Die ersten zehn Male hört ohnehin kein Mensch auf Halvvy oder Meyerbeer.
Bei Letzterem ist es ohnehin schon Mode geworden, ihn blos zum achten Male
zu verstehen, und um sich die Geschichte leichter zu machen, ist es natürlich, wenn
die Leute erst beim achten Male anfangen zuzuhören. Halvvy scheint seinerseits
Aehnliches gefürchtet zu haben, denn er hat einen solchen Spectakel contrapunk-
tirt, daß selbst der arme Beethoven bedauert haben würde, nicht genug taub zu
sein. Fast möchte ich der Meinung sein, man werfe dem Juden nicht ohne Un¬
recht vor, zu viel Lärm zu machen. Von Halvvy's ewigem Juden und Sax'
ewigen JudenpvsauneU gilt das jedenfalls. Der hört auf Mustk — fast hätte
ich gesagt musikalisch — zu sein. Das Orchester rast, die Choristen schreien —
Sax schmettert — aber nur selten wird gesungen. Wenn man uns schon kein
musikalisches Drama, keine musikalische Tragödie giebt, so laßt uns doch wenig¬
stens unsere guten, unschuldigen Italiener, die unsren Ohren den Hof machen,
wie ein galanter Troubadour seiner Geliebten. Aber keine Melodie und keine dra¬
matische Intention, blos babylonischer Spectakel, um den Decorationen als
Staffage zu dienen, das scheint mir denn doch nicht die Ausgabe der Musik sein
zu sollen. Wenn das so fort geht, sehe ich gar nicht ein, warum die Maschi¬
nisten nicht vor Allem ihren Namen auf den Zettel setzen lassen, und warum sie
nicht von den Compositeuren verlangen sollten, daß diese sich auf die ohnehin im¬
mer länger werdenden Zwischenacte beschränken. Halvvy hat ohnehin so wenig
als möglich Melodien gemacht, und wenn wir auch manche Arie aufzuzählen
hätten, melodische Nummern enthält die neue Oper nur wenige. Mir that es
nur leid um die Debütantin Emmy La Grua, die blos in einer einzigen Scene
(dem erwähnten Liebesduo) so recht musikalisch zu Worte kommen kann. Sie hat
aber auch diese Gelegenheit, ihre reizende Stimme und ihr seltnes dramatisches
Talent zu zeigen, reichlich benutzt, und trotz ihrer undankbaren Partie doch allgemein
angesprochen. Fräulein La Grua wurde gerufen, so wie die meisten der Haupt-
vvrstellcr,- welche auch in der That das Mögliche leisteten. Der Präsident der
Republik scheint in diese Oper verliebt zu sein, wenigstens besuchte er sie die
beiden ersten Male. Man glaubt diese Vorliebe dem Umstände zuschreiben zu
dürfen, daß dieser Tvnanfwand seinem schwerzugänglichen Trommelfelle angemessen
sei; — Andere aber meinen, daß das Ballet der Bienen, die. bekanntlich kaiser¬
liche Thiere sind, der Hauptgrund seines Wohlgefallens an Halvvy's Musik sei.
Louis Bonaparte steht sich nicht durch die reizende und musikalisch originelle Be¬
gleitung angezogen, ihn reizen die Begleiterinnen. Er hat anch recht warm ap-
Plandirt, und die kleinen Bienenköniginnen verneigten sich vor der Loge des Staats¬
oberhauptes so anmuthig, mit so heransfordender Coquetterie, als ob wir schon
über die Krönung hinaus und die Bienen bereits als die officiellen Hausthiere
Frankreichs zu betrachten wären. .-^ xropos, die Polizei will die Verbreiter fal-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/321>, abgerufen am 25.07.2024.