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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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wie uns bedünken will, ist das Portrait nicht lebend genug und zu gelockt. Ein
polnischer Maler, Rodnkowski, hat den General Dembinski in ungarischer Ge-
neralsuniform unter seinem improvisieren Kriegszelte dargestellt. Der Maler hat
in dem lebensgroßen Bilde ans den martialischen Zügen und der kräftigen impo-
nirenden Gestalt viel Vortheil zu ziehen gewußt, und sich als sehr begabt er¬
wiesen. Das Publicum pflegt auch, vor den Portraits von Dnlief Sohn mit
Entzücken zu weilen, weil die theatralischen Stellungen, der glänzende Firniß der
Farbe, die coqnette effcctvolle Anordnung der Gewänder dem Geschmacke der
französischen Majorität, namentlich des schönen Geschlechtes, sehr zusagen. Dnlief
mag sich anch trösten, denn wenn er nie ein unsterblicher Maler wird, so kann
er doch ein steinreicher Mann werden, und das ist anch nicht zu verachten. Von
Coruna, dem Maler der römischen Orgie, welche vor einigen Jahren eben so
viel Aufsehen gemacht als Ponsard's Lucrezia, sehen wir einige Stndienköpse, die
viele Vorzüge besitzen. Besonders fiel uns eine junge Zigeunerin ans, die von
sprechender Wirkung ist. Doch finden wir die Hintergründe und oft auch die
Malerei der Köpfe zu sehr gefleckt, was eine gräuliche Wirkung macht. Dieser
Vorwurf trifft auch einen der vorzüglichsten der jungen Portraitmaler, Herrn
Chaplin. Dieser scheint uns seit vorigem Jahre keine Fortschritte gemacht zu
haben, doch gehört sein Portrait vom Schriftsteller Francisque Wey zu den
besseren des Salons. Der brutale, vielleicht etwas gemeine Charakter, der sich
in diesem Kopfe ausspricht, ist, so gut es geht, mit viel Geschick gemildert
worden, und der Bau dieser Gestalt, so wie Attitüde siud ziemlich gelungen, doch
scheint mir die Gesichtsfarbe stellenweise conventionell.

Die Besprechung der Landschaften beginne ich mit Courbet, der diesmal seine
Vaterstadt Ornans begraben wollte, so wie er vergangenes Jahr irgend einen
ruhigen Bourgeois der ^rariLdsenmiL im Salon begrabe" ließ. Die Landschaft,
die heute unsre Blicke auf sich zieht, bestärkt mich in meinem Urtheile, das ich
vergangenes Jahr über diesen Künstler gefällt. Courbet ist Realist bis zur Ironie.
Mau kauu sich nichts Unerquicklicheres, Gemeineres denken, als diese kahle Land¬
schaft, diesen traurigen Anhang, diese mageren kleinen Kühe, diesen abscheulichen
Spitzhnnd, nichts weniger Malerisches, als diese Kleinstädterinnen, die im vertrau¬
lichen Tratsch begriffen scheinen. Selbst das Gras ist mager und die grüne
Farbe der Landschaft traurig. Der kleine Bach, der von oben herabfließt, eng und
seicht, trostlos. Diese Landschaft ist also unschön; sie macht einen widerwärtigen Ein¬
druck, und doch muß man sich sagen, daß der Maler, der das gemacht, ein be¬
deutendes Talent sei. Er dringt uns seine Anschauung wider unsren Willen,
er Wingt uns diese unschöne Natur auf, und wir können ihm nicht einmal vor¬
werfen, unwahr gewesen sein. Die Wirklichkeit ist so gut nachgeahmt, daß man
diesem an und sür sich unpoetischen Realismus sogar eine Art von Poesie nicht
absprechen kauu. An dieser Stelle wollen wir anch der meisterhaften Ansicht


wie uns bedünken will, ist das Portrait nicht lebend genug und zu gelockt. Ein
polnischer Maler, Rodnkowski, hat den General Dembinski in ungarischer Ge-
neralsuniform unter seinem improvisieren Kriegszelte dargestellt. Der Maler hat
in dem lebensgroßen Bilde ans den martialischen Zügen und der kräftigen impo-
nirenden Gestalt viel Vortheil zu ziehen gewußt, und sich als sehr begabt er¬
wiesen. Das Publicum pflegt auch, vor den Portraits von Dnlief Sohn mit
Entzücken zu weilen, weil die theatralischen Stellungen, der glänzende Firniß der
Farbe, die coqnette effcctvolle Anordnung der Gewänder dem Geschmacke der
französischen Majorität, namentlich des schönen Geschlechtes, sehr zusagen. Dnlief
mag sich anch trösten, denn wenn er nie ein unsterblicher Maler wird, so kann
er doch ein steinreicher Mann werden, und das ist anch nicht zu verachten. Von
Coruna, dem Maler der römischen Orgie, welche vor einigen Jahren eben so
viel Aufsehen gemacht als Ponsard's Lucrezia, sehen wir einige Stndienköpse, die
viele Vorzüge besitzen. Besonders fiel uns eine junge Zigeunerin ans, die von
sprechender Wirkung ist. Doch finden wir die Hintergründe und oft auch die
Malerei der Köpfe zu sehr gefleckt, was eine gräuliche Wirkung macht. Dieser
Vorwurf trifft auch einen der vorzüglichsten der jungen Portraitmaler, Herrn
Chaplin. Dieser scheint uns seit vorigem Jahre keine Fortschritte gemacht zu
haben, doch gehört sein Portrait vom Schriftsteller Francisque Wey zu den
besseren des Salons. Der brutale, vielleicht etwas gemeine Charakter, der sich
in diesem Kopfe ausspricht, ist, so gut es geht, mit viel Geschick gemildert
worden, und der Bau dieser Gestalt, so wie Attitüde siud ziemlich gelungen, doch
scheint mir die Gesichtsfarbe stellenweise conventionell.

Die Besprechung der Landschaften beginne ich mit Courbet, der diesmal seine
Vaterstadt Ornans begraben wollte, so wie er vergangenes Jahr irgend einen
ruhigen Bourgeois der ^rariLdsenmiL im Salon begrabe» ließ. Die Landschaft,
die heute unsre Blicke auf sich zieht, bestärkt mich in meinem Urtheile, das ich
vergangenes Jahr über diesen Künstler gefällt. Courbet ist Realist bis zur Ironie.
Mau kauu sich nichts Unerquicklicheres, Gemeineres denken, als diese kahle Land¬
schaft, diesen traurigen Anhang, diese mageren kleinen Kühe, diesen abscheulichen
Spitzhnnd, nichts weniger Malerisches, als diese Kleinstädterinnen, die im vertrau¬
lichen Tratsch begriffen scheinen. Selbst das Gras ist mager und die grüne
Farbe der Landschaft traurig. Der kleine Bach, der von oben herabfließt, eng und
seicht, trostlos. Diese Landschaft ist also unschön; sie macht einen widerwärtigen Ein¬
druck, und doch muß man sich sagen, daß der Maler, der das gemacht, ein be¬
deutendes Talent sei. Er dringt uns seine Anschauung wider unsren Willen,
er Wingt uns diese unschöne Natur auf, und wir können ihm nicht einmal vor¬
werfen, unwahr gewesen sein. Die Wirklichkeit ist so gut nachgeahmt, daß man
diesem an und sür sich unpoetischen Realismus sogar eine Art von Poesie nicht
absprechen kauu. An dieser Stelle wollen wir anch der meisterhaften Ansicht


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[0264] wie uns bedünken will, ist das Portrait nicht lebend genug und zu gelockt. Ein polnischer Maler, Rodnkowski, hat den General Dembinski in ungarischer Ge- neralsuniform unter seinem improvisieren Kriegszelte dargestellt. Der Maler hat in dem lebensgroßen Bilde ans den martialischen Zügen und der kräftigen impo- nirenden Gestalt viel Vortheil zu ziehen gewußt, und sich als sehr begabt er¬ wiesen. Das Publicum pflegt auch, vor den Portraits von Dnlief Sohn mit Entzücken zu weilen, weil die theatralischen Stellungen, der glänzende Firniß der Farbe, die coqnette effcctvolle Anordnung der Gewänder dem Geschmacke der französischen Majorität, namentlich des schönen Geschlechtes, sehr zusagen. Dnlief mag sich anch trösten, denn wenn er nie ein unsterblicher Maler wird, so kann er doch ein steinreicher Mann werden, und das ist anch nicht zu verachten. Von Coruna, dem Maler der römischen Orgie, welche vor einigen Jahren eben so viel Aufsehen gemacht als Ponsard's Lucrezia, sehen wir einige Stndienköpse, die viele Vorzüge besitzen. Besonders fiel uns eine junge Zigeunerin ans, die von sprechender Wirkung ist. Doch finden wir die Hintergründe und oft auch die Malerei der Köpfe zu sehr gefleckt, was eine gräuliche Wirkung macht. Dieser Vorwurf trifft auch einen der vorzüglichsten der jungen Portraitmaler, Herrn Chaplin. Dieser scheint uns seit vorigem Jahre keine Fortschritte gemacht zu haben, doch gehört sein Portrait vom Schriftsteller Francisque Wey zu den besseren des Salons. Der brutale, vielleicht etwas gemeine Charakter, der sich in diesem Kopfe ausspricht, ist, so gut es geht, mit viel Geschick gemildert worden, und der Bau dieser Gestalt, so wie Attitüde siud ziemlich gelungen, doch scheint mir die Gesichtsfarbe stellenweise conventionell. Die Besprechung der Landschaften beginne ich mit Courbet, der diesmal seine Vaterstadt Ornans begraben wollte, so wie er vergangenes Jahr irgend einen ruhigen Bourgeois der ^rariLdsenmiL im Salon begrabe» ließ. Die Landschaft, die heute unsre Blicke auf sich zieht, bestärkt mich in meinem Urtheile, das ich vergangenes Jahr über diesen Künstler gefällt. Courbet ist Realist bis zur Ironie. Mau kauu sich nichts Unerquicklicheres, Gemeineres denken, als diese kahle Land¬ schaft, diesen traurigen Anhang, diese mageren kleinen Kühe, diesen abscheulichen Spitzhnnd, nichts weniger Malerisches, als diese Kleinstädterinnen, die im vertrau¬ lichen Tratsch begriffen scheinen. Selbst das Gras ist mager und die grüne Farbe der Landschaft traurig. Der kleine Bach, der von oben herabfließt, eng und seicht, trostlos. Diese Landschaft ist also unschön; sie macht einen widerwärtigen Ein¬ druck, und doch muß man sich sagen, daß der Maler, der das gemacht, ein be¬ deutendes Talent sei. Er dringt uns seine Anschauung wider unsren Willen, er Wingt uns diese unschöne Natur auf, und wir können ihm nicht einmal vor¬ werfen, unwahr gewesen sein. Die Wirklichkeit ist so gut nachgeahmt, daß man diesem an und sür sich unpoetischen Realismus sogar eine Art von Poesie nicht absprechen kauu. An dieser Stelle wollen wir anch der meisterhaften Ansicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/264>, abgerufen am 24.07.2024.