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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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strebt, sondern sich im traurigen, leeren Gefühl der Ungewißheit und Unsicherheit
befriedigt.

Indem wir nun zu denjenigen Werken übergehen, die ganz in die jung-
deutsche Richtung gehören, und die einen viel größern Einfluß ausgeübt haben,
als seine früheren Schriften, müssen wir noch nachträglich einige Züge ans seinem
Leben anführen,- die zum Verständniß derselben gehören. Immermann hat die
Feldzüge des Freiheitskrieges mitgemacht, und nach demselben, also schon in einem
reifern Alter, die Universität bezogen. Bei unsrer Einrichtung des Studenten-
wesens ist das ein Nachtheil. Der vorübergehende Mummenschanz desselben, an
dem freilich viele weiche und träge Gemüther untergehen, übt auf gesund" Naturen
eine erfrischende Wirkung, wenn sie ihn in der richtigen Zeit durchmache". Ist
man aber schon reifer, so entsteht durch das Verhältniß zu diesem Mummenschanz,
dem man doch nicht ganz entgehen kann, leicht eine schiefe Stellung zum Leben
überhaupt. Namentlich gilt das von den Jahren nach den Freiheitskriegen, wo
die Studenten ihrer Auffassung von der Politik, Religion und Sitte eine unge¬
bührliche Wichtigkeit beilegten, und diese Wichtigkeit hinter symbolischen Masken-
spielcn versteckten. Die meisten Schriftsteller und Staatsmänner aus der dama¬
ligen Generation haben die Irrationalität ihrer ersten Bildung nie ganz los¬
werden können, weil man die Ideale einer reifern Jugend nie ganz in das Gebiet
der Träume zurückweisen kann. Bei Immermann ereignete sich das Entgegen¬
gesetzte. Seine reflectirte, eigensinnige, jeder Disciplin abgeneigte Natur machte
ihm die naive Redseligkeit der damaligen Begeisterung verhaßt. Die Brutali¬
täten einer Burschenschaft veranlaßten ihn zu dem ganz commentwidri'gen Einfall,
die studentische Fehde ins literarische Gebiet hinüberzuziehen. Er veröffentlichte
eine kleine Schrift: "Ueber die Streitigkeiten der Studirenden in Halle 1817",
die auf dem Wartbnrgfest öffentlich verbrannt wurde. Ein solches Ereigniß,
so wenig Berücksichtigung es vom Standpunkt der absoluten Vernunft verdient,
übt doch auf das Gemüth eine sehr nachtheilige Wirkung ans. Man mag sich
noch so sehr sagen, daß man um von der Dummheit und von dem Aberwitz ver¬
urtheilt worden sei, die Verstimmung und Bitterkeit der isolirten Stellung bleibt
und macht ungerecht gegen die positiven Seiten, die auch hinter jenen aberwitzigen
Formen versteckt sind, so wenig sie dem abstracten Verstand offenbar werden. Es
ist namentlich für den Dichter eine sehr unglückliche Bildung, wenn er in den
Jahren, wo sonst alle Welt gläubig ist, gegen die herrschende Begeisterung der
Menge in eine feindselige Opposition treten muß. Diese Verstimmung konnte
Immermann bei der einseitigen juristischen Beschäftigung seiner späteren Jahre
(er war Landgerichtsrath in'Düsseldorf) nicht corrigiren, weil sein Amt mit seinen
Idealen Nichts zu thun hatte, und weil er nicht wie Hoffmann an einer bestimmten
Kunst, die er vollständig beherrschte, neben diesem Geschäftsleben für sein Herz
die hinreichende Nahrung fand. So finden wir denn in seinem Romane "die


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strebt, sondern sich im traurigen, leeren Gefühl der Ungewißheit und Unsicherheit
befriedigt.

Indem wir nun zu denjenigen Werken übergehen, die ganz in die jung-
deutsche Richtung gehören, und die einen viel größern Einfluß ausgeübt haben,
als seine früheren Schriften, müssen wir noch nachträglich einige Züge ans seinem
Leben anführen,- die zum Verständniß derselben gehören. Immermann hat die
Feldzüge des Freiheitskrieges mitgemacht, und nach demselben, also schon in einem
reifern Alter, die Universität bezogen. Bei unsrer Einrichtung des Studenten-
wesens ist das ein Nachtheil. Der vorübergehende Mummenschanz desselben, an
dem freilich viele weiche und träge Gemüther untergehen, übt auf gesund« Naturen
eine erfrischende Wirkung, wenn sie ihn in der richtigen Zeit durchmache». Ist
man aber schon reifer, so entsteht durch das Verhältniß zu diesem Mummenschanz,
dem man doch nicht ganz entgehen kann, leicht eine schiefe Stellung zum Leben
überhaupt. Namentlich gilt das von den Jahren nach den Freiheitskriegen, wo
die Studenten ihrer Auffassung von der Politik, Religion und Sitte eine unge¬
bührliche Wichtigkeit beilegten, und diese Wichtigkeit hinter symbolischen Masken-
spielcn versteckten. Die meisten Schriftsteller und Staatsmänner aus der dama¬
ligen Generation haben die Irrationalität ihrer ersten Bildung nie ganz los¬
werden können, weil man die Ideale einer reifern Jugend nie ganz in das Gebiet
der Träume zurückweisen kann. Bei Immermann ereignete sich das Entgegen¬
gesetzte. Seine reflectirte, eigensinnige, jeder Disciplin abgeneigte Natur machte
ihm die naive Redseligkeit der damaligen Begeisterung verhaßt. Die Brutali¬
täten einer Burschenschaft veranlaßten ihn zu dem ganz commentwidri'gen Einfall,
die studentische Fehde ins literarische Gebiet hinüberzuziehen. Er veröffentlichte
eine kleine Schrift: „Ueber die Streitigkeiten der Studirenden in Halle 1817",
die auf dem Wartbnrgfest öffentlich verbrannt wurde. Ein solches Ereigniß,
so wenig Berücksichtigung es vom Standpunkt der absoluten Vernunft verdient,
übt doch auf das Gemüth eine sehr nachtheilige Wirkung ans. Man mag sich
noch so sehr sagen, daß man um von der Dummheit und von dem Aberwitz ver¬
urtheilt worden sei, die Verstimmung und Bitterkeit der isolirten Stellung bleibt
und macht ungerecht gegen die positiven Seiten, die auch hinter jenen aberwitzigen
Formen versteckt sind, so wenig sie dem abstracten Verstand offenbar werden. Es
ist namentlich für den Dichter eine sehr unglückliche Bildung, wenn er in den
Jahren, wo sonst alle Welt gläubig ist, gegen die herrschende Begeisterung der
Menge in eine feindselige Opposition treten muß. Diese Verstimmung konnte
Immermann bei der einseitigen juristischen Beschäftigung seiner späteren Jahre
(er war Landgerichtsrath in'Düsseldorf) nicht corrigiren, weil sein Amt mit seinen
Idealen Nichts zu thun hatte, und weil er nicht wie Hoffmann an einer bestimmten
Kunst, die er vollständig beherrschte, neben diesem Geschäftsleben für sein Herz
die hinreichende Nahrung fand. So finden wir denn in seinem Romane „die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/221>, abgerufen am 24.07.2024.