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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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Der Saal für nordische Alterthümer im neuen
Museum zu Berlin.

Im Erdgeschosse des neuen Museums gehört der linke Flügel dem ägyptischen
Museum, der rechte der ethnographischen Sammlung und den nordischen Alter¬
thümern. Der Raum für die letzteren ist ein in der Fayade belegener länglicher
Saal, dessen flach gewölbte Decke von zwei Reihen freistehender dorischer Säulen
getragen wird. Die beiden Schmalseiten sind von Thüren durchbrochen, jede der
beiden Langseiten durch vier Fenster. Noch ist der Saal leer, aber die stereochro¬
nische Wandmalerei arbeitet seiner Bestimmung vor, indem sie in einem Cyklus
von Gemälden eine zusammenhängende Darstellung der deutschen Göttermythe
schafft. Je weniger die Anschauung für diese Aufgabe Vorbilder zu finden ver¬
mochte, je mehr die Phantasie hier darauf angewiesen war, nicht anschaubaren
Ueberlieferungen, sondern den Ergebnissen wissenschaftlicher Forschung künstlerische
Gestalt zu geben, um so mehr Anerkennung verdienen die Ideen und Entwürfe,
welche der Maler Robert Müller von Göttingen für diesen Zweck angab,
zeichnete und gruppirte. Wenn auch die Maler Gustav Richter und Heiden¬
reich, welche die Ausführung in Farben mit Jenem theilen, Einzelnheiten in
der Komposition mögen geändert haben, so bleibt doch das Verdienst des Stu¬
diums und Verständnisses, wie der ersten künstlerischen Belebung der deutschen
Göttermythe, dem Göttinger Müller. Wir wollen deshalb gern in den Kauf
nehmen, daß seine malerischen Fähigkeiten denen seiner Berliner Genossen nach-,
stehen, daß namentlich sein trockenes Kolorit sich neben her frischen, warmen
Färbung Richter's etwas unlebendig ausnimmt. Die Eigentlichen unter den
antiquarisch Gesinnten ziehen sogar die Starrheit und Trockenheit seiner mythischen
Gestalten dem schönen Scheine wirklicher Existenz vor, welcher das Auge an den
Bildern Heidenreich's und Richter's erfreut.

Der Cyklus beginnt an der dreifach getheilten innern Schmalseite, durch
deren Mittelnische man in die ethnographische Sammlung gelangt. Der von den
Thüren und Nischen freibleibende Obertheil der Wand ist, der untern Anordnung
entsprechend, in drei längliche Felder abgetheilt, deren jedes eine malerische Dar¬
stellung in sich aufnehmen wird. Die Arbeiten dazu werden jetzt, nachdem der
übrige Bilderschmuck des Saales vollendet ist, in Angriff genommen. Im
ersten Felde soll die Geburt des Bösen oder der bösen Götter ihre Stelle finden,
im zweiten die Erschaffung der Welt, im dritten die Geburt des Guten oder der
arten Götter. Dann folgen die Gemälde an der linken Langwand, wo sie, wie
gegenüber, zu beiden Seiten der obern Fcnsterhälfte und über dem Fenster an¬
gebracht wurden, und den obern Theil der von den Fenstern gebildeten, durch


Der Saal für nordische Alterthümer im neuen
Museum zu Berlin.

Im Erdgeschosse des neuen Museums gehört der linke Flügel dem ägyptischen
Museum, der rechte der ethnographischen Sammlung und den nordischen Alter¬
thümern. Der Raum für die letzteren ist ein in der Fayade belegener länglicher
Saal, dessen flach gewölbte Decke von zwei Reihen freistehender dorischer Säulen
getragen wird. Die beiden Schmalseiten sind von Thüren durchbrochen, jede der
beiden Langseiten durch vier Fenster. Noch ist der Saal leer, aber die stereochro¬
nische Wandmalerei arbeitet seiner Bestimmung vor, indem sie in einem Cyklus
von Gemälden eine zusammenhängende Darstellung der deutschen Göttermythe
schafft. Je weniger die Anschauung für diese Aufgabe Vorbilder zu finden ver¬
mochte, je mehr die Phantasie hier darauf angewiesen war, nicht anschaubaren
Ueberlieferungen, sondern den Ergebnissen wissenschaftlicher Forschung künstlerische
Gestalt zu geben, um so mehr Anerkennung verdienen die Ideen und Entwürfe,
welche der Maler Robert Müller von Göttingen für diesen Zweck angab,
zeichnete und gruppirte. Wenn auch die Maler Gustav Richter und Heiden¬
reich, welche die Ausführung in Farben mit Jenem theilen, Einzelnheiten in
der Komposition mögen geändert haben, so bleibt doch das Verdienst des Stu¬
diums und Verständnisses, wie der ersten künstlerischen Belebung der deutschen
Göttermythe, dem Göttinger Müller. Wir wollen deshalb gern in den Kauf
nehmen, daß seine malerischen Fähigkeiten denen seiner Berliner Genossen nach-,
stehen, daß namentlich sein trockenes Kolorit sich neben her frischen, warmen
Färbung Richter's etwas unlebendig ausnimmt. Die Eigentlichen unter den
antiquarisch Gesinnten ziehen sogar die Starrheit und Trockenheit seiner mythischen
Gestalten dem schönen Scheine wirklicher Existenz vor, welcher das Auge an den
Bildern Heidenreich's und Richter's erfreut.

Der Cyklus beginnt an der dreifach getheilten innern Schmalseite, durch
deren Mittelnische man in die ethnographische Sammlung gelangt. Der von den
Thüren und Nischen freibleibende Obertheil der Wand ist, der untern Anordnung
entsprechend, in drei längliche Felder abgetheilt, deren jedes eine malerische Dar¬
stellung in sich aufnehmen wird. Die Arbeiten dazu werden jetzt, nachdem der
übrige Bilderschmuck des Saales vollendet ist, in Angriff genommen. Im
ersten Felde soll die Geburt des Bösen oder der bösen Götter ihre Stelle finden,
im zweiten die Erschaffung der Welt, im dritten die Geburt des Guten oder der
arten Götter. Dann folgen die Gemälde an der linken Langwand, wo sie, wie
gegenüber, zu beiden Seiten der obern Fcnsterhälfte und über dem Fenster an¬
gebracht wurden, und den obern Theil der von den Fenstern gebildeten, durch


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[0305] Der Saal für nordische Alterthümer im neuen Museum zu Berlin. Im Erdgeschosse des neuen Museums gehört der linke Flügel dem ägyptischen Museum, der rechte der ethnographischen Sammlung und den nordischen Alter¬ thümern. Der Raum für die letzteren ist ein in der Fayade belegener länglicher Saal, dessen flach gewölbte Decke von zwei Reihen freistehender dorischer Säulen getragen wird. Die beiden Schmalseiten sind von Thüren durchbrochen, jede der beiden Langseiten durch vier Fenster. Noch ist der Saal leer, aber die stereochro¬ nische Wandmalerei arbeitet seiner Bestimmung vor, indem sie in einem Cyklus von Gemälden eine zusammenhängende Darstellung der deutschen Göttermythe schafft. Je weniger die Anschauung für diese Aufgabe Vorbilder zu finden ver¬ mochte, je mehr die Phantasie hier darauf angewiesen war, nicht anschaubaren Ueberlieferungen, sondern den Ergebnissen wissenschaftlicher Forschung künstlerische Gestalt zu geben, um so mehr Anerkennung verdienen die Ideen und Entwürfe, welche der Maler Robert Müller von Göttingen für diesen Zweck angab, zeichnete und gruppirte. Wenn auch die Maler Gustav Richter und Heiden¬ reich, welche die Ausführung in Farben mit Jenem theilen, Einzelnheiten in der Komposition mögen geändert haben, so bleibt doch das Verdienst des Stu¬ diums und Verständnisses, wie der ersten künstlerischen Belebung der deutschen Göttermythe, dem Göttinger Müller. Wir wollen deshalb gern in den Kauf nehmen, daß seine malerischen Fähigkeiten denen seiner Berliner Genossen nach-, stehen, daß namentlich sein trockenes Kolorit sich neben her frischen, warmen Färbung Richter's etwas unlebendig ausnimmt. Die Eigentlichen unter den antiquarisch Gesinnten ziehen sogar die Starrheit und Trockenheit seiner mythischen Gestalten dem schönen Scheine wirklicher Existenz vor, welcher das Auge an den Bildern Heidenreich's und Richter's erfreut. Der Cyklus beginnt an der dreifach getheilten innern Schmalseite, durch deren Mittelnische man in die ethnographische Sammlung gelangt. Der von den Thüren und Nischen freibleibende Obertheil der Wand ist, der untern Anordnung entsprechend, in drei längliche Felder abgetheilt, deren jedes eine malerische Dar¬ stellung in sich aufnehmen wird. Die Arbeiten dazu werden jetzt, nachdem der übrige Bilderschmuck des Saales vollendet ist, in Angriff genommen. Im ersten Felde soll die Geburt des Bösen oder der bösen Götter ihre Stelle finden, im zweiten die Erschaffung der Welt, im dritten die Geburt des Guten oder der arten Götter. Dann folgen die Gemälde an der linken Langwand, wo sie, wie gegenüber, zu beiden Seiten der obern Fcnsterhälfte und über dem Fenster an¬ gebracht wurden, und den obern Theil der von den Fenstern gebildeten, durch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/305>, abgerufen am 24.07.2024.