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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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daß der Idealismus aus Indien abzuleiten sei, und der Chor seiner Jünger
stimmte laut ein.

Indien hatten die Eroberungen der Engländer der Wißbegierde des Westens
zugänglich gemacht: Warren Hastings selbst hatte die Akademie von Calcutta ge¬
stiftet. Ein Mitglied derselben, William Jones, glaubte auf einige ähnlich
lautende Namen und verwandte Vorstellungen in den griechischen und indischen
Göttersagen die Behauptung gründen zu können: die einst in Griechenland und
Italien verehrten Gottheiten seien keine anderen als die indischen, aus Indien
nach Europa herübergekommenen. Franz Wilford (Artillerieofftcier in englische"!
Diensten, ein geborner Hannoveraner) führte in derselben vorgefaßten Meinung
diese Untersuchungen fort, und erklärte Aegypten für das Land, durch das die
Cultur des Ostens dem Westen mitgetheilt sei. In seiner Arglosigkeit war er
so unvorsichtig gewesen, den Brahmanen, dessen er sich beim Abschreiben und
Excerpiren indischer Handschriften bediente, in alle Details seiner Untersuchungen
einzuweihen, bis er uach vollendetem Druck seiner Abhandlungen die Entdeckung
machte, daß der Hindu ihn hintergangen, und Alles, was Wilford zu finde" wünschte,
in die Texte hineingetragen hatte. Mit ehrenwerther Aufrichtigkeit gestand dies
Wilford selbst öffentlich (180S). War die wissenschaftliche Bildung dieser beiden
Männer eine durchaus dilettantische, so gingen dem dritten Verbreiter der indisch¬
griechischen Urreligion, dem französischen Obersten Polier vollends alle Kennt¬
nisse ab, und ganz ohne Urtheil compilirte er ein Buch, das eine Verwandte,
die Stiftsdame Polier, in dialogische Form brachte (1a mMoloxis ass Inäous 1809).
Sie war so begeistert für ig, mMoIoAis ach Inclous, erzählt I. H. Voß, daß
sie zwei Schoßhündchen Schiwa und Wischnu nannte. -- Um die absolute Un¬
möglichkeit dieser Ableitung der griechischen Religion aus Indien zu zeigen, genügt
für jeden Unbefangenen die Erinnerung, daß zu Homer's Zeit, als die griechi¬
sche Religion sich in ihren Hauptsormen bereits befestigt hatte, sie Spuren ägyp¬
tischen Einflusses noch gar nicht trägt, und daß die Spuren des indischen durch¬
aus jünger sind, als Alexander's Eroberungen jm Asten. Dieses große Welt-
ereigniß, das so unermeßliche Wirkungen auf Denk- und Anschauungsweise der
folgenden Zeiten übte, gab auch der theologischen Speculation der Griechen zuerst
die Richtung nach Osten, und bei ihrer Sucht, in fremden Religionen die eigene
wiederzuerkennen, entschlossen sie sich leicht zu der Fiction einer von Osten nach
Westen überlieferten Offenbarung.

Aber diese und andere unbequeme Thatsachen konnten denen nicht im Wege
stehen, welche die Wahrheit der indisch-griechischen Urreligion als unumstößlich a priori
angenommen hatten, und um jeden Preis zu behaupten entschlossen waren. Den
von Fr. Schlegel und Schelling gewiesenen Weg betraten ziemlich gleichzeitig
Görres und Creuzer, Görres, der noch 1798 und 99 im extremsten jakobi¬
nischen Sinne geschrieben hatte, trat in seiner asiatischen Mythengeschichte


daß der Idealismus aus Indien abzuleiten sei, und der Chor seiner Jünger
stimmte laut ein.

Indien hatten die Eroberungen der Engländer der Wißbegierde des Westens
zugänglich gemacht: Warren Hastings selbst hatte die Akademie von Calcutta ge¬
stiftet. Ein Mitglied derselben, William Jones, glaubte auf einige ähnlich
lautende Namen und verwandte Vorstellungen in den griechischen und indischen
Göttersagen die Behauptung gründen zu können: die einst in Griechenland und
Italien verehrten Gottheiten seien keine anderen als die indischen, aus Indien
nach Europa herübergekommenen. Franz Wilford (Artillerieofftcier in englische»!
Diensten, ein geborner Hannoveraner) führte in derselben vorgefaßten Meinung
diese Untersuchungen fort, und erklärte Aegypten für das Land, durch das die
Cultur des Ostens dem Westen mitgetheilt sei. In seiner Arglosigkeit war er
so unvorsichtig gewesen, den Brahmanen, dessen er sich beim Abschreiben und
Excerpiren indischer Handschriften bediente, in alle Details seiner Untersuchungen
einzuweihen, bis er uach vollendetem Druck seiner Abhandlungen die Entdeckung
machte, daß der Hindu ihn hintergangen, und Alles, was Wilford zu finde» wünschte,
in die Texte hineingetragen hatte. Mit ehrenwerther Aufrichtigkeit gestand dies
Wilford selbst öffentlich (180S). War die wissenschaftliche Bildung dieser beiden
Männer eine durchaus dilettantische, so gingen dem dritten Verbreiter der indisch¬
griechischen Urreligion, dem französischen Obersten Polier vollends alle Kennt¬
nisse ab, und ganz ohne Urtheil compilirte er ein Buch, das eine Verwandte,
die Stiftsdame Polier, in dialogische Form brachte (1a mMoloxis ass Inäous 1809).
Sie war so begeistert für ig, mMoIoAis ach Inclous, erzählt I. H. Voß, daß
sie zwei Schoßhündchen Schiwa und Wischnu nannte. — Um die absolute Un¬
möglichkeit dieser Ableitung der griechischen Religion aus Indien zu zeigen, genügt
für jeden Unbefangenen die Erinnerung, daß zu Homer's Zeit, als die griechi¬
sche Religion sich in ihren Hauptsormen bereits befestigt hatte, sie Spuren ägyp¬
tischen Einflusses noch gar nicht trägt, und daß die Spuren des indischen durch¬
aus jünger sind, als Alexander's Eroberungen jm Asten. Dieses große Welt-
ereigniß, das so unermeßliche Wirkungen auf Denk- und Anschauungsweise der
folgenden Zeiten übte, gab auch der theologischen Speculation der Griechen zuerst
die Richtung nach Osten, und bei ihrer Sucht, in fremden Religionen die eigene
wiederzuerkennen, entschlossen sie sich leicht zu der Fiction einer von Osten nach
Westen überlieferten Offenbarung.

Aber diese und andere unbequeme Thatsachen konnten denen nicht im Wege
stehen, welche die Wahrheit der indisch-griechischen Urreligion als unumstößlich a priori
angenommen hatten, und um jeden Preis zu behaupten entschlossen waren. Den
von Fr. Schlegel und Schelling gewiesenen Weg betraten ziemlich gleichzeitig
Görres und Creuzer, Görres, der noch 1798 und 99 im extremsten jakobi¬
nischen Sinne geschrieben hatte, trat in seiner asiatischen Mythengeschichte


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[0294] daß der Idealismus aus Indien abzuleiten sei, und der Chor seiner Jünger stimmte laut ein. Indien hatten die Eroberungen der Engländer der Wißbegierde des Westens zugänglich gemacht: Warren Hastings selbst hatte die Akademie von Calcutta ge¬ stiftet. Ein Mitglied derselben, William Jones, glaubte auf einige ähnlich lautende Namen und verwandte Vorstellungen in den griechischen und indischen Göttersagen die Behauptung gründen zu können: die einst in Griechenland und Italien verehrten Gottheiten seien keine anderen als die indischen, aus Indien nach Europa herübergekommenen. Franz Wilford (Artillerieofftcier in englische»! Diensten, ein geborner Hannoveraner) führte in derselben vorgefaßten Meinung diese Untersuchungen fort, und erklärte Aegypten für das Land, durch das die Cultur des Ostens dem Westen mitgetheilt sei. In seiner Arglosigkeit war er so unvorsichtig gewesen, den Brahmanen, dessen er sich beim Abschreiben und Excerpiren indischer Handschriften bediente, in alle Details seiner Untersuchungen einzuweihen, bis er uach vollendetem Druck seiner Abhandlungen die Entdeckung machte, daß der Hindu ihn hintergangen, und Alles, was Wilford zu finde» wünschte, in die Texte hineingetragen hatte. Mit ehrenwerther Aufrichtigkeit gestand dies Wilford selbst öffentlich (180S). War die wissenschaftliche Bildung dieser beiden Männer eine durchaus dilettantische, so gingen dem dritten Verbreiter der indisch¬ griechischen Urreligion, dem französischen Obersten Polier vollends alle Kennt¬ nisse ab, und ganz ohne Urtheil compilirte er ein Buch, das eine Verwandte, die Stiftsdame Polier, in dialogische Form brachte (1a mMoloxis ass Inäous 1809). Sie war so begeistert für ig, mMoIoAis ach Inclous, erzählt I. H. Voß, daß sie zwei Schoßhündchen Schiwa und Wischnu nannte. — Um die absolute Un¬ möglichkeit dieser Ableitung der griechischen Religion aus Indien zu zeigen, genügt für jeden Unbefangenen die Erinnerung, daß zu Homer's Zeit, als die griechi¬ sche Religion sich in ihren Hauptsormen bereits befestigt hatte, sie Spuren ägyp¬ tischen Einflusses noch gar nicht trägt, und daß die Spuren des indischen durch¬ aus jünger sind, als Alexander's Eroberungen jm Asten. Dieses große Welt- ereigniß, das so unermeßliche Wirkungen auf Denk- und Anschauungsweise der folgenden Zeiten übte, gab auch der theologischen Speculation der Griechen zuerst die Richtung nach Osten, und bei ihrer Sucht, in fremden Religionen die eigene wiederzuerkennen, entschlossen sie sich leicht zu der Fiction einer von Osten nach Westen überlieferten Offenbarung. Aber diese und andere unbequeme Thatsachen konnten denen nicht im Wege stehen, welche die Wahrheit der indisch-griechischen Urreligion als unumstößlich a priori angenommen hatten, und um jeden Preis zu behaupten entschlossen waren. Den von Fr. Schlegel und Schelling gewiesenen Weg betraten ziemlich gleichzeitig Görres und Creuzer, Görres, der noch 1798 und 99 im extremsten jakobi¬ nischen Sinne geschrieben hatte, trat in seiner asiatischen Mythengeschichte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/294>, abgerufen am 24.07.2024.