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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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ein guten Sängerinnen ist wirklich sehr groß, und die bescheidene Einnahme eines
Concertabends reicht ost kaum ans, um die hohen Ansprüche einer mir einiger¬
maßen renommirten Künstlerin zu befriedigen. Und entschließt, sich dann die
Direction zu solcher Aufopferung, ist der dem Kunstfreund daraus enspringende
Genuß wirklich ein so bedeutender? Diese Frage möchte sich kaum bejahen lassen.
Tritt anch der günstige Fall ein, daß der Sänger, sei es durch Schönheit des
Tons, durch große Fertigkeit, durch gediegenen musikalischen Vertrag den gehegten
Erwartungen entspricht, so stört meistens auf der andern Seite die schlechte Aus¬
wahl des vorzutragenden Stückes, das mit den classischen Orchesterwerken in
keiner harmonischen Uebereinstimmung steht. Unsre Literatur von Concertgesängen
ist dürstig. Die wenigen, zu diesem Zwecke taugenden und dafür ausdrücklich
geschaffenen Compositionen sind alt geworden und verbraucht. Die den Opern
entlehnten Arien und Ensembles erfüllen nnr zum geringen Theile die Ansprüche
des Concertsaales, und sind, namentlich die von Mozart und Weber, nicht minder
häufig gehört worden. Unter solchen Verhältnissen sind die Schwierigkeiten, gute
und übereinstimmende Concertprogramme aufzustellen, sehr groß; sie werden sich
nicht eher mindern, als bis wir uns dazu entschließen, alles Stückwerk aus dem
Programm zu entfernen, und die bunten Mnsterkarten zu beseitigen, die in ihrer
Zusammenstellung allen Anforderungen der Aesthetik Hohn sprechen. Wir haben
nach den Berliner Symphonieconcerten oft mit Neid geblickt, und wenn man auch
denselben den Vorwurf einer gewissen Einseitigkeit nicht erlassen darf, so muß man
wenigstens zugeben, daß dem vergnügungssüchtigen Dilettantismus in ihnen alle
Nahrung entzogen ist, und dem ernsthaften Kunstfreunde der Genuß des Schönen
uicht durch schlechte Späße verbittert wird. Auch die Städte des Rheins haben uus
in Aufstellung von besseren Programmen überflügelt; sie enthalten minder kleine
Stückchen, als die unsren, und verwenden im Gegentheil ihre Kräfte zur Auf¬
führung größerer Gesangwerke, die uns nur in geringerem Grade geboten werden.
Wir würden uus bescheiden, wenn die Mittel und Kräfte zu solcher ernsten Thä¬
tigkeit uicht vorhanden wären, allein der Beweis des Gegentheils läßt sich leicht
ans dem Gegebenen führen. Gehen wir hier nur auf das Eine näher ein, auf
die Leistungen unsrer, aus so trefflichen Kräften zusammengesetzten Singakademie.
Wir sind ihr ohne Zweifel zu großem Danke verpflichtet für die geleistete Hilfe
bei größeren Ensemblett in den Aufführungen des Gewandhauses. Allein die
Summe ihrer Thätigkeit steht in keinem Verhältnisse zu deu Kräften, und es
scheint zu wenig, wenn ein solches Institut in dem Laufe eines ganzen Jahres
nur zwei größere ganze Werke zur Aufführung bringt. Berlin kann uus hier
wieder als Muster gelten; die dortige Singakademie führt in jedem Jahre eine
Menge bedeutender Gesangswerke auf, und erfüllt so mit Ehren die Bestimmung,
welche ihr durch ihren vortrefflichen Stifter vorgezeichnet wurde. Vielleicht ändern
sich bei uns diese ungünstigen Verhältnisse, wenn Leipzig einst eine größere Stadt


Gr-nzbotm. II. 28

ein guten Sängerinnen ist wirklich sehr groß, und die bescheidene Einnahme eines
Concertabends reicht ost kaum ans, um die hohen Ansprüche einer mir einiger¬
maßen renommirten Künstlerin zu befriedigen. Und entschließt, sich dann die
Direction zu solcher Aufopferung, ist der dem Kunstfreund daraus enspringende
Genuß wirklich ein so bedeutender? Diese Frage möchte sich kaum bejahen lassen.
Tritt anch der günstige Fall ein, daß der Sänger, sei es durch Schönheit des
Tons, durch große Fertigkeit, durch gediegenen musikalischen Vertrag den gehegten
Erwartungen entspricht, so stört meistens auf der andern Seite die schlechte Aus¬
wahl des vorzutragenden Stückes, das mit den classischen Orchesterwerken in
keiner harmonischen Uebereinstimmung steht. Unsre Literatur von Concertgesängen
ist dürstig. Die wenigen, zu diesem Zwecke taugenden und dafür ausdrücklich
geschaffenen Compositionen sind alt geworden und verbraucht. Die den Opern
entlehnten Arien und Ensembles erfüllen nnr zum geringen Theile die Ansprüche
des Concertsaales, und sind, namentlich die von Mozart und Weber, nicht minder
häufig gehört worden. Unter solchen Verhältnissen sind die Schwierigkeiten, gute
und übereinstimmende Concertprogramme aufzustellen, sehr groß; sie werden sich
nicht eher mindern, als bis wir uns dazu entschließen, alles Stückwerk aus dem
Programm zu entfernen, und die bunten Mnsterkarten zu beseitigen, die in ihrer
Zusammenstellung allen Anforderungen der Aesthetik Hohn sprechen. Wir haben
nach den Berliner Symphonieconcerten oft mit Neid geblickt, und wenn man auch
denselben den Vorwurf einer gewissen Einseitigkeit nicht erlassen darf, so muß man
wenigstens zugeben, daß dem vergnügungssüchtigen Dilettantismus in ihnen alle
Nahrung entzogen ist, und dem ernsthaften Kunstfreunde der Genuß des Schönen
uicht durch schlechte Späße verbittert wird. Auch die Städte des Rheins haben uus
in Aufstellung von besseren Programmen überflügelt; sie enthalten minder kleine
Stückchen, als die unsren, und verwenden im Gegentheil ihre Kräfte zur Auf¬
führung größerer Gesangwerke, die uns nur in geringerem Grade geboten werden.
Wir würden uus bescheiden, wenn die Mittel und Kräfte zu solcher ernsten Thä¬
tigkeit uicht vorhanden wären, allein der Beweis des Gegentheils läßt sich leicht
ans dem Gegebenen führen. Gehen wir hier nur auf das Eine näher ein, auf
die Leistungen unsrer, aus so trefflichen Kräften zusammengesetzten Singakademie.
Wir sind ihr ohne Zweifel zu großem Danke verpflichtet für die geleistete Hilfe
bei größeren Ensemblett in den Aufführungen des Gewandhauses. Allein die
Summe ihrer Thätigkeit steht in keinem Verhältnisse zu deu Kräften, und es
scheint zu wenig, wenn ein solches Institut in dem Laufe eines ganzen Jahres
nur zwei größere ganze Werke zur Aufführung bringt. Berlin kann uus hier
wieder als Muster gelten; die dortige Singakademie führt in jedem Jahre eine
Menge bedeutender Gesangswerke auf, und erfüllt so mit Ehren die Bestimmung,
welche ihr durch ihren vortrefflichen Stifter vorgezeichnet wurde. Vielleicht ändern
sich bei uns diese ungünstigen Verhältnisse, wenn Leipzig einst eine größere Stadt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/227>, abgerufen am 24.07.2024.