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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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wol in der Richtung des Spülorts, als des Mannsiedels führen Seitenthüren
aus dem Hanse.

Hinter dem Feuer ist, nach alter Einrichtung, die Schlafstelle des Hausvaters ,
und seiner Frau. Hier stehen auch die Kisten mit den Kleidungsstücken der
Hausbewohner und die künstlich geschnitzten Schränke; hier hängt der Spiegel,
vor dem sich Mutter und Tochter zur Kirche schmücken. Hier, auf der Ostseite,
finden sich auch, zumal in neueren Häusern, wirkliche Stuben; von dieser Seite
beginnt überhaupt die moderne Cultur die alten Sachsenwohnungen umzugestalten.
Neben einer schmuzigen Wohnstube, Dorf genannt, findet man hier nicht selten
Prunkzimmer mit Mahagonihausrath und seinem Geschirr, die freilich dumpfig
genug sind, da man sich ihrer nur bei außerordentlicher Gelegenheit bedient.

Das ungeheure Dach, unter dem der Segen des Feldes aufgespeichert wird,
gewährt im Sommer Kühle, im Winter Wärme, die noch durch das zu dieser
Jahreszeit anwesende Mes vermehrt wird, daher die Bewohner des Hauses,
selbst bei scharfem Frost, sich nur selten in den Stuben aufhalten. Treibt sie die
strenge Kälte doch zuletzt hinein, so heizen dieselben Menschen, welche Monate
lang mit blauen Fingern, den Hauch vor dem Munde, auf der Hausflur ausge¬
dauert, so gründlich ein, daß ihnen die Köpfe glühen. In den älteren Gebäuden
ist kein Schornstein vorhanden, und der Rauch zieht unter dem Dache her durch
die Einfahrt, indem er die schweren Speckstücke, Schinken und Würste bestreicht,
die' in unendlicher Menge umherhängen -- ein lachender Anblick für Jeden, der
ihre Güte erprobt hat.

Diese Häuser haben eine länglich viereckte Form. Denkt man sich ein Kreuz
durch sie gelegt, so geht der Stamm desselben in der Richtung von Westen nach
Osten, von dem Eingangsthor nach den Stuben im Hinterhause; der Querbalken
aber, der den Stamm aus der Feuerstelle schneidet, endet rechts und links mit
den Seitenausgängen und Seitenthüren.

An dem Herde sitzt, ihr Kind aus dem Schooße oder die Arbeit in der
Hand, die Hausfrau, während die Feldarbeit den Mann und das Gesinde nach
anßen ruft. Hier kann ihr wachsames Auge Alles erreichen, ohne daß sie sich
vom Stuhl erhebt. Vor sich hat sie das Thor, rechts und links die Seitenthüren,
so daß Niemand, von ihr unbemerkt, aus und eingeht. Die Kinder, die vor ihr
auf der Tenne spielen, die Pferde und Kühe zu beiden Seiten der Flur, der
große, mit Heu und Getreide gefüllte Dachboden, Alles steht unter ihrer Hut,
indeß sie ruhig das Spinnrad tritt oder den weiten schwarzbauchiger Kessel be¬
schickt, der über dem Feuer hängt. Von der Schlafstelle hinter dem Herde --
und sie liegt immer vorn im Bette -- hat sie ungefähr denselben Anblick; sie
sieht Kinder und Gesinde aufstehen und zu Bette gehn; sie kann die Fütterung
des Viehs in der Frühe überwachen und Hort es in der Nacht fressen. Selbst
als Kindbettern: oder Kranke bleibt sie noch die Hüterin ihres Hauses.


wol in der Richtung des Spülorts, als des Mannsiedels führen Seitenthüren
aus dem Hanse.

Hinter dem Feuer ist, nach alter Einrichtung, die Schlafstelle des Hausvaters ,
und seiner Frau. Hier stehen auch die Kisten mit den Kleidungsstücken der
Hausbewohner und die künstlich geschnitzten Schränke; hier hängt der Spiegel,
vor dem sich Mutter und Tochter zur Kirche schmücken. Hier, auf der Ostseite,
finden sich auch, zumal in neueren Häusern, wirkliche Stuben; von dieser Seite
beginnt überhaupt die moderne Cultur die alten Sachsenwohnungen umzugestalten.
Neben einer schmuzigen Wohnstube, Dorf genannt, findet man hier nicht selten
Prunkzimmer mit Mahagonihausrath und seinem Geschirr, die freilich dumpfig
genug sind, da man sich ihrer nur bei außerordentlicher Gelegenheit bedient.

Das ungeheure Dach, unter dem der Segen des Feldes aufgespeichert wird,
gewährt im Sommer Kühle, im Winter Wärme, die noch durch das zu dieser
Jahreszeit anwesende Mes vermehrt wird, daher die Bewohner des Hauses,
selbst bei scharfem Frost, sich nur selten in den Stuben aufhalten. Treibt sie die
strenge Kälte doch zuletzt hinein, so heizen dieselben Menschen, welche Monate
lang mit blauen Fingern, den Hauch vor dem Munde, auf der Hausflur ausge¬
dauert, so gründlich ein, daß ihnen die Köpfe glühen. In den älteren Gebäuden
ist kein Schornstein vorhanden, und der Rauch zieht unter dem Dache her durch
die Einfahrt, indem er die schweren Speckstücke, Schinken und Würste bestreicht,
die' in unendlicher Menge umherhängen — ein lachender Anblick für Jeden, der
ihre Güte erprobt hat.

Diese Häuser haben eine länglich viereckte Form. Denkt man sich ein Kreuz
durch sie gelegt, so geht der Stamm desselben in der Richtung von Westen nach
Osten, von dem Eingangsthor nach den Stuben im Hinterhause; der Querbalken
aber, der den Stamm aus der Feuerstelle schneidet, endet rechts und links mit
den Seitenausgängen und Seitenthüren.

An dem Herde sitzt, ihr Kind aus dem Schooße oder die Arbeit in der
Hand, die Hausfrau, während die Feldarbeit den Mann und das Gesinde nach
anßen ruft. Hier kann ihr wachsames Auge Alles erreichen, ohne daß sie sich
vom Stuhl erhebt. Vor sich hat sie das Thor, rechts und links die Seitenthüren,
so daß Niemand, von ihr unbemerkt, aus und eingeht. Die Kinder, die vor ihr
auf der Tenne spielen, die Pferde und Kühe zu beiden Seiten der Flur, der
große, mit Heu und Getreide gefüllte Dachboden, Alles steht unter ihrer Hut,
indeß sie ruhig das Spinnrad tritt oder den weiten schwarzbauchiger Kessel be¬
schickt, der über dem Feuer hängt. Von der Schlafstelle hinter dem Herde —
und sie liegt immer vorn im Bette — hat sie ungefähr denselben Anblick; sie
sieht Kinder und Gesinde aufstehen und zu Bette gehn; sie kann die Fütterung
des Viehs in der Frühe überwachen und Hort es in der Nacht fressen. Selbst
als Kindbettern: oder Kranke bleibt sie noch die Hüterin ihres Hauses.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/199>, abgerufen am 24.07.2024.