Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.Uebersetzungen von Goethe's und Bettina's Briefen u. s. w., sie ist aber Wer für die geheimen Fäden, welche das Denken und Empfinden der ver¬ Uebersetzungen von Goethe's und Bettina's Briefen u. s. w., sie ist aber Wer für die geheimen Fäden, welche das Denken und Empfinden der ver¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0282" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/94183"/> <p xml:id="ID_762" prev="#ID_761"> Uebersetzungen von Goethe's und Bettina's Briefen u. s. w., sie ist aber<lb/> vorzugsweise wichtig durch den persönlichen Einfluß, den sie besonders in<lb/> den Jahren 1839 — 1844 in ihren literarischen Cirkeln auf die Koryphäen der<lb/> amerikanischen Literatur ausgeübt hat. Von ihren Anhängern als Prophetin<lb/> verehrt, suchte sie die Vorzüge einer Dame von Welt mit den Inspirationen einer<lb/> Sibylle zu vereinigen. In ihrer äußern Stellung erinnert sie am meisten ein<lb/> die Dichterin der Corinna, ihr geistiges Wesen aber dürfte unsrer Rahel am nächsten<lb/> stehen, nur daß sie mit ihren kühnen und zum Theil überraschenden Paradozien<lb/> mehr in die Oeffentlichkeit heraustrat. Die Schule, als deren Haupt wir sie<lb/> betrachten können, und zu welcher außer dem schon genannten Philosophen Emer¬<lb/> son, dem Freunde und Gleichgesinnten Carlyle's, unter Andern auch der bekannte<lb/> Dichter Nathanael Hawthorue gehört, hat sich zum Zweck gesetzt, die eingeschränkte<lb/> Sittlichkeit und den geistlosen Materialismus, der bisher in der neuen Welt ge¬<lb/> herrscht hat, durch Einführung der transscendentalen, spiritualistischen Denkweise<lb/> des jungen Europa zu brechen. Wir finden in ihren Ansichten jene Mischung<lb/> von Glaubeustrieb und Zweifelsucht, von Hingebung und Hochmuth, von Auf¬<lb/> klärung und Aberglauben, von Andacht und Ironie, die seit Byron, Heine und<lb/> G. Sand für unser Denken und Empfinden charakteristisch ist. Sie hatte einen<lb/> halb männlichen, herrschsüchtigen Geist, der in mancher Beziehung dem Bilde<lb/> nahe kommt, welches sich G. Sand in ihrer Lelia gemacht hat. Sie übte, eine<lb/> unbegrenzte Herrschaft aus über Alle, die in ihre Nähe kamen, und erreichte das<lb/> Ideal der Frauenemancipation, das in einer größern Ausdehnung unmöglich ist,<lb/> wenigstens für sich selbst. Nachdem sie 1840 in Boston mit ihren Freunden<lb/> Emerson, Parker, Dana, Chanuiug und George Ridley das Journalvial ge¬<lb/> stiftet hatte, an welches sich eine Art von christlich-socialistischer Gemeinschaft an¬<lb/> schloß, um die Principien der Schule zu vertreten, wurde sie 1844 nach New-<lb/> Uork berufen, um die dort erscheinende Iribnris zu redigiren. 1846 begab sie<lb/> sich mit einigen Freunden auf die europäische Tour, besuchte Frankreich und Eng¬<lb/> land, lernte G. ^Sand und Carlyle kennen, ohne von ihnen vollständig befriedigt<lb/> zu werden, und siedelte sich endlich in Italien an, wo sie sich mit dem jungen<lb/> Marquis vou Ossoli verheirathete. An diesem scheint sie das Ideal gefunden zu<lb/> haben, das ihr vorschwebte, nicht das gewöhnliche Ideal der Frauen, einen starken,<lb/> männlichen Charakter, sondern eine weiche Empfänglichkeit, die sie bestimmen und<lb/> beherrschen konnte. Im Jahre 1830 reiste sie mit ihrem Gemahl, der wegen<lb/> seiner Theilnahme an den politischen Ereignissen geächtet war, nach Amerika zu¬<lb/> rück. Ganz in der Nähe von New-Uork strandete das Schiff, und Beide<lb/> kamen um.</p><lb/> <p xml:id="ID_763" next="#ID_764"> Wer für die geheimen Fäden, welche das Denken und Empfinden der ver¬<lb/> schiedenen Völker mit einander in Verbindung setzen, Sinn hat, wird aus diesen<lb/> Memoiren eine reiche Belehrung schöpfen. — Sie legen ein Zeugniß ab für das</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0282]
Uebersetzungen von Goethe's und Bettina's Briefen u. s. w., sie ist aber
vorzugsweise wichtig durch den persönlichen Einfluß, den sie besonders in
den Jahren 1839 — 1844 in ihren literarischen Cirkeln auf die Koryphäen der
amerikanischen Literatur ausgeübt hat. Von ihren Anhängern als Prophetin
verehrt, suchte sie die Vorzüge einer Dame von Welt mit den Inspirationen einer
Sibylle zu vereinigen. In ihrer äußern Stellung erinnert sie am meisten ein
die Dichterin der Corinna, ihr geistiges Wesen aber dürfte unsrer Rahel am nächsten
stehen, nur daß sie mit ihren kühnen und zum Theil überraschenden Paradozien
mehr in die Oeffentlichkeit heraustrat. Die Schule, als deren Haupt wir sie
betrachten können, und zu welcher außer dem schon genannten Philosophen Emer¬
son, dem Freunde und Gleichgesinnten Carlyle's, unter Andern auch der bekannte
Dichter Nathanael Hawthorue gehört, hat sich zum Zweck gesetzt, die eingeschränkte
Sittlichkeit und den geistlosen Materialismus, der bisher in der neuen Welt ge¬
herrscht hat, durch Einführung der transscendentalen, spiritualistischen Denkweise
des jungen Europa zu brechen. Wir finden in ihren Ansichten jene Mischung
von Glaubeustrieb und Zweifelsucht, von Hingebung und Hochmuth, von Auf¬
klärung und Aberglauben, von Andacht und Ironie, die seit Byron, Heine und
G. Sand für unser Denken und Empfinden charakteristisch ist. Sie hatte einen
halb männlichen, herrschsüchtigen Geist, der in mancher Beziehung dem Bilde
nahe kommt, welches sich G. Sand in ihrer Lelia gemacht hat. Sie übte, eine
unbegrenzte Herrschaft aus über Alle, die in ihre Nähe kamen, und erreichte das
Ideal der Frauenemancipation, das in einer größern Ausdehnung unmöglich ist,
wenigstens für sich selbst. Nachdem sie 1840 in Boston mit ihren Freunden
Emerson, Parker, Dana, Chanuiug und George Ridley das Journalvial ge¬
stiftet hatte, an welches sich eine Art von christlich-socialistischer Gemeinschaft an¬
schloß, um die Principien der Schule zu vertreten, wurde sie 1844 nach New-
Uork berufen, um die dort erscheinende Iribnris zu redigiren. 1846 begab sie
sich mit einigen Freunden auf die europäische Tour, besuchte Frankreich und Eng¬
land, lernte G. ^Sand und Carlyle kennen, ohne von ihnen vollständig befriedigt
zu werden, und siedelte sich endlich in Italien an, wo sie sich mit dem jungen
Marquis vou Ossoli verheirathete. An diesem scheint sie das Ideal gefunden zu
haben, das ihr vorschwebte, nicht das gewöhnliche Ideal der Frauen, einen starken,
männlichen Charakter, sondern eine weiche Empfänglichkeit, die sie bestimmen und
beherrschen konnte. Im Jahre 1830 reiste sie mit ihrem Gemahl, der wegen
seiner Theilnahme an den politischen Ereignissen geächtet war, nach Amerika zu¬
rück. Ganz in der Nähe von New-Uork strandete das Schiff, und Beide
kamen um.
Wer für die geheimen Fäden, welche das Denken und Empfinden der ver¬
schiedenen Völker mit einander in Verbindung setzen, Sinn hat, wird aus diesen
Memoiren eine reiche Belehrung schöpfen. — Sie legen ein Zeugniß ab für das
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |