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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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Arthur Görgei.

Mein Leben und Wirken in Ungarn in den Jahren 18t8 und 18i?.
2 Bde. Leipzig, Brockhaus. ,

Von allen Schriften, welche bisher über den ungarischen Krieg erschienen
sind, dürsten diese Memoiren das Bedeutendste sein. Görgei war mehr als irgend
ein anderer seiner Mitfeldherren im Stande, eine genaue Exposition von den
Kriegsoperationen zu geben, nicht allein weil seine Stellung im Heer die ein¬
flußreichste war, sondern auch wegen seines überwiegenden, und wol ziemlich von
allen übrigen Generalen anerkannten Talents, und er hat sich in diesen Memoiren
bemüht, was er weiß, so klar und ausführlich mitzutheilen, als es überhaupt aus
der Erinnerung möglich ist.

Damit soll keineswegs gesagt sein, daß wir dieses Werk als eine untrügliche
Quelle betrachten könnten, im Gegentheil fordert uns der Ton und die Haltung
des Ganzen dringend aus, auf unsrer Hut zu sein. Schon von vorn herein war
Görgei als praktischer Militair der Phraseuwirthschaft, welche in Ungarn eben
so zur Herrschaft kam, als in Deutschland, so abhold als möglich. Wir können
diese Abneigung vollkommen versteh", denn wir haben sie von Anfang an getheilt.
Wenn Kossuth als Finanzminister in einer der ersten Sitzungen des Reichstags
ausrief, er wolle Geld schaffen, und wenn er es nicht im Himmel finde, so wolle
er es in der Hölle holen, und ähnliche Redensarten bei passender Gelegenheit
wiederholte, so können wir uns leicht erklären, daß ein Mann, der in praktischen
Beziehungen mit ihm zu thun hatte, und zwar in sehr ernsthaften Angelegen¬
heiten, sich zu beständigen Reibungen und endlich zu einem Widerwillen getrieben
sah, der ihn unfähig machte, die guten und selbst großen Eigenschaften des be¬
rühmten Agitators richtig zu würdigen. Fassen wir ferner die Verstimmung, welche
stets der üble Ausgang einer mit großem Eiser "erfochtenen Sache im Gemüth
zurück läßt, ins Auge, und die noch größere Erbitterung, die namentlich ein stol¬
zes Herz erfüllt, wenn es von unverdienter Schmach überhäuft wird, so kann uns
die gehässige Sprache, in der in diesen Denkwürdigkeiten fast über sämmtliche


Grenzboten. II. 3-1
Arthur Görgei.

Mein Leben und Wirken in Ungarn in den Jahren 18t8 und 18i?.
2 Bde. Leipzig, Brockhaus. ,

Von allen Schriften, welche bisher über den ungarischen Krieg erschienen
sind, dürsten diese Memoiren das Bedeutendste sein. Görgei war mehr als irgend
ein anderer seiner Mitfeldherren im Stande, eine genaue Exposition von den
Kriegsoperationen zu geben, nicht allein weil seine Stellung im Heer die ein¬
flußreichste war, sondern auch wegen seines überwiegenden, und wol ziemlich von
allen übrigen Generalen anerkannten Talents, und er hat sich in diesen Memoiren
bemüht, was er weiß, so klar und ausführlich mitzutheilen, als es überhaupt aus
der Erinnerung möglich ist.

Damit soll keineswegs gesagt sein, daß wir dieses Werk als eine untrügliche
Quelle betrachten könnten, im Gegentheil fordert uns der Ton und die Haltung
des Ganzen dringend aus, auf unsrer Hut zu sein. Schon von vorn herein war
Görgei als praktischer Militair der Phraseuwirthschaft, welche in Ungarn eben
so zur Herrschaft kam, als in Deutschland, so abhold als möglich. Wir können
diese Abneigung vollkommen versteh», denn wir haben sie von Anfang an getheilt.
Wenn Kossuth als Finanzminister in einer der ersten Sitzungen des Reichstags
ausrief, er wolle Geld schaffen, und wenn er es nicht im Himmel finde, so wolle
er es in der Hölle holen, und ähnliche Redensarten bei passender Gelegenheit
wiederholte, so können wir uns leicht erklären, daß ein Mann, der in praktischen
Beziehungen mit ihm zu thun hatte, und zwar in sehr ernsthaften Angelegen¬
heiten, sich zu beständigen Reibungen und endlich zu einem Widerwillen getrieben
sah, der ihn unfähig machte, die guten und selbst großen Eigenschaften des be¬
rühmten Agitators richtig zu würdigen. Fassen wir ferner die Verstimmung, welche
stets der üble Ausgang einer mit großem Eiser »erfochtenen Sache im Gemüth
zurück läßt, ins Auge, und die noch größere Erbitterung, die namentlich ein stol¬
zes Herz erfüllt, wenn es von unverdienter Schmach überhäuft wird, so kann uns
die gehässige Sprache, in der in diesen Denkwürdigkeiten fast über sämmtliche


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[0251] Arthur Görgei. Mein Leben und Wirken in Ungarn in den Jahren 18t8 und 18i?. 2 Bde. Leipzig, Brockhaus. , Von allen Schriften, welche bisher über den ungarischen Krieg erschienen sind, dürsten diese Memoiren das Bedeutendste sein. Görgei war mehr als irgend ein anderer seiner Mitfeldherren im Stande, eine genaue Exposition von den Kriegsoperationen zu geben, nicht allein weil seine Stellung im Heer die ein¬ flußreichste war, sondern auch wegen seines überwiegenden, und wol ziemlich von allen übrigen Generalen anerkannten Talents, und er hat sich in diesen Memoiren bemüht, was er weiß, so klar und ausführlich mitzutheilen, als es überhaupt aus der Erinnerung möglich ist. Damit soll keineswegs gesagt sein, daß wir dieses Werk als eine untrügliche Quelle betrachten könnten, im Gegentheil fordert uns der Ton und die Haltung des Ganzen dringend aus, auf unsrer Hut zu sein. Schon von vorn herein war Görgei als praktischer Militair der Phraseuwirthschaft, welche in Ungarn eben so zur Herrschaft kam, als in Deutschland, so abhold als möglich. Wir können diese Abneigung vollkommen versteh», denn wir haben sie von Anfang an getheilt. Wenn Kossuth als Finanzminister in einer der ersten Sitzungen des Reichstags ausrief, er wolle Geld schaffen, und wenn er es nicht im Himmel finde, so wolle er es in der Hölle holen, und ähnliche Redensarten bei passender Gelegenheit wiederholte, so können wir uns leicht erklären, daß ein Mann, der in praktischen Beziehungen mit ihm zu thun hatte, und zwar in sehr ernsthaften Angelegen¬ heiten, sich zu beständigen Reibungen und endlich zu einem Widerwillen getrieben sah, der ihn unfähig machte, die guten und selbst großen Eigenschaften des be¬ rühmten Agitators richtig zu würdigen. Fassen wir ferner die Verstimmung, welche stets der üble Ausgang einer mit großem Eiser »erfochtenen Sache im Gemüth zurück läßt, ins Auge, und die noch größere Erbitterung, die namentlich ein stol¬ zes Herz erfüllt, wenn es von unverdienter Schmach überhäuft wird, so kann uns die gehässige Sprache, in der in diesen Denkwürdigkeiten fast über sämmtliche Grenzboten. II. 3-1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/251>, abgerufen am 24.07.2024.