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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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den Millionen wie vergessene Schildwachen verlieren, so hat Napoleon von Klas¬
sen hauptsächlich nur den bessern Theil der Intelligenz und die mittlere Bour¬
geoisie gegen sich. Da der Gegensatz zwischen der Idee und dem Säbel, wie
auch Romicu bemerkt hat, unversöhnlich erscheint, so hat man, wie bekannt, in
rauher Weise Hand an die saftigsten Wurzeln der Intelligenz in Frankreich zu
legen begonnen. Der Besitz aber läßt sich nicht ausrotten, schon wegen der
Steuern nicht. Man hat überall die Meinung ausgesprochen, daß der ange¬
ordnete Verkauf, beziehungsweise die Confiscation der Güter des Orleansschen
Hauses, die besitzenden Klassen von Napoleon zurückstoßen werde. Es ist i>n
Gegentheil unsre Meinung, daß jene Maßregel ein Mittel ist, jene mit dem
neuen Gewaltherrscher zu verknüpfen.

Manche Thaten und Ereignisse der ersten französischen Revolution von 1789
haben ununterbrochen das effectvollste Interesse in den übrigen europäischen Län¬
dern erregt, obwol sie an durchgreifender Wichtigkeit und durch die Dauer ihrer
Wirkungen weit hinter anderen zurückstehen, die höchstens in zweiter Linie für
die Kenntnißnahme vorgeführt werden. 'Zu den eminentester Thatsachen gehört
die völlige Umwälzung der ökonomischen Verhältnisse, wie sie sich an die bekann¬
ten Beschlüsse, welche in der Nacht des 2i>. August gefaßt wurden, angeschlossen
hat. In jener hebt sich durch ihre Bedeutung für das ganze Land und die ganze
spätere Zeit eine Maßregel besonders hervor: der Verkauf der Nationalgüter
und des confiscirten Grundbesitzes von Privaten. Wir sehen hier ab von dem
wirtschaftlich so wichtigen Umstand, daß ein kolossaler Dominialbesitz und große
Privatgütercomplexe nun in vielen kleinen Parcellen an eine sehr große Zahl von
Privatbesitzern kam, wodurch eine starke Aenderung in dem Erträgnis) des Bo¬
dens und in der Vertheilung des Einkommens herbeigeführt wurde. Von da
ab waren aber die vielen Tausende, die irgend einen Theil der Nationalgüter
käuflich an sich gebracht hatten, ja alle diejenigen, durch deren Hände solche
Theile nur einmal gegangen waren, dnrch ein lebhaftes Eigeninteresse zur Auf¬
rechthaltung dieser That der Revolution angetrieben; sie mußten in jeder öffent¬
lichen Autorität einen persönlichen Feind erblicken, von welcher sie eine Restitution
der frühem Sachlage sich in Aussicht stellen konnten. Zu denen, welche die
Bourbonen und deren Gewalt haßten, kamen die Vielen, welche sie fürchteten,
hinzu, und die Furcht ist ein eben so starkes Motiv, als der Haß. Es war einer
der stärksten Grundpfeiler der Napoleonischen Herrschaft und selbst der Napoleoni-
schen Despotie, daß der Kaiser als der Schirmherr des revolutionairen Besitz¬
standes dastand. Als doch Napoleon fiel, hauptsächlich auch, weil er sich gegen
die allmählich erstarkten liberalen Ideen unzugänglich erwies, erhielten die restau-
rirten Bourbonen nach kurzer Zeit die harte Lehre der hundert Tage, zweifellos
auch insbesondere deswegen, weil sie den durch den Verkauf der National- und
der confiscirten Güter herbeigeführten Besitzstand anzutasten versucht hatten.


den Millionen wie vergessene Schildwachen verlieren, so hat Napoleon von Klas¬
sen hauptsächlich nur den bessern Theil der Intelligenz und die mittlere Bour¬
geoisie gegen sich. Da der Gegensatz zwischen der Idee und dem Säbel, wie
auch Romicu bemerkt hat, unversöhnlich erscheint, so hat man, wie bekannt, in
rauher Weise Hand an die saftigsten Wurzeln der Intelligenz in Frankreich zu
legen begonnen. Der Besitz aber läßt sich nicht ausrotten, schon wegen der
Steuern nicht. Man hat überall die Meinung ausgesprochen, daß der ange¬
ordnete Verkauf, beziehungsweise die Confiscation der Güter des Orleansschen
Hauses, die besitzenden Klassen von Napoleon zurückstoßen werde. Es ist i>n
Gegentheil unsre Meinung, daß jene Maßregel ein Mittel ist, jene mit dem
neuen Gewaltherrscher zu verknüpfen.

Manche Thaten und Ereignisse der ersten französischen Revolution von 1789
haben ununterbrochen das effectvollste Interesse in den übrigen europäischen Län¬
dern erregt, obwol sie an durchgreifender Wichtigkeit und durch die Dauer ihrer
Wirkungen weit hinter anderen zurückstehen, die höchstens in zweiter Linie für
die Kenntnißnahme vorgeführt werden. 'Zu den eminentester Thatsachen gehört
die völlige Umwälzung der ökonomischen Verhältnisse, wie sie sich an die bekann¬
ten Beschlüsse, welche in der Nacht des 2i>. August gefaßt wurden, angeschlossen
hat. In jener hebt sich durch ihre Bedeutung für das ganze Land und die ganze
spätere Zeit eine Maßregel besonders hervor: der Verkauf der Nationalgüter
und des confiscirten Grundbesitzes von Privaten. Wir sehen hier ab von dem
wirtschaftlich so wichtigen Umstand, daß ein kolossaler Dominialbesitz und große
Privatgütercomplexe nun in vielen kleinen Parcellen an eine sehr große Zahl von
Privatbesitzern kam, wodurch eine starke Aenderung in dem Erträgnis) des Bo¬
dens und in der Vertheilung des Einkommens herbeigeführt wurde. Von da
ab waren aber die vielen Tausende, die irgend einen Theil der Nationalgüter
käuflich an sich gebracht hatten, ja alle diejenigen, durch deren Hände solche
Theile nur einmal gegangen waren, dnrch ein lebhaftes Eigeninteresse zur Auf¬
rechthaltung dieser That der Revolution angetrieben; sie mußten in jeder öffent¬
lichen Autorität einen persönlichen Feind erblicken, von welcher sie eine Restitution
der frühem Sachlage sich in Aussicht stellen konnten. Zu denen, welche die
Bourbonen und deren Gewalt haßten, kamen die Vielen, welche sie fürchteten,
hinzu, und die Furcht ist ein eben so starkes Motiv, als der Haß. Es war einer
der stärksten Grundpfeiler der Napoleonischen Herrschaft und selbst der Napoleoni-
schen Despotie, daß der Kaiser als der Schirmherr des revolutionairen Besitz¬
standes dastand. Als doch Napoleon fiel, hauptsächlich auch, weil er sich gegen
die allmählich erstarkten liberalen Ideen unzugänglich erwies, erhielten die restau-
rirten Bourbonen nach kurzer Zeit die harte Lehre der hundert Tage, zweifellos
auch insbesondere deswegen, weil sie den durch den Verkauf der National- und
der confiscirten Güter herbeigeführten Besitzstand anzutasten versucht hatten.


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[0026] den Millionen wie vergessene Schildwachen verlieren, so hat Napoleon von Klas¬ sen hauptsächlich nur den bessern Theil der Intelligenz und die mittlere Bour¬ geoisie gegen sich. Da der Gegensatz zwischen der Idee und dem Säbel, wie auch Romicu bemerkt hat, unversöhnlich erscheint, so hat man, wie bekannt, in rauher Weise Hand an die saftigsten Wurzeln der Intelligenz in Frankreich zu legen begonnen. Der Besitz aber läßt sich nicht ausrotten, schon wegen der Steuern nicht. Man hat überall die Meinung ausgesprochen, daß der ange¬ ordnete Verkauf, beziehungsweise die Confiscation der Güter des Orleansschen Hauses, die besitzenden Klassen von Napoleon zurückstoßen werde. Es ist i>n Gegentheil unsre Meinung, daß jene Maßregel ein Mittel ist, jene mit dem neuen Gewaltherrscher zu verknüpfen. Manche Thaten und Ereignisse der ersten französischen Revolution von 1789 haben ununterbrochen das effectvollste Interesse in den übrigen europäischen Län¬ dern erregt, obwol sie an durchgreifender Wichtigkeit und durch die Dauer ihrer Wirkungen weit hinter anderen zurückstehen, die höchstens in zweiter Linie für die Kenntnißnahme vorgeführt werden. 'Zu den eminentester Thatsachen gehört die völlige Umwälzung der ökonomischen Verhältnisse, wie sie sich an die bekann¬ ten Beschlüsse, welche in der Nacht des 2i>. August gefaßt wurden, angeschlossen hat. In jener hebt sich durch ihre Bedeutung für das ganze Land und die ganze spätere Zeit eine Maßregel besonders hervor: der Verkauf der Nationalgüter und des confiscirten Grundbesitzes von Privaten. Wir sehen hier ab von dem wirtschaftlich so wichtigen Umstand, daß ein kolossaler Dominialbesitz und große Privatgütercomplexe nun in vielen kleinen Parcellen an eine sehr große Zahl von Privatbesitzern kam, wodurch eine starke Aenderung in dem Erträgnis) des Bo¬ dens und in der Vertheilung des Einkommens herbeigeführt wurde. Von da ab waren aber die vielen Tausende, die irgend einen Theil der Nationalgüter käuflich an sich gebracht hatten, ja alle diejenigen, durch deren Hände solche Theile nur einmal gegangen waren, dnrch ein lebhaftes Eigeninteresse zur Auf¬ rechthaltung dieser That der Revolution angetrieben; sie mußten in jeder öffent¬ lichen Autorität einen persönlichen Feind erblicken, von welcher sie eine Restitution der frühem Sachlage sich in Aussicht stellen konnten. Zu denen, welche die Bourbonen und deren Gewalt haßten, kamen die Vielen, welche sie fürchteten, hinzu, und die Furcht ist ein eben so starkes Motiv, als der Haß. Es war einer der stärksten Grundpfeiler der Napoleonischen Herrschaft und selbst der Napoleoni- schen Despotie, daß der Kaiser als der Schirmherr des revolutionairen Besitz¬ standes dastand. Als doch Napoleon fiel, hauptsächlich auch, weil er sich gegen die allmählich erstarkten liberalen Ideen unzugänglich erwies, erhielten die restau- rirten Bourbonen nach kurzer Zeit die harte Lehre der hundert Tage, zweifellos auch insbesondere deswegen, weil sie den durch den Verkauf der National- und der confiscirten Güter herbeigeführten Besitzstand anzutasten versucht hatten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/26>, abgerufen am 24.07.2024.